29. Februar 2020

COVID-19. "The Eyes of Darkness" - eine unheimliche literarische Voraussage aus dem Jahr 1981?



Ja - und nein. Aber der Reihe nach.

*          *          *
I.
Zunächst ist es - ja: wie soll man das Gefühl beschreiben? - unheimlich, beklemmend, auf jeden Fall überraschend, wenn man erfährt, daß der gegenwärtige Ausbruch des neuartigen Corona-Virus, 2019-nCoV (gönnen wir uns schon zum Auftakt die kleine Detailpusseligkeit: das Kürzel steht für new Corona Virus, während die vom Erreger ausgelöste Erkrankung nach den vor drei Wochen geänderten Regularien der Weltgesundheitsbehörde WHO als CoViD-19 bezeichnet wird, als Corona Virus Disease 19), der zum gegenwärtigen Zeitpunkt beinahe 86000 Erkrankte und 2941 Todesopfer gefordert hat und momentan auch bei uns Anzeichen zeigt, in den kommenden Wochen zur Pandemie zu werden, anscheinend in einem lange vergessenen Thriller auf dem Jahr 1981 in gespenstischer Weise vorweggenommen wurde. In Dean R. Koontz' Roman "The Eyes of Darkness," im Mai 1981 zuerst im amerikanischen Verlag Pocket Books als Taschenbuchoriginal unter dem Pseudonym "Leigh Nichols" erschienen, geht es um die Bedrohung durch einen Erreger, durch ein im Labor erzeugtes Killervirus, die ultimative biologische Waffe, der seine tödliche Wirkung entfaltet, indem er die Lungen der von ihm Befallenen zerstört und der - dies ist der Clou - nach dem Ort benannt ist, an dem sich das geheime Labor befindet: "Wuhan-400". 


Was davon zu halten ist (davon mehr im Abschnitt III), eines steht schon jetzt fest: als Fall einer "literarischen Prophezeiung", einer unheimlichen Antizipation einer Katastrophe auf den Seiten eines Romans, wird dies den bisherigen "Spitzenreiter", das in solchen Fällen bislang immer wieder angeführte Beispiel fürderhin ablösen: nämlich den ansonsten völlig vergessenen kleinen Roman Futility des ebenso völlig vergessenen US-amerikanischen Autors Morgan Robertson (1861-1915) aus dem Jahr 1898, der in gespenstischer Weise den Untergang der RMS Titanic vierzehn Jahre später in den eisigen Fluten des Nordatlantiks vorwegnahm..

II.
Mit literarischen Vorwegnahmen ist es eine eigene Sache. Meist sind es nur kleine Details, die im Großen und Ganzen des Buchgeschehens nur eine belanglose Rolle spielen, einzelne Facetten, lucky guesses, die unverbindlich neben unzähligen Fehlgriffen angesiedelt sind, wie etwa ganz am Auftakt von Robert A. Heinleins erstem Roman aus dem Jahr 1940 (damals nur als Magazinveröffentlichung erschienen), "If This Goes On," in dem in der Eröffnungsszene ein Regierungsbeamter aus Washington DC einem Laborleiter in Los Angeles zur falschen Zeit seine Aufwartung macht, weil seine Armbanduhr die Zeitsignale als Radioimpulse empfängt und er vergessen hat, von Washingtoner aus Westküstenzeit umzustellen. Für den weiteren Verlauf der Handlung ist dies von keiner Bedeutung: es handelt sich um die von Heinlein in die SF eingeführte Beglaubigungstechnik, kleine Details en passant zu erwähnen, um beim Leser den Eindruck: aha! das spielt in der Zukunft! zu erzeugen. Aber immerhin: RAH hat die Funkuhr erfunden! In der von Arthur Bremer 1910 zusammengestellten Aufsatzsammlung Die Welt in 100 Jahren findet sich, neben hochstimmungsvollen, aber absolut inhaltsfreien Jubelgesängen auf die kommende lichte Zeit (etwas von der Autorin des "Jahrhunderts des Kindes", Ellen Key) und Frivolitäten, die gestellte Aufgabe der Zukunftsschau ersichtlich nicht ernst nehmen (Wochenendausflug mit dem Zeppelin zum Mond zur Safari auf Mondkälber) genau ein Aufsatz abgedruckt, der das oben angesprochene Staunen präzise auslöst: der zur Telekommunikation zu Anfang der 21. Jahrhunderts. Zwar konnte der Verfasser nichts von der Halbleitertechnik, der Miniaturisierung auch nur ahnen: aber in seiner Vision trägt jedermann ein Funkgerät bei sich, allerorten, rund um die Uhr, der telefonische Kontakt mit jedermann auf dem ganzen Globus ist eine Selbstverständlichkeit, die sofortige sämtlicher Informationen zum Weltgeschehen, zu allen Wissensgebieten, die Versendung farbiger Bilder und Bewegtaufnahmen durch jeden "Fernsprechteilnehmer" (wie der terminus technicus vor 100 Jahren lautete)  sind so alltäglich geworden, daß das Wunder ihrer technischen Umsetzung nicht einmal mehr schemenhaft ins Auge fällt. (Robert Sloss, "Das drahtlose Jahrhundert," S. 27-48.) Das sind Momente, an denen man sich als Leser kneifen möchte, um es glauben zu können. Daß, den damaligen technischen Beschränkungen gemäß, die Smartphones in der Größe von Zigarrenkisten am Gürtel getragen werden und die Antennen sich meterlang als Girlande um die allgegenwärtigen hohen Damenhüte und die Melonen der Herren winden, tut diesem raren Volltreffer beim Blick in die Glaskugel keinen Abbruch.

