22. Dezember 2006

Ketzereien zum Irak (1): Iraker, Demokraten, Extremisten

Als ich in den siebziger Jahren bei den Jung-sozialisten in der SPD aktiv war, stellte sich uns Jusos häufig die "Bündnisfrage". Mannigfache Kommunisten, Maoisten, "Basis- Gruppen", Leute jedenfalls, die den demokratischen Rechtsstaat bekämpften, machten eine Aktion, veranstalteten eine Demo. Sollte man mitmachen? Oder sollte man sich den Extremisten verweigern, auch wenn man mit ihnen Gemeinsamkeiten in Bezug auf das konkrete Ziel einer solchen Unternehmung hatte; sagen wir, den Abbau von Raketen?

Die Antwort fiel unterschiedlich aus. Aber daß sich die Frage überhaupt stellte, ob Demokraten mit Feinden des demokratischen Rechtsstaats gemeinsame Sache machen sollten, war bezeichnend für eine damals weitverbreitete Sichtweise.

Zumindest in der SPD-Linken herrschte die Vorstellung, daß Kommunisten "Genossen" waren, bei allen ideologischen Differenzen. Letztlich auf "unsrer Seite" stehend, uns Sozialdemokraten näher als die "Rechten". Mit den Kommunisten hatte man Differenzen. Die Rechten der CDU, der CSU, der FDP, das waren die politischen Feinde.

Die damalige SPD-Führung sah das zum Glück anders. Von den Kommunistenfreunden bei den "Stamokaps" wurden viele aus der Partei ausgeschlossen. (Und freilich oft genug später wieder aufgenommen. Ich habe solche Fälle mehrfach erlebt. Der bekannteste Betroffene war Klaus Uwe Benneter, der 1977 wegen seiner Befürwortung einer Bündnispolitik mit den Kommunisten ausgeschlossen, 1983 wieder in die SPD aufgenommen und 2004 deren Generalsekretär wurde).



In einem politischen System mit relativ starken extremistischen Parteien oder Strömungen stellt sich den Demokraten immer diese Frage, ob man um taktischer oder strategischer Vorteile willen, oder auch aus Überzeugung, mit Extremisten paktieren darf. Im Augenblick wird sie in Europa sehr unterschiedliche beantwortet - unterschiedlich in den einzelnen Ländern; unterschiedlich auch, was Links- oder Rechtsextremisten angeht.

In Frankreich paktiert die demokratische Linke mit den Kommunisten, während die demokratische Rechte jede Zusammenarbeit mit den Rechtsextremisten strikt ablehnt. In Italien haben sich Links- und Rechtsallianzen gebildet, die auf beiden Seiten Extremisten einschließen; auf der Linken sind gleich mehrere kommunistische Parteien an der Allianz beteiligt, die Prodi die Regierungsmacht eingebracht hat. In Großbritannien ist es dagegen undenkbar, daß eine demokratische Partei ein Bündnis mit den Kommunisten oder den Nationalisten eingehen würde.

In Deutschland gab es seit der Gründung der Bundesrepublik den Konsensus - die berühmte "Gemeinsamkeit der Demokraten" -, daß keine demokratische Partei jemals mit Extremisten zusammenarbeitet. Die SPD hat diese Gemeinsamkeit aufgekündigt, als sie sich in Sachsen- Anhalt von den Kommunisten "dulden" ließ. Das war das erste Scheibchen der Salami- Taktik, die konsequenterweise zur Regierungsbeteiligung der Kommunisten in Mecklenburg- Vorpommern und in Berlin führte, wo sie gerade wieder erneuert wurde.




Die Erinnerung an die siebziger Jahre ist mir durch den Kopf gegangen, als ich heute im Blog Iraq the Model den Kommentar von Omar zur aktuellen politischen Situation im Irak gelesen habe.

Omars These ist, daß die momentanen Schwierigkeiten im Irak wesentlich daraus resultieren, daß die Demokraten auf beiden Seiten der konfessionellen Trennlinie ihre Allianzen mit den jeweiligen Extremisten geschlossen haben: "... they have their hands tied by former deals or affiliations with current-or former-extremist allies of the same sect as theirs". Ihnen sind die Hände dadurch gebunden, daß sie früher Vereinbarungen und Verbindungen mit jetzigen oder früheren extremistischen Verbündeten derselben Konfession hatten.

