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14. April 2007

Zettels Meckerecke: Filbinger, Hochhuth und die Verurteilung des Matrosen Gröger

Rolf Hochhuth soll Günther Oettinger in der "Süddeutschen Zeitung" einen "Lügner" genannt haben. So steht es in der FAZ. In einem Artikel, in dem, laut FAZ, Hochhuth auf den Fall des Matrosen Gröger einging, "den Filbinger persönlich noch in britischer Kriegsgefangenschaft hat ermorden lassen".



Das hat mich gewundert. Ich hatte das anders in Erinnerung gehabt, nachdem ich vor knapp zwei Wochen die Fakten über den Fall Filbinger nachgesehen hatte.

Hatte mich da mein Gedächtnis im Stich gelassen? Also nochmal ein Blick in den Artikel des Zeithistorikers Günter Gillessen, der den Fall sorgfältig recherchiert hat. Wie war das mit Gröger? Ich zitiere die Passage über den Fall Gröger jetzt in voller Länge:
Walter Gröger, ein einundzwanzig Jahre alter Matrose, war im Oktober 1943 auf das Schlachtschiff „Scharnhorst“ versetzt worden, das in einem nordnorwegischen Fjord lag. Während er in Oslo auf die nächste Transportmöglichkeit zu warten hatte, lernte er eine Norwegerin kennen, schlüpfte zu ihr, und alsbald planten beide eine Flucht nach Schweden.

Die Frau aber zögerte und bat nach vier Wochen einen ihr bekannten Feldwebel um Mithilfe für Grögers Verschwinden. Das führte zur Festnahme Grögers und der Frau durch die deutsche Militärpolizei. Der Untersuchungsführer und das Gericht in Oslo suchten beide Delinquenten zu schonen.

Der Matrose war zwar schon dreizehnmal disziplinarisch und einmal kriegsgerichtlich (wegen Urlaubserschleichung) bestraft worden, aber das lag schon ein Jahr zurück. Inzwischen trug er das Eiserne Kreuz zweiter Klasse und die Ostmedaille. Das Gericht erkannte auf Fahnenflucht. Die Absicht der Fahnenflucht und die Länge der Abwesenheit von der Truppe ließ keine andere Deutung zu. Das Gericht verurteilte Gröger zu acht Jahren Zuchthaus und sah von der Todesstrafe ab, weil es in dem Matrosen trotz seines beträchtlichen Strafregisters einen "guten Kern" entdeckt hatte. Die Frau wurde zu zwei Jahren Gefängnis wegen "Wehrkraftzersetzung" verurteilt. Ihre Strafe wurde ausgesetzt.

Das Bestätigungsverfahren führte in Etappen bis zum Flottenchef. Der erste Gerichtsherr, der Befehlshaber der Seeverteidigung Oslo- Fjord, entschied sich für die Bestätigung des Urteiles über Gröger, aber gegen die Strafaussetzung für die Frau. Der Flottenchef, Generaladmiral Schniewind, bestätigte die Feststellung der Fahnenflucht des Matrosen, aber nicht die Zuchthausstrafe für Gröger. Er forderte die Todesstrafe.

Damit ging der Fall zurück an das Militärgericht in Oslo. Der Untersuchungsführer, derselbe wie im ersten Verfahren, setzte alle Hebel in Bewegung, um günstige Zeugnisse früherer Vorgesetzter Grögers herbeizuschaffen, damit das Gericht mildernde Umstände nachweisen und am ersten Urteil festhalten könne.

Das Leben Grögers hing am Nachweis guter Führung. Doch alle zusätzlich eingeholten Beurteilungen fielen niederschmetternd aus. Auch die Uniformjacke mit dem Band des Eisernen Kreuzes und der Ostmedaille war gestohlen. Der Fall war aussichtslos geworden.

Filbinger war bis dahin nicht damit befaßt. Am Tag der Hauptverhandlung, Mitte Januar 1945, war der Untersuchungsführer verhindert, die Anklage zu vertreten. Filbinger, erst im Dezember nach Oslo versetzt, mußte eine Anklage übernehmen, auf deren Vorbereitung er keinerlei Einfluß hatte nehmen können. In diesem späten Stadium des zweiten Verfahrens war Filbinger angewiesen, die Todesstrafe zu fordern. Das Gericht fand keine Gründe, am milderen ersten Urteil festhalten zu können. Die Behauptung des "guten Kerns" Grögers war kollabiert.