Morgan Robertsons Kurzroman spielt in einer anderen, spezielleren Liga. Die gut 130 Seiten seines Kurzromans schildern die Jungfernfahrt des nach Textauskunft größten gebauten Passagierschiffs, mit dem bezeichnenden Namen Titan, der aufgrund der Ehrgeizes von Reederei und Kapitän, das Blaue Band für die bis dahin schnellste Atlantiküberquerung in einer Aprilnacht mit einem Eisberg kollidiert und unter einen entsetzlichen Verlust von Menschenleben sinkt. Die technischen Details, die der Autor ausgiebig schildert, verstärken diesen Eindruck erheblich. Dabei fallen zwei kleine Umstände ins Auge: zum einen, daß viele dieser Details erst in die Neuauflage aufgenommen wurden - oder angepaßt wurden, als das kleine Buch nach der Havarie des Flaggschiffs der White Star Line 1912 seine erste Neuauflage, unter dem geänderten Titel The Wreck of the Titan, or, Futility erfuhr (so wurden etwa die Länge des Schiffs und die Tonnage erheblich nach oben "korrigiert"). Zum anderen hat der Verfasser stets darauf bestanden, hier nur die gängigen Trends im Schiffbau extrapoliert zu haben und die Erfahrungen, die er in den zwei Jahrzehnten, als er selbst als Schiffsoffizier diente, zur Anwendung gebracht zu haben.



III
Es meint keinen Tort, wenn man den (ebenfalls US-amerikanischen) Autor Dean R. Koontz als "Massenschreiber" bezeichnet. Seit seinem Erstlingsroman Star Quest  aus dem Jahr 1968 hat er, wenn ich mich nicht verzählt habe, bis heute 107 Romane veröffentlicht, dazu rund 70 kürzere Erzählungen. Seine frühen Veröffentlichungen, bis etwa zur Mitte der 1970er Jahre, sind dabei zumeist der Science Fiction zuzurechnen; im Gefolge des Booms der Horror-Literatur, die Ende der 60er Jahre einsetzte und für deren beginn Ira Levins Rosemary's Baby von 1967 stand, verlegte er sich immer mehr auf diese Sparte; seine Romane arbeiten dabei zumeist mit den klassischen Elementen des Thrillers, in aller Regel garniert mit mehr oder weniger heftigen Einschüssen des Übernatürlichen. Gelegentlich ist er als "the poor man's Stephen King" bezeichnet worden - kein großes Lob, aber die Klassifizierung trifft es durchaus. Anders als beim "King of horror" hat keiner seiner zahllosen Texte das erreicht, oder das geschildert, was man eine "ikonische Wirkung" nennen könnte - Szenen, Figuren, Schauplätze, die sich ins Gedächtnis der Leser (und Zuschauer) einbrennen - wie etwa der dämonische Clown Pennywise aus It oder das Overlook Hotel in The Shining. Tatsächlich haben die meisten Texte Koontz' eine seltsam sedierende Wirkung, wenn ich meine überaus sporadische Lektüre da frivolerweise als Richtschnur nehme: sie sind als anspruchsloser Zeitvertreib recht passabel, unkonzentrierte Eisenbahnlektüre (gemäß Tucholskys Ruf nach gehaltvollerem Leserstoff für die Nacht: "Ein Buch ist doch keine Eisenbahn!"), aber nach nicht mehr erinnert, nachdem die letzte Seite umgeblättert worden ist. Bücher, die - das haben sie eben mit dem Gros der Kriminal- und Spannungsliteratur gemeinsam - das Hinterfragen, die Analyse weder herausfordern noch lohnen.

