8. Februar 2020

Republik der Feiglinge oder Republik der Angst?

Die Wahl von Thüringen ist wahrlich nicht nur eine Zäsur in Deutschlands politischem Betrieb, sie ist auch ebenso ein Augenöffner, den diese Autor in dieser Form nicht für möglich gehalten hätte. Diese Moment der außerordentlichen Klarheit eines Zustandes, noch dazu eines ganzes Landes, sind selten, selbst Wahlen verschleiern gerne den wahren Character ihres Hintergrundes, von mehr oder minder manipulierten Meinungsumfragen gar nicht erst angefangen.

Was sich in den vergangenen drei Tagen deutlich gezeigt hat ist die alles beherrschende Eigenschaft der deutschen Politik: Angst. Selten war Angst so deutlich zu spüren, zu sehen, wahrzunehmen, ja zu atmen.

Im Rahmen des Thüringer Kesseltreibens (das inzwischen ja in diversen Threads im kleinen Zimmer beharkt wird), hat die Tagesschau eine ausgesprochen faszinierende Umfrage veröffentlicht. Dabei ging es um die Frage ob Kemmerich jetzt zurücktreten sollte oder nicht. Gut, die Tagesschau hat die Umfrage bezahlt und entsprechend ist auch das Ergebnis auf Linie: 61% der Befragten wollten dann den Rücktritt. Gut, das mag stimmen, mag auch weniger stimmen, nach der massiven Berichterstattung ist das nicht unbedingt die Sensation. Oder doch? Doch, es ist eine kleine Sensation. Wenn man das Ergebnis mal umgekehrt betrachtet. In einer solchen Stimmung der veröffentlichten Meinung der vergangenen Tage ist es doch beeindruckend, dass 39% der Meinung sind, dass er nicht zurücktreten sollte. Das zwar keine Mehrheit aber doch eine satte Menge.
Und hier wird es dann spannend: Das sind nicht alles AfD Wähler (nicht einmal in den feuchten Träumen von Björn Höcke), dass sind fast 40% der normalen Wähler, selbst wenn wir einen Höhenflug der AfD vermuten ist das immer noch die doppelte Menge. Also sind noch wesentlich mehr Menschen, die nicht die AfD wählen, der Meinung, jetzt issers, jetzt soll er mal machen.

Aber es wird noch spannender: Sieht man sich dagegen die veröffentlichte Meinung an, dann sind 99% derjenigen der Meinung, dass er unbedingt sofort zurücktreten muss (wie es ja jetzt auch geschehen ist). Und das zieht sich durch alle Parteien, durch alle Sender, durch alle Zeitungen, durch nahezu die komplette(!) veröffentlichte Meinung. Da ist kaum einer (mir ist eigentlich niemand aufgefallen, mal ab von Hans Georg Maaßen und der ist nicht einmal in der FDP), der es auch nur wagen würde mal eine Gegenposition einzunehmen. In der ganzen FDP hat nicht einer den A. in der Hose um mal zu sagen: Ihr habt sie doch nicht alle. In der CDU ist es fast noch schlimmer: Statt mal den eigenen Landesverband zu stärken wird der Landesvorsitzende per order de Kanzlerin abgeschossen. Der Ostbeauftragte der CDU verliert seinen Posten (auf selbe Order hin), weil er dem Wahlsieger auch nur gratuliert hatte. Keiner, aber auch wirklich keiner, hat auch nur soviel Rückrat, um hier mal festzustellen, was ein Irrsinn da läuft. Kemmerich wird privat bedroht, seine Kinder werden bedroht, nicht EINER(!) stellt sich mal hin und sagt mal deutlich, was das über die vereinte Linke aussagt. Die selben Leute die permanent von Morddrohungen schwadronieren und der Vergiftung des politischen Klimas, haben weniger ein Problem damit wenn Kinder bedroht werden. Sind ja nicht ihre. Stattdessen stellt man Ultimaten an den Bedrohten. Irrsinn.

Kein Künstler, kein Moderator, kein öffentlicher "Denker", kein Politiker stellt sich mal offen hin und sagte mal deutlich, dass dieser Irrsinn so nicht laufen darf. Sie haben allesamt eins: Angst. Sie haben Angst um ihre Existenz, ihre soziale Rolle, ihre Posten, ihr Geld und im Extremfall um ihre Gesundheit. Alleine die Assoziation ist gefährlich, alleine ein Aufruf zur Mäßigung wäre heute schon ein Ansatz zur Exkommunikation.

Unser Zimmermann Frank2000 schrieb neulich im kleinen Zimmer, dass der Sieg der Linken in Deutschland vollständig sei. Ich habe dem widersprochen. Und ich würde ihm immer noch widersprechen wollen (vielleicht heute allerdings etwas weniger selbstsicher). Der Sieg der Linken im Land ist (noch) nicht vollständig (sonst wäre die Linke auch nicht so hysterisch in ihren Reaktionen). Aber sie beherrscht auf jeden Fall inzwischen die öffentliche Meinung vollständig. Wir leben in einem Land, wo sich keiner mehr traut öffentlich etwas gegenteiliges zu sagen, insofern ist der vor einigen Monaten durchs Land geisternde Begriff des Meinungskorridors noch deutlich untertrieben: Es gibt einen Meinungskorridor, der mit mit so massivem Stacheldraht gesichert ist, dass die Vertreter des öffentlichen Betriebes eine unheimliche Panik davor haben diesem Draht auch nur nahe zu kommen.