Franz Neubauer weist in seinem Buch mit Entschiedenheit Ansichten von Kritikern zurück, Filbinger hätte Widerspruch gegen die Weisung des Flottenchefs einlegen können; aber die Weisung war nicht gesetzwidrig ergangen. Oder: Filbinger hätte um Gnade bitten können. Doch das war dem Anklagevertreter nach der Gnadenordnung verwehrt. Nur der Verteidiger konnte den Gerichtsherrn um Gnade bitten.

Immerhin waren bei Verurteilungen zum Tode die Richter verpflichtet, in verschlossenen Umschlägen dem Gerichtsherrn Gründe für einen Gnadenerweis darzustellen. Am Ende war es nicht der Flottenchef, sondern der Oberbefehlshaber der Marine selbst, Admiral Dönitz, der den Begnadigungsantrag des Verteidigers für Gröger ablehnte und die Vollstreckung verfügte. Als die Akte am 15. März 1945 in Oslo eintraf, ordnete Filbinger die Vollstreckung für den nächsten Tag an.
Hochhuths Behauptung, daß Filbinger den Matrosen Gröger "persönlich noch in britischer Kriegsgefangenschaft hat ermorden lassen", steht in krassem Gegensatz zu dem, was Gillessen schreibt.

Nach Gillessen spielte sich der Fall weder in britischer Kriegsgefangenschaft ab, noch wurde Gröger "ermordet"; sondern er wurde aufgrund der Bestimmungen des aus dem 19. Jahrhundert stammenden Militärstrafrechts rechtmäßig wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Und Filbinger hat ihn auch nicht hinrichten "lassen", sondern er hat, nachdem die Situation für Gröger aussichtslos geworden war, die Weisung des Gerichtsherren ausgeführt, für ihn die Todesstrafe zu beantragen.



Nun gilt Hochhuth als der schlechthinnige Filbinger- Experte. Immerhin hat er seinerzeit die Affäre ins Rollen gebracht.

Also wollte ich seinen gestrigen Artikel in der SZ nachlesen. Aber seltsam - er scheint sich in Luft aufgelöst zu haben.

In der SZ Online gibt es zwar allerlei zum Fall Filbinger/ Oettinger, nämlich hier. Aber der Artikel von Hochhuth, der doch gestern erschienen sein soll, wird nicht verlinkt. Als Links werden nur angeboten:
Chronik
Hans Filbinger und die Militär-Justizweiter

Günther Oettinger
Gefährliche Ausflüge in die Historie

Kommentar
Das schrille Totenglöckchen

Filbinger-Verteidigung
Merkel rückt von Oettinger ab

Dokumentation
Oettingers Rede im Wortlaut



Er kann doch nicht einfach verschwunden sein, der Artikel des Filbinger-Experten Hochhuth.

Also weiter. Suche bei Paperball. Und in der Tat, dort finde sich:
Süddeutsche Zeitung (Freitag, den 13. April 2007 - 00:03 Uhr)
13.04.2007 00:03
Herr Oettinger soll gesagt haben - und ich kann das nicht glauben: "Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.
Noch ein Klick, und ich habe ihn, den Artikel des Filbinger- Experten Rolf Hochhuth. Dachte ich. Aber was liefert der Klick? Dies:
Seite nicht gefunden. Das gewünschte Dokument konnte nicht gefunden werden. Möchten Sie die Suche benutzen um das Dokument zu finden?
Die hat auch nichts gebracht, die Suche. Das "gewünschte Dokument" scheint wie vom Erdboden verschwunden.



Hochhuth hat nach seinen Angaben "die Akte des Matrosen Gröger im Bundesarchiv in Koblenz gefunden".

Ich wüßte gern, was aus dieser Akte ihn zu der Überzeugung gebracht hat, daß der Fall nicht, wie Gillessen berichtet, im besetzten Oslo spielte, sondern in britischer Kriegsgefangenschaft.

Ich wüßte gern, was in dieser Akte Hochhuth zu der Überzeugung gebracht hat, daß Gröger ermordet und nicht vielmehr nach dem Militärstrafgesetzbuch aus dem 19. Jahrhundert rechtmäßig zum Tode verurteilt wurde.

Ich wüßte gern, was in dieser Akte Hochhuth zu der Überzeugung gebracht hat, daß die Hinrichtung Grögers von Filbinger "persönlich" herbeigeführt worden ist, und nicht vielmehr dem Urteil eines Gerichts entsprach, in dem Filbinger lediglich, für einen verhinderten Kollegen in letzter Minute eingesprungen, weisungsgemäß das Todesurteil beantragt hatte.

Ich würde also gern den Artikel des Filbinger- Experten Rolf Hochhuth lesen und ihn mit dem vergleichen, was Gillessen recherchiert hat. Nur - Hochhuths Artikel scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein.