The Eyes of Darkness war Koontz' 43. Roman und der zweite, den er unter dem Pseudonym Leigh Nichols veröffentlicht hat (nach The Key to Midnight aus dem Jahr 1979). Die Handlung, in der das oben erwähnte Killervirus Wuhan-400 die klassische Rolle des McGuffin einnimmt, ist, von einer Reihe seitenfüllenden Mäandern bereinigt, recht schlicht: die ersten Kapitel kaprizieren sich auf die Probleme der Hauptfigur Christina Evans, deren Bühnenkarriere als Sängerin in Las Vegas (an dieser Wahl zeigen sich schon die grellen Kolportageelemente) daran zu scheitern droht, daß ihr zwölfjähriger Sohn vor 13 Monaten von einer zweiwöchigen Pfadfinderexkursion in die Rocky Mountains nicht zurückgekehrt ist. Das gesamte Fähnchen Fieselschweif, unter Leitung eines erfahrenen erwachsenen Truppführers, ist ums Leben gekommen. Ihre Ehe ist daran zerbrochen. Die ersten Kapitel schildern nun das verstörende Auftauchen von unerklärlichen Zeichen und Botschaften, die diese einschneidende Verlusterfahrung, an der ihr leben zu zerbrechen droht, infrage stellen: sie sieht ihren Sohn schemenhaft in der Menge der Passanten, an Hauswänden und im Treppenhaus erscheinen Graffiti: "NOT DEAD!", in Träumen sieht sie, immer deutlicher, Straßen, scheinbare Erinnerungsfetzen, Ortsschilder. Der unausweichlichen Handlungslogik des Genres folgend gelingt es ihr, auf dem letzten Drittel, mit Hilfe ihres neuen Lebensabschnittspartners, Elliott Stryker, bis zu ihrem Sohn vorzudringen und das Geheimnis seines Verschwindens zu lüften. 

Ihr Sohn Danny befindet sich als Gefangener - und Versuchskaninchen - in einer geheimen Forschungseinrichtung des Armee, einem Biowaffenlabor. Und in diesem Labor war es zu einem Unfall gekommen, als sich der Pfadfindertrupp in der Nähe befand.

"Right now I just want to know how the hell Danny wound up in this place."
"To understand that," Dombey said, "you have to go back twenty months. It was around then that a Chinese scientist named Li Chen defected to the United States, carrying a diskette record of China's most important and dangerous new biological weapon in a decade. They call the stuff 'Wuhan-400' because it was developed at their RDNA labs outside the city of Wuhan, and it was the four-hundredth viable strain of man-made microorganisms created at that research center."
"Wuhan-400 is a perfect weapon. it affects only human beings. No other living creature can carry it. And like syphilis, Wuhan-400 can't survive outside a living human vody for longer than a minute, which means it can't permanently contaminate objects or entire places the way anthrax and other virulent microorganisms can. And when the host expires, the Wuhan-400 within him perishes a short while later, as soon as the temperature of the corpse drops below eighty-six degrees Fahrenheit. Do you see the advantage of all this?"
Christina was too busy with Danny to think about what Carl Dombey had said, but Elliot knew what the scientist meant. "If I understand you, the Chinese could use Wuhan-400 to wipe out a city or a country, and then there wouldn't be any need to conduct a tricky and expensive decontamination before they moved in and took over the conquered country."
"Exactly," Dombey said. "And Wuhan-400 has other equally important advantages over most biological agents. For one thing, you can become an infectious carrier only four hours after coming into contact with the virus. That's an incredibly short incubation period. Once infected,, no one lives more than twenty-four hours. Most die in twelve. It's worse than the Ebola virus in Africa - infinitely worse. Wuhan-400's kill-rate is one hundred percent. No one is supposed to survive. The Chinese tested it on God knows how many political prisoners. They were never able to find an antibody or an antibiotic that was effective against it. The virus migrates to the brain stem, and there it begins secreting a toxin that literally eats away brain tissue like battery acid dissolving cheesecloth. It destroys the part of the brain that controls all of the body's autonomic functions. The victim simply ceases to have a pulse, functioning organs, or any urge to breathe."
"And that's the disease Danny survived," Elliot said.
"Yes," Dombey said, "As far as we know, he's the only one who ever has." 

(Alle Zitate finden sich im Kapitel 38; "RDNA" steht für "Recombinant DNA"; "strep throat" ist Tonsillitis, Nichtmedizinern geläufiger als Mandelentzündung.)

