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18. Juli 2009

Marginalie: German angst? Das war einmal. La peur française! Wer fürchtet sich vor der Schweinegrippe?

Ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Es tut sich was in Deutschland.

Seit den siebziger Jahren, gipfelnd in der Zeit der rotgrünen Koalition, waren wir Deutschen ein Volk von Angsthasen. Wir wurden ganz dem Bild gerecht, das man im Englischen mit German angst verbindet.

Glykol im Wein, Maden im Fisch, Feinstaub in der Luft, verstrahlte Pilze aus Polen, kindermordende Kampfhunde, Leukämie verursachende AKWs - es vergingen kaum ein paar Monate, in denen nicht irgendeine German angst grassierte.

Und jetzt? Es scheint, daß wir unter der Ruhe und Kompetenz ausstrahlenden Kanzlerin zu einem gelassenen Volk geworden sind. Es ist ein wenig wie einst unter Konrad Adenauer. Der Alte wird's schon richten, das war damals die Grundstimmung.

Man sieht das beispielsweise daran, daß der Versuch der SPD, einen ungefährlichen Zwischenfall im KKW Krümmel zu einer Beinahe- Katastrophe aufzubauschen, auf nicht eben viel Resonanz gestoßen ist. Man sieht es daran, daß die Wirtschaftskrise bisher die allgemeine Stimmung nicht wirklich getrübt hat.



Und man sieht es an der Angst vor der Schweinegrippe. Oder vielmehr deren Abwesenheit.

Demoskopen haben - es ist heute im Nouvel Observateur zu lesen - in 19 Ländern der Erde dieselbe Frage gestellt: Wieviel Sorgen machen Sie sich wegen der Schweinegrippe?

Die Reaktionen waren extrem verschieden. Am meisten Sorgen ("besorgt oder sehr besorgt") machten sich die Chinesen (64%) und die Bolivianer (59%). In Europa macht man sich am wenigsten Sorgen in den Alpen: Schweiz 7%, Österreich gar nur 3%.

Wer ist Spitzenreiter in Europa? Frankreich, das Land der - so meinen wir es ja - gelassenen Rotwein- Trinker und Gitanes- Raucher; das Land des savoir vivre. 40% Prozent der Franzosen sind besorgt oder sehr besorgt.

Und wir Deutschen? Ganz so gelassen wie unsere schweizer und österreichischen Vettern sind wir noch nicht. Aber mit 14% doch schon recht nah dran.



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20. Juni 2009

Neues aus der Forschung (3): H1N1 - Ursprung und Karriere eines Virus

Als die Schweinegrippe in die Schlagzeilen kam, dauerte es nicht lange, bis der Verdacht geäußert wurde, das Virus H1N1 stamme aus einem Labor, dem es sozusagen entkommen sei. Solche Gerüchte sind vermutlich unvermeidlich, denn in ihnen realisiert sich das Klischee, äußert sich auch die Urangst vor der wildgewordenen Wissenschaft, die uns alle gefährdet. Doktor Mabuse lebt; er ist vermutlich ebenso unsterblich wie Dr. Caligari und der Viktor Frankenstein.

In den Labors ist zwar H1N1 nicht entstanden; aber in Labors weltweit sucht man seit Ausbruch der Seuche herauszufinden, wo es denn eigentlich herkommt.

Und das ist die Geschichte von einer detektivischen Forschungsarbeit. In der aktuellen Ausgabe von Science News (Bd. 175, Nr. 13; 20. Juni 2009, S. 12) schildert Tina Hesman Saey einen Teil dieser Geschichte; einen anderen Teil hat in der Internet-Ausgabe der Zeitschrift Laura Sanders beschrieben.



Wie kann man herausfinden, wie ein Virus entstanden ist? Im Prinzip ist diese Aufgabe vergleichbar der Rekonstruktion der Evolution von Tieren oder Pflanzen.