Noch eine Bemerkung: In heutigen Kommentaren wird argumentiert, ein Militärstaatsanwalt hätte sich in der Nazi- Zeit durchaus entgegen der Weisung des Gerichtsherren verhalten können, ohne deshalb persönliche Nachteile fürchten zu müssen.

Ich kann das nicht beurteilen. Nur geht es ja darum gar nicht. Hätte Filbinger die Ausführung der Weisung verweigert, dann wäre ja Gröger nicht etwa zu einer geringeren Strafe verurteilt worden. Sondern das Gericht hätte entweder auch ohne einen entsprechenden Antrag die Todesstrafe verhängt, oder aber der Gerichtsherr hätte die Bestätigung verweigert.

Mag sein, daß Filbinger sich selbst hätte durch eine Gehorsamsverweigerung exkulpieren können. Den Matrosen Gröger retten - so, wie er andere gerettet hatte - konnte er nicht.



Und noch eine letzte Bemerkung: Ich bin, wie hier ausgeführt, für eine harte Bestrafung politisch motivierter Verbrechen. Ich war und bin insbesondere dafür, daß jemand, der sich in einer totalitären Diktatur an deren Verbrechen beteiligt hat, dafür zur Verantwortung gezogen werden sollte.

Nur wurde Gröger nicht von einem Nazi- Standgericht nach Nazi- "Recht" zum Tode verurteilt, sondern von einem regulären Marinegericht aufgrund eines Militär- Strafgesetzbuchs, das schon lange vor der Nazi- Zeit formuliert worden war.

Nur hat Filbinger es nicht betrieben, daß in diesem Fall das Todesurteil verhängt wurde, sondern er hat einen Fall in einem späten Stadium als Anklagevertreter übernommen und sich dann so verhalten, wie er vom Gerichtsherren angewiesen worden war.

Und das geschah in einer Situation, in der bereits alle Möglichkeiten geprüft worden waren, das Leben des Angeklagten zu retten.

Wenn ich diesen Fall zu beurteilen habe, dann hilft mir meine allgemeine Einstellung zu politisch motivierten Straftaten überhaupt nichts. Ich muß mich schon an den Fakten orientieren. Und ich bin in der Tat der Meinung, daß jeder das tun sollte, bevor er nicht nur über Filbinger, sondern auch über Oettinger urteilt.

12. April 2007

Randbemerkung: Die Scharia, Günther Oettinger und der Hut des Landvogts Geßler

Ich bin ein Gegner des Totalitarismus in allen seinen Spielarten. Also bin ich ein Antinazi (und auch ein Antifaschist, was ja nicht dasselbe ist). Ich bin ein Antiislamist und ein Antikommunist. Ich bin ein radikaler und überzeugter Gegner des Antisemitismus, auch wenn er sich als Antizionimus oder Antiimperialismus oder Fürsorge für die Palästinenser oder sonstwie tarnt.

Muß ich deshalb dann, wenn jemandem vorgeworfen wird, er sei ein Nazi gewesen, sofort zustimmen? Muß ich dann, wenn einer Richterin vorgeworfen wird, sie habe nach der Scharia geurteilt, sofort zustimmen?

Muß ich Jeden, sozusagen reflexhaft, für einen Kommunisten halten, dem das vorgeworfen wird? Muß ich jeden, der sich kritisch über einen israelischen Politiker und seine Politik geäußert hat (wie zum Beispiel seinerzeit Rudolf Augstein über die Groß- Israel- Politik der israelischen Rechten), für einen Antisemiten halten?

Muß ich Martin Walser, der sich sein Leben lang mit der deutschen Schuld gegenüber den Juden auseinandergesetzt und daran gelitten hat, für einen Antisemiten halten, nur weil er in einer Rede ehrlich seine Zweifel und Überlegungen zur Instrumentalisierung von Auschwitz mitgeteilt hat? Und weil ein Kritiker, der ihn schlecht behandelt und den er schlecht behandelt hat, zufällig Jude ist?

Natürlich muß ich das alles nicht. Aber ich habe zunehmend den Eindruck, daß viele das erwarten. Daß sie es von uns Skeptikern verlangen. Bei Strafe des Vorwurfs, wir seien in Wahrheit gar nicht gegen den Nazismus, den Kommunismus, den Islamismus, den Antisemitismus. Der Geßler- Hut, so kommt es mir manchmal vor, muß gegrüßt werden.

Zwei aktuelle Beispiele sind der Fall der Frankfurter Familienrichterin und heute der Fall Filbinger, der dabei ist, zu einem Fall Oettinger zu werden.



