6. Januar 2012

Zitat des Tages, heute zum Dreikönigstreffen der FDP. Die Methode "Haltet den Dieb!" und die Notwendigkeit einer liberalen Partei in Deutschland

Gerade von der FDP ist man gewohnt, dass sie keinen Stimmungen hinterherläuft, sondern lieber etwas länger, aber dafür gründlicher nachdenkt. Leider war das nach Fukushima nicht der Fall: Auch wir haben uns von Hysterie treiben lassen. Wir haben es einer vermeintlichen Mehrheit recht machen wollen, obwohl es immer eine liberale Stärke war, auch dann für eine Meinung einzustehen, wenn sie unpopulär ist.
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Holger Zastrow in einem Interview mit Oliver Das Gupta von der "Süddeutschen Zeitung".

Kommentar: Nicht nur zur traurigen und unwürdigen Rolle der FDP, als Deutschland den "Ausstieg" beschloß, spricht Holger Zastrow in diesem Interview klare Worte. Beispielsweise auch zu den Enttäuschungen, die er - in der DDR aufgewachsen - nach der Wende erlebte:
Offen gesagt habe ich mich gewundert, wie sehr Staatsgläubigkeit verbreitet ist, wie sehr Staat und Bürokratie in die Wirtschaft eingreifen und wie viel Misstrauen der Staat seinen Bürgern entgegenbringt. Gerade im Westen erkennen viele leider nicht, wie viel DDR diesbezüglich in der Bundesrepublik steckt. Linksgrüne Politiker misstrauen den Menschen und deren Fähigkeiten, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.
So ist es. Und deshalb ist es so abwegig, zu meinen, die FDP sei überflüssig geworden, weil ja doch unsere ganze Gesellschaft heutzutage irgendwie "liberal" sei (siehe "Die FDP hat keine Daseinsbegründung mehr". Eine kluge These. Nur ist sie falsch; ZR vom 29. 12. 2011).

Nicht nur Georg Paul Hefty von der FAZ, mit dessen These ich mich in dem zitierten Artikel befaßt habe, ist bereits mit Eifer dabei, der FDP das Requiem zu singen. In der aktuellen "Zeit" stimmt Bernd Ulrich mit kräftiger Stimme ein.

Ulrich ist der Politikchef der "Zeit" und zugleich ihr stellvertretender Chefredakteur; einer von jenen zahlreichen Journalisten, die über eine politische Tätigkeit für die "Grünen" und das Erlernen des Handwerks bei der "taz" in die Chefetagen der führenden Medien aufgestiegen sind. Was er zur FDP und überhaupt zum Liberalismus schreibt, dürfte repräsentativ für das sein, was die Mehrzahl der wenigen Dutzend Spitzenjournalisten denkt, die heute die veröffentlichte Meinung in Deutschland dominieren:
Wie Dirk Kurbjuweit im Spiegel schrieb: "Der Kapitalismus hat eine Alternative, die Demokratie nicht." Es geht nun also darum, die Politik und den demokratischen Staat überhaupt noch gegen die Märkte und die rabiateren Kapitalismen zu behaupten. Das, was die FDP in ihrer Einfalt die Sozialdemokratisierung der CDU (und aller anderen Parteien außer der FDP) nennt, ist tatsächlich ein Versuch der gesamten Politik (außer der FDP), als Macht eigener Art und Würde zu überleben und dafür zu sorgen, dass der Kapitalismus die Demokratie nicht auffrisst.
Ulrichs Realitätsblindheit ist nachgerade unfaßbar.

Wo ist er denn in Deutschland, der "Kapitalismus", von dem zu befürchten wäre, daß er "die Demokratie auffrißt"?

In einem Land, dessen Parteien kurzerhand die vorgeblich so mächtige "Atomlobby" mattsetzen und einen bestens funktionierenden und profitablen Zweig der Energiewirtschaft vernichten konnten? Einem Land, dessen Entwicklung auch unter dieser schwarzgelben Regierung hin zu immer mehr sozialen Wohltaten geht (das "Betreuungsgeld" ist das jüngste Beispiel); in dem nun sogar die Union für den Mindestlohn eintritt?

Bernd Ulrich und alle anderen Mächtigen, die mit ihm im Gleichschritt denken, will - so scheint es mir - eine andere Republik; eine, in der staatliche Regulierung an die Stelle des freien Wettbewerbs tritt, und der Konsens Aller an die Stelle des Kampfs der Ideen. Deutschland ist ihnen noch lange nicht hinreichend sozialdemokratisiert und grün durchideologisiert. Es gibt noch störende Reste einer freien Marktwirtschaft, einer liberalen Gesellschaft.

Deshalb rufen sie "Haltet den Dieb!" und malen das Gespenst eines entfesselten Kapitalismus an die Wand, von dem wir in der Realität ungefähr so weit entfernt sind wie von einer Wiedererrichtung der Hohenzollern-Monarchie. Und deshalb wird die momentane Schwäche der FDP für den Versuch ausgeschlachtet, dem Liberalismus in Deutschland den Todesstoß zu versetzen; einem der letzten Hindernisse für die formierte rotgrüne Gesellschaft, von der man träumt.

Es sieht leider nicht danach aus, als würde die FDP sich gegen diesen Angriff auf ihre Existenz ernsthaft wehren. Fast kann man den Eindruck haben, daß sie sich in ihr Schicksal ergeben hat und dem Todesstoß sozusagen die Brust darbietet.

Denn wie anders sollte man das deuten, was Zastrow in dem Eingangszitat beim Namen nennt: Daß die FDP, statt als die Partei der Vernunft der kollektiven Besoffenheit dieses Frühjahrs zu widerstehen, fleißig mitgebechert hat; ohne jeden Versuch, nüchtern zu bleiben?
Zettel



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