21. Dezember 2006

Eingebrannt. Über Denken und Sprache, CDs und eine große Enttäuschung

Erlebnisse von besonderer Bedeutung "brennen sich ins Gedächtnis ein"; so pflegen wir zu sagen. Diese Redensart kommt von einer sehr alten Maltechnik, dem Einbrennen (Enkaustik). Dabei werden die Farbpigmente mit Wachs gemischt und heiß auf Metall oder eine andere Unterfläche aufgetragen. Das Einbrennen führt zu außerordentlich haltbaren Bildern. Daß wir noch heute farbige Werke aus dem alten Ägypten und aus Pompeji bewundern können, verdanken wir wesentlich dieser Technik. Insofern ist die Metapher des "Einbrennens ins Gedächtnis" glücklich gewählt.



Die Sprache, so ungefähr hat es Herder einmal ausgedrückt, besteht aus abgesunkenen Metaphern. Vieles, was uns gar nicht mehr als Metapher vorkommt, war ursprünglich die Übertragung eines oft bildhaften Sinns auf einen ähnlichen Sachverhalt. Wenn ich das hier ins Spiel bringe, dann bin ich nicht auf dem Holzweg.

Das bereichert die Sprache, kann aber auch zu Irrtümern führen. Der ursprüngliche Sinn schwingt manchmal noch mit, ungewollt und mit unter Umständen fatalen Folgen.

Solche Irrtümer sind in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Benjamin Lee Whorf aufgefallen, einem Ingenieur für Brandschutz. Ein Unglück, das er untersuchte, hatte zum Beispiel nach seiner Auffassung die folgende Ursache: Teer in Fässern wurde von Arbeitern als nicht brandgefährlich betrachtet, weil er nicht "brannte", das heißt keine Flammen aus ihm schlugen, wie das die Metapher des Brennens nahelegt. Er "brannte" aber sehr wohl im chemischen Sinn (das heißt, es gab eine exotherme Reaktion) und entzündete dadurch anderes Material.

So rekonstruierte es der Brand- Experte Whorf, der später zu einem großen Sprachforscher wurde.



Die Metapher des Brennens ist vor gut zwei Jahrzehnten in ein neues Gebiet vorgedrungen: CDs und DVDs werden "gebrannt"; eine wortgetreue Übersetzung von to burn und eine treffende Bezeichnung für den Vorgang, mit dem zunächst CDs beschrieben werden: Das Einbrennen von Vertiefungen, den pits, in die lands, die höhere Umgebung in der Aluminiumbeschichtung, die auf eine Kunststoffgrundlage aufgebracht ist.

Wie schön, dachte ich damals - jetzt haben wir wieder etwas für's Leben, ja für die Ewigkeit. Wie bei den Schellack- Schätzchen.



Die alten Schallplatten waren (und sind) nämlich im Grunde sehr dauerhaft. Sie leiden zwar unter Kratzern; auch muß man mit dem bekannten Knistern aufgrund elektrostatischer Aufladung der Platte rechnen, was sich mit gewissen Tinkturen in Schranken halten läßt. Aber richtig verblassen, sich verwischen, sich auflösen kann sich die Rille kaum, in die die Informationen ja ganz mechanisch eingekerbt sind.

Das Tonband - das bekamen viele sehr bald mit, die es ab den sechziger Jahren zusätzlich zur Schallplatte verwendeten - war da anders. Magnetisierungen auf einem Kunststoffband - die können schnell weg sein. Einmal ein kräftiger Magnet an die Spule oder Kassette gehalten, und aus ist es mit der schönen Musik.

Da bekam man ein erstes Mal eine Vorstellung von der Vergänglichkeit gespeicherter Information. Ein kleiner Kulturschock für meine Generation, die mit den fast unvergänglichen Medien des Buchs und Schallplatte aufgewachsen war.



Schlimmer noch wurde es mit den Disketten. Mein erster Rechner war der (oder vielmehr die) Joyce. An eine Festplatte war damals, Anfang der Achtziger, nicht zu denken. Also wurde beim Start das gesamte Betriebssystem CP/M von Diskette geladen. Und plötzlich, eines Tages, nachdem ich Joyce ein paar Jahre besessen und geliebt hatte, ging das nicht mehr. Irgendwann streikte auch die Backup- Diskette, und Dateien ließen sich nicht mehr lesen.

Der Zahn der Zeit hatte zu knabbern begonnen. Andere Diskettenformate waren nicht besser dran. Gegen diese Vergänglichkeit der Disketten war ja das Tonband, war die Audio- Kasette geradezu verfallsresistent gewesen! Damals ertönten die ersten warnenden Stimmen der Fachleute, was die Vergänglichkeit der modernen Speichermedien angeht.