Das Grundprinzip ist, daß man Ähnlichkeiten ermittelt, aus ihnen auf Verwandschaft schließt und aus dem Grad der Verwandschaft wiederum so etwas wie einen Stammbaum rekonstruiert.

Geschwister sind einander ähnlicher als Vettern; Vettern erstens Grades mehr als Vettern zweiten Grades. Das gilt nicht nur für das Aussehen, also den Phänotypus, sondern auch für den Genotypus. Je enger man verwandt ist, umso mehr genetische Übereinstimmungen gibt es.

Also läßt sich im Umkehrschluß aus genetischen Übereinstimmungen auf die Enge der Verwandtschaft schließen. Man kann das für einzelne Menschen tun, aber auch für ganze Populationen. Die Paläoanthropologie nutzt solche genetischen Analysen, um zum Beispiel die Wanderungswege der Frühmenschen zu rekonstruieren.

Ähnlich geht man bei Viren vor. Man kann nicht nur Verwandtschaften analysieren, sondern man kann sogar in Realzeit zurückrechnen, weil bekannt ist, wie oft es im Schnitt zu Mutationen kommt. Je mehr Mutationen zwischen zwei Varianten eines Virus liegen, umso größer ist also wahrscheinlich der zeitliche Abstand zwischen ihrer jeweiligen Entstehung.



Was hat man nun mit dieser Methodik über den Ursprung und die Karriere des Virus der Schweinegrippe H1N1 herausgefunden?

Am Anfang stand vermutlich die Spanische Grippe von 1918. Drei Gene von H1N1 - darunter das Hemagglutinin- Gen (das H in H1N1) - gehen auf sie zurück.

Diese Gene haben sich relativ unverändet in einem Schweinevirus gehalten. Dort gibt es weniger Mutationen, weil Schweine nur ein kurzes Leben haben. Mutationen an Viren entstehen nämlich vorzugsweise dann, wenn ein Organismus, der bereits immunisiert ist, erneut infiziert wird und das Virus sich dann ändert und dadurch das Immunsystem überwinden kann. Für eine Reinfektion reicht ein Schweineleben selten.

Dieses ursprüngliche Virus also hielt sich seither in Schweinen, ohne bemerkt zu werden. Es hatte nicht jene Merkmale des damaligen Erregers der Spanischen Grippe - und inzwischen des Vogelgrippe- Virus H5N1 -, die deren Überspringen auf den Menschen ermöglichten. Diese könnten eher von einem anderen Virus stammen, das H1N5 ähnlich ist und das vermutlich 1979 von Vögeln auf Schweine übersprang.

H1N1 ist also ein rechter Bastard. Eine Variante, die mit der jetzigen zu mehr als 90 Prozent übereinstimmt, dürfte in Populationen von Schweinen seit 9 bis 17 Jahren existiert haben. Die jetzige Variante scheint entstanden zu sein, als sich eine Variante, die in Nordamerika verbreitet war, mit einer Variante verband, die aus dem eurasischen Raum stammt. Vermutlich geschah das, als lebende Schweine von Amerika nach Europa oder umgekehrt transportiert wurden.



Diese Geschichte vom Ursprung und der Karriere eines Virus illustriert, wie ungeheuer mutationsfähig Viren sind. Sie ändern sich spontan, sie nehmen aber auch Gene von anderen Viren auf.

Diese Mutationsfähigkeit ist für sie ungefähr so lebenswichtig wie für den Hochstapler die Fähigkeit zur Verstellung. Denn ein Virus, das sich nicht ändert, ist bald ein Opfer der Immunabwehr. Nur Änderung sichert ihm einen Vorsprung vor dieser, bis sie aufgeholt und die passenden Antikörper entwickelt hat.

Das nun führt zu einer praktischen Konsequenz: Die Gefahr, die aus der Schweinegrippe kommt, ist keineswegs gebannt. Im Augenblick ist H1N1 nur hochinfektiös - die Gefahr einer Ansteckung ist groß, weil es in unserem Immunsystem an Antikörpern fehlt -, aber es ist nur schwach pathogen (führt in der Regel nicht zu einer schweren Erkrankung oder gar zum Tod). Aber mit jeder Mutation kann die Pathogenität drastisch zunehmen. Und die Immunabwehr ist dann immer noch schwach gegen H1N1.