Ich bin entschieden und massiv dagegen, in irgendeiner Weise, auch indirekt, dem Islam einen Einfluß auf unsere Rechtsordnung einzuräumen.

Wer einen "Ehrenmord" begeht, der sollte wegen dieses Motivs nicht milder, sondern im Zweifelsfall härter bestraft werden. Denn es liegt auf der Hand, daß er aus einem niedrigen Motiv handelte; er nämlich sein soziales Ansehen höher stellte als ein Menschenleben. Daß in irgend einer Weise die Scharia unsere Rechtsordnung beeinflußen könnte, ist nach meiner Überzeugung inakzeptabel

Nur hat die Frankfurter Richterin, die so massiv unter Kritik geriet, das ja nicht getan, auch nicht ansatzweise. Sondern sie hatte bei der Entscheidung, ob ein Härtefall vorlag, der eine Scheidung vor Ablauf der gesetzlichen Trennungsfrist gerechtfertigt hätte, mit berücksichtigt, daß die klagende Frau einen frommen Moslem geheiratet hatte, über dessen Eheverständnis sie sich hätte klar sein können.

Mag sein, daß das juristisch falsch gewesen war; das kann ich nicht beurteilen. Mit der Verwendung der Scharia als Rechtsquelle hat es jedenfalls nichts zu tun.



Ich bin entschieden dagegen, Verbrechen milder zu bestrafen oder in einem freundlicheren Licht zu sehen, nur weil die Täter politisch motiviert waren. Das gilt für NS-Verbrecher, es gilt für Dschihadisten, es gilt für die RAF und andere kommunistische Verbrecher.

KZ-Mörder, Mauermörder, RAF-Mörder, islamistische Mörder werden durch ihre Motive nicht gerechtfertigt; sondern sie sollten nach meiner Überzeugung besonders hart bestraft werden, weil sie ihre Taten auch noch ideologisch zu bemänteln versuchten und versuchen. Sie sind in der Regel uneinsichtig; ein klassischer Grund für die Ausschöpfung des jeweiligen Strafrahmens.

Ich war, obwohl ich Gegner der Todesstrafe bin, damit einverstanden, daß 1962 Adolf Eichmann hingerichtet wurde; denn es gibt so etwas wie einen Anspruch der Opfer, daß an einem so exorbitant schuldigen Täter Gerechtigkeit geübt wird. Ich war und bin der Meinung, daß viele Nazi-Verbrecher zu milde bestraft wurden.

Nur war Hans Filbinger kein Nazi-Verbrecher. Er war kein Nazi, und er hat keine Verbrechen begangen. Er war das Opfer einer Kampagne der Abteilung X der HVA des MfS und eines eitlen Dramatikers, der später dadurch hervortrat, daß er ein Theater erwarb und als Eigentümer verfügte, daß Stücke von ihm zu spielen seien; so jedenfalls der "Tagesspiegel".

Der Ministerpräsident Oettinger hat in seiner gestrigen Trauerrede das gesagt, was die Wahrheit ist. Wer das nicht glaubt, den bitte ich, den penibel recherchierten Artikel von Günther Gillessen zu lesen. Soweit mir bekannt ist, ist in keinem einzigen Punkt bisher Gillessen eine Ungenauigkeit nachgewiesen worden.



Noch eine allgemeine Überlegung. Natürlich haben Politiker sich nach anderen Gesichtspunkten zu richten als ein Journalist oder ein Blogger, der sine ira et studio das schreiben kann, von dessen Richtigkeit er nach bestem Wissen und Gewissen überzeugt ist. Nur gebe ich dies zu bedenken:

Wenn man einen nachdenklichen und ehrenwerten Mann wie Martin Walser als Antisemiten brandmarkt - wird das nicht bei vielen die Überlegung auslösen, dann könne der Antisemitismus doch gar nicht so schlimm sein, wenn jemand wie Walser zu den Antisemiten gehört?

Wenn man den anständigen, katholisch- konservativen Hans Filbinger (von Verschwörern des 20. Juni bekanntlich für ein Amt vorgesehen) als Nazi, gar als "sadistischen Nazi" tituliert - wird das nicht zu der Überlegung führen, daß die Nazis dann so schlimm doch nicht gewesen sein können?



Am Ende zahlt sich auch in der Politik Augenmaß aus. Wer bei jedem Knacken im Gebüsch "Der Wolf!, der Wolf" ruft, dem glaubt man auch dann nicht mehr, wenn wirklich ein Rudel Wölfe im Anmarsch ist.