Und was Menschen aus Angst tun ist wiederum in sich selbst beängstigend. Menschen tun die dümmsten und furchtbarsten Dinge, wenn sie Angst haben (wer das nicht glaubt darf sich gerne mal die Geschichte von Kambodscha zu Gemüte führen). Menschen, die Angst um ihr Leben haben, sind durchaus bereit andere Menschen zu töten. Menschen die Angst vor Folter haben sind oftmals bereit zu foltern. Und Menschen, die Angst um ihre soziale Existenz haben, sind durchaus bereit die soziale Existenz anderer zu vernichten (selbst wenn sie in der Sache nicht davon überzeugt sind). An letzterem Punkt sind wir in Deutschland. Ich glaube nicht ernsthaft, dass auch nur die Hälfte der "konservativen" und "liberalen" Gesichter der Parteien einen Sozialisten einem FDP-Vertreter ernsthaft vorziehen würde. Aber keiner kriegt die Zähne auseinander. Ich glaube auch, dass die Angriffe, die auf Kemmerichs Familie stattfinden, die Drohungen und Einschüchterungen von einer Menge Leute, auch und gerade in der Presse, als abstossend empfunden werden. Aber nicht einmal mehr darauf kriegt einer die Zähne auseinander. Das eine Kanzlerin in ihrer vollen autokratischen Selbstherrlichkeit mal eben einen Politiker aus dem Dienst werfen kann, weil er einem Kollegen gratuliert hat, und diese Gratulation selbst unter boshafter Interpretation kaum als Problem gewertet werden kann: Keiner sagt etwas. Und die vereinte Linke, von Habeck über die SED bis Böhmermann wittert Morgenluft und schlägt nicht nur unter die Gürtellinie sondern tritt mit Anlauf unter selbige: Keiner kriegt den Mund auf um diesem Pack(!) Einhalt zu gebieten. Sie sind völlig außer Rand und Band, werfen mit Nazivergleichen um sich und sind wie von Sinnen. Keiner streckt den Kopf aus. Alle haben die Hosen bis obenhin voll.

Wer also glaubt, dass eine "Wende" aus Parteien wir CDU und FDP erfolgen soll (ich mache mich nicht so lächerlich hier die SPD mit aufzuführen), oder aus selbsterklärt konservativen Zeitungen wie der Welt, der FAZ oder gar der Blöd-Zeitung, der soll mir erst einmal erklären, warum er glaubt, dass die in Zukunft plötzlich ihr Rückrat wiederfinden sollen. Die Reaktion von Karrenbauer wie auch der anderen Speichellecker aus Merkels Hofstaat war nahe liegend (die Angst vor Merkel ist dieser Tage in der CDU die zentrale verbindende Eigenschaft), dagegen waren die Reaktionen von Lindner und Merz so enttäuschend wie ehrlich. Auch die beiden konnte kaum schnell genug in Deckung gehen. Wenn die beiden schon nicht in der Lage sind sich auch nur ein bisschen aus der Schildkröte zu trauen, wie sollen andere das dann tun? Wenn schon die Gratulation(!) zu einem Wahlsieg dazu ausreicht seinen Job zu verlieren? Und keiner sagt was. 
Menschen wie Maaßen, Sarrazin oder auch Lengsfeld sind selten. In der Politik gibt es nur Einzelne, in der Journallie sind sie schon was von Bigfoot (man hat davon gehört, aber gesehen hat ihn kaum jemand). Nicht viele Menschen sind bereit ihre soziale Existenz zu riskieren, um eine Meinung auszudrücken. Und mit jedem der öffentlich abgeschossen wird, sinkt die Bereitschaft.

Als man zu meiner Zeit zur Schule ging war das dritte Reich bereits das beherrschende Geschichtsthema Nummer 1 (einmal in der Unterstufe, einmal in der Mittelstufe und bis zum Erbrechen in der Oberstufe). Und permanent wurde die Frage direkt wie indirekt gestellt: Warum haben so viele das zugelassen? Warum waren es nur Einzelne, die aufbegehrten und sich wehrten? Und die selbe Frage stellte man später (wenn auch in viel kleinerer Form) im Bezug auf die DDR: Warum haben sich so wenige gewehrt? Und eine Zeit lang war es üblich (heute aufgrund der Zeitdistanz ist das deutlich schwieriger) die Frage mit Vorwürfen an die eigenen Großeltern zu garnieren. Wie konntet ihr? Warum habt ihr nicht? Nun, die Frage an sich ist durchaus berechtigt. Aber mit welcher Berechtigung kommt sie von Leuten, die heute, wo ihnen keine Erschießung droht, wo nicht Bautzen wieder eröffnet ist (noch nicht, aber die SED arbeitet dran) nicht einmal in der Lage sind einen Skandal einen Skandal zu nennen? Ihr kriegt ja selbst heute die Zähne nicht auseinander. Wenns ums dritte Reich geht, dann ist Deutschland heute ein Land des Widerstandes. Kaum einer, der nicht ganz sicher und fest im Widerstand zum dritten Reich stünde. Zumindest nach eigenem Bekunden. Aber wenn eure Nachbarn bedroht werden, wenn Leute Jobs verlieren, weil sie jemandem zu einer Wahl gratulieren, wenn ihr es nicht einmal beim Namen nennt, wenn eure Frau Kanzler von unverzeihlichen Vorgängen fabuliert und demokratische Wahlen "rückgängig" machen lässt, dann könnt ihr nicht einmal Pieps sagen.

Ich sag es ganz simpel an die ganzen Vortänzer, Parteivorsitzenden, Medienmacher, Journalisten und wie ihr Euch sonst alle nennt: Nicht einer von Euch wäre im Widerstand gewesen. Nicht einer von Euch hätte den Namen verdient. Ihr wärt brav mitgelaufen und hättet Euch in euren Schlaf geschlottert. Und am Ende hättet Ihr Euch eingeredet, dass das auch alles richtig so ist. Genau so wie ihr das heute tut.


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Llarian

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