Am besten wäre es, wenn wir jetzt alle an der gegenwärtigen leichten Form erkranken würden; dann wären wir sehr wahrscheinlich gegen eine mögliche schwere Form der Schweinegrippe geschützt.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Galileo Galilei, gemalt im Jahr 1605 von Domenico Robusti. Ausschnitt

11. Juni 2009

Marginalie: Auf einmal ist die Schweinegrippe wieder da! Ja, wo war sie denn? Medien als Differenzmelder

Schweinegrippe, ist die nicht längst vorbei? Ich vermute, daß viele das dachten, als sie gestern von den Infizierten der Japanischen Schule in Düsseldorf erfuhren, und nun heute davon, daß die WHO die höchste Warnstufe 6 ausgerufen hat.

Nein, die Schweinegrippe war nie vorbei gewesen. Vorbei war nur das Medieninteresse an ihr. Denn seit sie Ende April für Aufregung gesorgt hatte - ich habe damals versucht, die Gefahr nüchtern zu beurteilen -, hat das Virus H1N1 genau das getan, was die Fachleute erwarteten: Es hat sich exponentiell ausgebreitet. Täglich erkrankten Menschen, aber nur relativ wenige starben.

Also war das bald schon keine Meldung mehr wert.

Das ist ein Beispiel dafür, wie Realität und Berichterstattung in den Medien auseinanderklaffen: In der Wirklichkeit vollziehen sich die meisten Prozesse langsam, allmählich, schrittweise. Sie finden dann kaum Niederschlag in den Medien. (Ein aktueller Fall ist die Salamitaktik, mit der Hugo Chávez in Venezuela den Sozialismus einzuführen versucht; siehe den vorausgehenden Artikel).

Medien sind so etwas wie Differenzmelder. Sie sprechen auf Änderungen an, nicht auf Zustände. Und sie sprechen auf Änderungen nur an, wenn diese sich mit einer gewissen Schnelligkeit oder Dramatik vollziehen. Sie reagieren nicht, wenn das Faß sich füllt, sondern wenn es überläuft. Sie informieren uns nicht, wenn das Haus einen Riß nach dem anderen zeigt, sondern erst dann, wenn es in den Fugen kracht, wenn nicht gar einstürzt.



Jetzt wird die Schweinegrippe also wieder für ein paar Tage in den Medien sein. Danach wird sie wieder daraus verschwinden, während sie sich weiter exponentiell ausbreitet. Bis erneut etwas Dramatisches geschieht - bis vielleicht in Deutschland Hunderttausende erkranken. Oder dann, wenn ein Impfstoff entwickelt ist und der Run auf ihn einsetzt. Oder auch dann, wenn Tamiflu knapp wird.

Oder dann, wenn das eintritt, was noch immer nicht ausgeschlossen ist: Daß H1N1 eine hochvirulente Variante entwickelt. Dies ist die jetzige zum Glück nicht, obwohl die anfänglichen Berichte aus Mexiko es befürchten ließen. Die Mortalität ist gering. Hoffen wir, daß es so bleibt.



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29. April 2009

Marginalie: Vogelgrippe, Schweinegrippe. Anmerkung zu Leistungen und Grenzen wissenschaftlicher Vorhersagen

Soeben verbreiten die Agenturen die Eilmeldung, daß in Deutschland jetzt drei Fälle von Schweinegrippe bestätigt sind. Die Gefahr, daß die Epidemie sich auch in Deutschland ausbreitet, ist damit real geworden.

Wie ernst sie ist, diese Gefahr, kann zur Stunde kein Arzt, kein Wissenschaftler sagen. Da stoßen wir an die Grenzen der Wissenschaft. Wo diese liegen, und was wir von der Wissenschaft an Leistungen erwarten dürfen - darüber lohnt es sich, so scheint mir, einen Augenblick nachzudenken.