Zurück zum Brennen. Festplatten waren sicherer als Disketten. Das Sicherste an Speichermedien aber schien uns beschert zu werden, als die CD, zuerst als Audio-Speichermedium eingeführt, als CD-ROM in die Welt der Rechner ihren Einzug hielt. Denn wie bei der Schallplatte wurde da ja wieder sozusagen gemeißelt. Vertiefungen und Erhebungen, Berg und Tal, geritzt in einen "Silberling" - was konnte es Beständigeres geben? Manchmal gar noch mit Gold überzogen! Fast wie die zehn Gebote in dem Stein, in den Gott sie gehauen hat.

Für die Ewigkeit. So dachte jedenfalls ich. So dachten viele, als wir in den Neunzigern die ersten CD-ROMs erwarben, mit einem Lexikon darauf oder dergleichen.

Wir vertrauten der Metapher des Brennens. Und fielen ihr zum Opfer.

Denn: Pustekuchen. Wegpusten läßt sie sich nachgerade, die Information auf CDs. Jedenfalls in den Varianten, die später hinzutraten. Heute hat das ZDF darüber berichtet; und wenn ich gerade erst die heute- Sendung des ZDF für ihre USA- Berichterstattung kritisiert habe, so möchte ich dem ZDF für diesen Bericht und das zugehörige Material ein Lob aussprechen. Ich empfehle es, dieses Material zu lesen. Dort stehen viele der traurigen Einzelheiten. Das eine oder andere will ich jetzt ergänzen.



Warum überhaupt Erhöhungen und Vertiefungen zur binären Kodierung? Weil der Laserstrahl je nach Distanz logischerweise unterschiedlich lange braucht, um reflektiert zu werden. Das kann man als Phasenverschiebung des reflektierten relativ zum ausgesandten Laserstrahl messen; und das ist der ganze Zauber. Aus einer Vertiefung ist er etwas später zurück als aus einer Erhöhung.

Aber eine Phasenverschiebung kann man auch anders erreichen als durch verschiedene Distanz. Und das wurde notwendig, als man wiederbeschreibbare CDs haben wollte.

Man konnte ja nicht gut Berge und Täler immer wieder einebnen und immer wieder neu entstehen lassen; das hätte kein Silberling ausgehalten. Also mußte eine andere Lösung gefunden werden.

Die Findigen in den Labors der Konzerne fanden eine namens AgInSbTe, einer, wie der Name es andeutet, Legierung aus Silber, Indium, Antimon und Tellurium. Diese Legierung hat die die schöne Eigenschaft, sich unter der Wärme eines geeigneten Laserstrahls vom kristallinen in den amorphen Zustand zu begeben. Und in diesen beiden Zuständen hat AgInSbTe unterschiedliche Reflektionseigenschaften; wie die Vertiefungen und Erhöhungen der herkömmlichen CD. Womit man wieder die Phasenverschiebung hatte. Andere, ähnliche Verfahren, die mit Farben arbeiteten, wurden entwickelt, was zur Vielfalt der Wiederbeschreib-Normen führte.



Schön, sehr schön. Aber vorbei war es damit mit dem Einmeißeln, à la Berg Sinai.

Denn auch der Zahn der Zeit verwandelt AgInSbTe aus dem kristallinen in den amorphen Zustand. Es ist ungefähr so, als würde in einer mittelalterlichen Handschrift die Tinte allmählich auslaufen und eine uniforme Fläche erzeugen. Ähnlich ist es bei den anderen, auf Farben basierenden Verfahren. Kurz, die wiederbeschreibbaren CDs haben mit einem Pudding mehr Ähnlichkeit als mit Moses' Gesetzestafeln.



Ich sammle Material zu Arno Schmidt. Zu meinen Schätzen gehören Aufzeichnungen der "Nachtprogramme" aus den fünfziger Jahren, eigenhändig auf CD-ROM gebrannt.

Jetzt, nachdem ich mich mit dem ganzen Ernst der Situation vertraut gemacht habe, ist mir ein großer Schrecken in die Glieder gefahren, daß die Lebensspanne dieser CD-ROMs geringer sein könnte als die mir vom Schicksal zugedachte.

Vielleicht sollte ich das alles auf Videoband überspielen.

Aber was ist, wann mein Videorekorder kaputt geht und auch das nagelneue, noch nicht ausgepackte Ersatz- Gerät, das ich sicherheitshalber erworben habe? Und dann gibt es vielleicht gar keine Videorekorder mehr zu kaufen.

Die Vergänglichkeit, sie rückt näher.