Omar meint, daß sich im Augenblick eine breite Allianz gegen die Extremisten auf beiden Seiten bildet, und er verlangt, daß deren Anstrengungen von den USA militärisch unterstützt werden sollen. Und zwar, indem der Ministerpräsident Maliki besser gegen Sadr und seine Leute geschützt wird. Und andererseits mit dem Ziel " to ... deal a lethal blow to Sadr and his militia in order to render him unable to inflict harm on Maliki and other members of the UIA." Sadr einen tödlichen Schlag verpassen, so daß er nicht mehr die Fähigkeit hat, Maliki und anderen Mitgliedern der UIA [United Iraqi Alliance, der Schiitenpartei] zu schaden.



Mir scheint, Omars Analyse trifft die Situation im Irak. Die große Mehrheit der Bevölkerung will ja einen demokratischen Rechtsstaat; das hat sie bei den Wahlen und bei der Volksabstimmung über die Verfassung bewiesen. Die Extremisten aller Couleur sind weder in der Gesellschaft verankert, noch haben sie eine militärische Chance.

Aber solange sie Einfluß auf die demokratisch gesonnenen Schiiten, die demokratisch gesonnenen Sunniten haben, können sie ihre Strategie, den Irak in den Bürgerkrieg zu treiben, erfolgreich verfolgen.

Wie es im Irak weitergeht, wird davon abhängen, ob sich am Ende die Gemeinsamkeit der Demokraten durchsetzt (ob sich also die Mehrheit der Schiiten, die Mehrheit der Sunniten verständigen können), oder ob die Demokraten Geiseln der Extremisten ihrer jeweiligen Seite werden. Die Bürgerkrieger in Nordirland waren erst besiegt, als sich die Gemäßigten auf beiden Seiten von ihnen abgewandt hatten; nicht anders ist es der ETA im Baskenland gegangen und den Cagoules, die in Korsika auch einmal darauf gehofft hatten, einen Bürgerkrieg zu entzünden.



Das nämlich ist immer die Strategie von Extremisten gewesen: Konflikte zu schüren, Volksgruppen gegeneinander zu treiben, in der Erwartung, daß am Ende die Friedlichen, die Demokraten sich für die Gemeinsamkeit mit den jeweiligen Extremisten entscheiden, statt für die Gemeinsamkeit der Demokraten.

Omar ist erstaunlich optimistisch, daß die Demokraten im Irak dem widerstehen werden, mit Hilfe der USA:
Together we succeeded in reducing the threat posed by al-Qaeda when it was identified as the biggest threat to Iraq's stability and security and now together we can do the same with Sadr and other thugs (...).

Wir waren gemeinsam erfolgreich, als es darum ging, die von der Al Kaida ausgehende Gefahr zu verringern, als sie als die größte Bedrohung der Stabilität und Sicherheit des Irak erkannt worden war. Und jetzt können wir gemeinsam dasselbe mit Sadr und anderen Schurken machen (...).



Vor einigen Tagen hat, weitgehend unbeachtet von unseren Medien, in Kairo einer von der Arabischen Liga organisierte irakische Versöhnungskonferenz stattgefunden. Im Irak haben gestern die USA die Kontrolle über die Provinz Nadschaf an die irakischen Streitkräfte übergeben. Auch das erschien nicht in den Schlagzeilen.

Stattdessen wurde die Ente verbreitet, Bush spreche nicht mehr von einem Sieg im Irak-Krieg.

In Wahrheit sind es die Terroristen, die keine Aussicht auf einen Sieg haben. Was sie allenfalls erreichen können, das ist ein Anomie; eine Situation wie, sagen wir, zeitweilig in Kolumbien oder in Somalien.

Gewinnen können die Terroristen nicht. Nicht die El Kaida, nicht die Baath- Terroristen und nicht die Milizen von Sadr. Sie können sich, wenn sie erfolgreich sind, nur gegenseitig dezimieren.

Oder aber die Demokraten im Irak befreien sich aus ihren Abhängigkeiten von den Extremisten und bauen mit Hilfe der USA einen demokratischen Irak auf. Nicht die Vorzeige- Republik, die sich viele im Westen vielleicht erhofft hatten. Aber doch einen Staat mit ungleich mehr politischer Freiheit und Rechtssicherheit als in allen anderen Staaten der Region, von Israel abgesehen.



Anmerkung: Dies ist, ohne daß ich das zunächst beabsichtigt hatte, der erste Teil einer Serie "Ketzereien zum Irak". Der Titel wurde entsprechend umbenannt, am Text aber nichts geändert.