Vor knapp zwei Jahren habe ich einen Artikel zu Gefahren und deren Wahrnehmung geschrieben. Die Gefahrenwahrnehmung, so lautete die These, ist irrational. Geringe Gefahren - beispielsweise diejenigen, die von der Nutzung der Kernenergie ausgehen - werden überschätzt. Große Gefahren, die weniger in einem politischen Kontext stehen, werden unterschätzt. Als Beispiel nannte ich damals die Vogelgrippe.

Die Gefahr, daß die Vogelgrippe zu einer Pandemie führen würde, war und ist groß. Warum, das kann die Virologie genau angeben: Weil es angesichts der Wandlungsfähigkeit derartiger Viren möglich ist, daß das virulente, aber in der Regel nicht von Mensch zu Mensch übertragbare Virus H5N1 sich im Körper von infizierten Menschen mit einem menschlichen Virus verbindet, das zwar in seinen Wirkungen harmloser, aber durch Tröpfcheninfektion von einem Menschen auf den anderen übertragbar ist.

Das ist bisher nicht passiert. Es hätte passieren können. Passiert ist ein analoger Vorgang. Es war nicht H5N1, sondern das Virus der Schweinegrippe A/H1N1, das derart mutierte, daß es jetzt offenbar von Mensch zu Mensch übertragbar ist.



Hatten die Wissenschaftler, auf deren Urteil ich mich 2007 stützte, also Recht? Ja und nein. Sie kannten die Mechanismen; sie konnten Aussagen über Wahrscheinlichkeiten machen. Vorhersagen, was genau geschehen würde, konnten sie nicht.

Es ist so gekommen, wie sie befürchtet hatten, und es ist auch wieder nicht so gekommen. Die Vogelgrippe- Pandemie ist uns (bisher) erspart geblieben. Aber das Virus der Schweinegrippe hat genau das getan, was man vom Virus der Vogelgrippe befürchtet hatte.

Diese Lage der Dinge wirft ein Schlaglicht auf das, was wissenschaftliche Vorhersagen leisten können und was nicht, wenn es um komplexe Systeme geht. Was in einem solchen komplexen System - hier also bestehend aus Populationen von Tieren und Menschen samt den sie befallenden Viren - konkret geschehen wird, kann man nicht prognostizieren. Aber man kann erstens die Mechanismen angeben, die ins Spiel kommen, wenn das eine oder das andere passiert. Und man zweitens die Wahrscheinlichkeit abschätzten, daß etwas stattfindet oder ausbleibt.

Nur ganz einfache mechanische Systeme sind derart determiniert, daß man genau sagen kann, wie sie sich verhalten werden. Wie ein Pendel schwingen wird, bestimmt sich nach wenigen Parametern. Kennt man sie, dann kann man sein Verhalten exakt vorhersagen. Aber schon bei einem Doppelpendel - einem Pendel, an dem ein Pendel hängt -, wird das schwierig; bei Systemen aus dreifachen oder noch komplexeren Pendeln wird es unmöglich.

Dabei sind diese im Vergleich zu biologischen Systemen oder - ein anderes naheliegendes Beispiel - dem Weltklima von geradezu lächerlicher Einfachheit. Die Gesetze sind genau bekannt; die Zahl der Paramter ist überschaubar. Bei wirklich sehr komplexen Systemen ist beides nicht der Fall.

Nun ist es also, was das Überspringen eines Tier- Virus auf den Menschen angeht, so gekommen, wie befürchtet; und doch auch wieder anders, als befürchtet. Eine normale Situation.

Dank der Befürchtung, die Vogelgrippe könne zu einer Pandemie führen, wurde geforscht und wurden Vorsorge- Maßnahmen getroffen, die sich jetzt auszahlen werden. Auch wenn eine Gefahr sich nicht genau so, wie erwartet, realisiert, sondern nur ähnlich, kann ihre Erwartung nützlich gewesen sein.



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