13. Dezember 2006

Das Urteil von Addis Abeba

Ob die Verletzung von Menschenrechten, ob Massenmorde an politischen Gegnern weltweit Beachtung finden, hängt hauptsächlich davon ab, ob sie den USA oder zumindest dem Kapitalismus oder allermindestens dem Weißen Mann zugeordnet werden können.

Kann man das, dann finden selbst Vorfälle wie das Herunterspülen eines Korans in ein WC weltweit Beachtung; und man empört sich gebührend über die Täter. Wenn nicht, dann können schon einmal Zehntausende ermordet werden, ohne daß das viel Aufsehen erregt. Zumal, wenn der Täter ein Kommunist ist. Zumal, wenn die Taten sich im dunklen Erdteil zutragen.



Gestern ist einer der schlimmsten Massenmörder des Zwanzigsten Jahrhunderts durch ein äthiopisches Gericht des Genozids für schuldig befunden worden. Anders als Mao und Seinesgleichen hatte Mengistu Haile Mariam die Angewohnheit, seine Opfer bei Gelegenheit eigenhändig ums Leben zu bringen, darunter sehr wahrscheinlich den letzten Kaiser Äthiopiens, Haile Selassie. Human Rights Watch, so schreibt die New York Times, nannte seine Taten "one of the most systematic uses of mass murder by a state ever witnessed in Africa", einen der systematischsten Einsätze des Massenmordes durch irgendeinen Staat in Afrika.

Genaue Opferzahlen nennt die New York Times nicht. Deutlicher wird AP, dessen Meldung eine Zeitung der Region, die Sudan Tribune, ausführlich bringt:
Mengistu, sometimes called "the butcher of Addis Ababa," ruled from 1974 to 1991 after his military junta ended Emperor Haile Selassie’s reign in a bloody coup. Some experts say 150,000 university students, intellectuals and politicians were killed in a nationwide purge by Mengistu’s Marxist regime, though no one knows for sure.

Mengistu, manchmal der "Schlächter von Addis Ababa" genannt, regierte von 1974 bis 1991, nachdem seine Militärjunta die Regentschaft des Kaisers Haile Selassie durch einen blutigen Militärcoup beendet hatte. Einige Experten sagen, daß 150000 Studenten, Intellektuelle und Politiker vom marxistischen Regime Mengistus in einer landesweiten Säuberung ermordet wurden. Aber niemand weiß es genau.
Mengistu, der laut London Times der "afrikanische Pol Pot" genannt wird, ist verantwortlich für Hungersnöte, denen mehr als eine Million Menschen zum Opfer fielen; "devastating famines in which starvation was used to force peasants into submission", also vernichtende Hungersnöte, in denen das Verhungern genutzt wurde, um die Bauern zu unterwerfen, wie die Times schreibt.

Nach der Verurteilung steht Mengistu die Todesstrafe bevor. Er lebt aber in Sicherheit, bei seinem Freund Robert Mugabe in Simbabwe. Wie er ein Kommunist, wie er ein skrupelloser Dikator. Die Strafe wird also kaum vollstreckt werden. Sehr wahrscheinlich wird Mengistu so friedlich im Bett sterben wie Stalin, Mao und Pol Pot, die drei anderen großen kommunistischen Massenmörder.



Menschenrechte in Afrika - das war in den letzten Jahrzehnten des Zwanzigsten Jahrhunderts ein Thema, das viele Menschen in Rage brachte, sie zum Engagement trieb. Das Land, in dem man die Menschenrechte verletzt sah - zu Recht verletzt sah -, war Gegenstand unzähliger Resolutionen, Verurteilungen, von Boykottmaßnahmen: Die Südafrikanische Republik.

In der Tat: Dort wurden bis 1994 Menschenrechte verletzt. Zum Beispiel wurde das Prinzip one man, one vote nicht befolgt; die schwarzen und sogenannten farbigen Einwohner Südafrikas konnten proportional weniger Abgeordnete ins Parlament wählen als Weiße. Auch in anderen Bereichen waren Schwarze und Farbige Bürger minderen Rechts.

Die Empörung, die das weltweit ausgelöst hat, war begründet. Aber in den Jahrzehnten, in denen sie ihren Höhepunkt erreichte - in den siebziger und achtziger Jahren -, wütete in Äthiopien Mengistu so, wie Stalin in den dreißiger Jahren in der Sowjetunion gehaust hatte. Und das Echo bei den westlichen Menschenrechtlern war ähnlich gering.

Ich kann mich an keine Demonstrationen gegen das Mengistu- Regime erinnern, an keine von Schriftstellern und Intellektuellen unterschriebene Resolution, an keinen Boykott. Die vom Mengistu- Regime im Stil von Stalins Ukraine- Politik 1932/1933 herbeigeführte Hungersnot wurde als humanitäres Problem wahrgenommen, nicht als als Massenmord durch einen blutrünstigen Diktator.



Und obwohl Äthiopien uns Europäern doch näher liegt als Chile, wird - so vermute ich - das gestrige Urteil gegen Mengistu in unseren Medien nicht dasselbe Interesse finden wie Pinochets Tod vor einigen Tagen.