"But why was he infected in the first place?"
"It was an accident," Dombey said.
"I've heard that one before."
"This time it's true," Dombey said. "After Li Chen defected with all the data on Wuhan-400, he was brought here. We immediately began working with him, trying to engineer an exact duplicate of the virus. In relatively short order we accomplished that. Then we began to study the bug, searching for a handle on it that the Chinese had overlooked."
"And someone got careless," Elliot said.
"Worse," Dombey said. "Soneone got careless and stupid. Almost thirteen months ago, when Danny and the other boys in his troop were on their winter survival outing, one of our scientists, a quirky son of a bitch named Larry Bollinger, accidentally contaminated himself while he was working alone one morning in this lab."
Danny's hand tightened on Christina's, and she stroked his head, soothing him. To Dombey, she said, "Surely you have safeguards, procedures to follow when and if -"
"Of course," Dombey said. "You're trained what to do from the day you start to work here. In the event of accidental contamination, you immediately set off the alarm. Immediately. Then you seal the room you're working in. If there's an adjoining isolation chamber, you're supposed to go into it and lock the door after yourself. A decontamination crew moves in swiftly to clean up whatever mess you've made in the lab. And if you've infected yourself with something curable, you'll be treated. if it's not curable...you'll be attended in isolation until you die. That's one reason our pay scale is so high. Hazardous-duty pay. The risk is part of the job."


Und an dieser Stelle erfolgt ein Umschlag ins Sadistische, ins Grell-Übersteuerte. Der Laborleiter mißbraucht Danny, aus reiner perverser Lust am Quälen, nachdem aus seinem Blut ein Gegenmittel gegen die teuflische Biowaffe gewonnen worden ist. Es dürfte kein Zufall sein, daß diese Joseph-Mengele-Figur einen japanischen Namen trägt - hier schwingen Assoziationen an die entsetzlichen Menschenversuche mit, die die japanische "Einheit 731" während des Zweiten Weltkriegs bei der Entwicklung und "Erprobung" von biologischen Kampfmitteln im nordchinesischen Mandschukuo unternommen hat. Der "japanische Kriegsverbrecher" taucht in der amerikanischen (viel seltener der englischen) Kolportageliteratur der 1970er und 1980er Jahre seltener auf als der "sadistische Nazi", aber mitunter stößt man auf diese Figur (in Carl Sagans Roman Contact von 1985 gibt es ein weiteres Beispiel).

As the three of them moved to the airtight steel door that led into the room beyond the window, Elliot said, "Why is he in an isolation chamber? Is he ill?"
"Not now," Dombey said, stopping at the door, turning to them, evidently disturbed by what he had to tell them. "Right now he's on the verge of starving to death because it's been so long since he's been able to keep any food in his stomach. But he's not infectius. He *has* been very infectious, off and on, but not at the moment. He's had a unique disease, a man-made disease created in the laboratory. He's the only person who's ever survived it. He has a natural antibody in his blood that helps fight off this particular virus, even though it's an artificial bug. That's what fascinated Dr. Tamaguchi. He's the head of this installation. Dr. Tanaguchi drove us very hard until we isolated the antibody and figured out why it was so effective against the disease. Of course, when that was accomplished, Danny was of no more scientific value. To Tamaguchi, that meant he was of no value at all...execpt in the crudest way. Tamaguchi decided to test Danny to destruction. For almost two months they've been reinfecting the boy over and over again, letting the virus wear him down, trying to discover how many times he can lick it before it finally licks him. You see, there's no permanent immunity to this disease. It's like strep throat or the common cold or like cancer, because you can get it again and again...if you're lucky enough to beat it the first time. Today, Danny just beat it for the fourteenth time."


Der Effekt dieser uferlosen Quälerei ist, in Danny übernatürliche Fähigkeiten zu wecken - diese sind es, die es ihm ermöglicht haben, sich seiner Mutter zu manifestieren (ob diese Erscheinungen "real" waren oder nur eindringliche Halluzinationen, läßt das Buch offen); es wird impliziert, daß seine beispiellose Immunität in dieser bislang latenten Fähigkeit begründet liegt.

Oben war die Rede von einem McGuffin. Der Konnex zu China ist im Roman arbiträr, den zufälligen Zeitumständen geschuldet. Die Bezeichnung "Wuhan-400" findet sich erst in der ersten gebundenen Neuausgabe des Buchs, die im April 1989 im amerikanischen Kleinverlag Dark Harvest, der auf Sammlerausgaben spezialisiert war, unter Koontz' eigenem Namen erschienen ist. (Die signierte Vorzugsausgabe dieser Aufgabe kostete damals 45 Dollar und umfaßte 400 Exemplare.) In der Erstausgabe stammte der Erreger aus dem sowjetischen Gorki, die Daten zum "Nachbauen" waren auf Mikrofilm gespeichert und der fragliche Überläufer hieß Ilya Poparopov. Ansonsten sind die betreffenden Abschnitte textgleich.


Halten wir also fest: im Roman kommt es nicht zu einem Ausbruch des Virus - es steht lediglich die Drohung eines solchen Einsatzes als Movens im Hintergrund, der die Handlung in Gang setzt. Und diese Handlung, die sich auf den Westen der Vereinigten Staaten beschränkt, kreist um das Parapsychologische und grellste Kolportage. Der Virus hat eine Inkubationszeit von vier Stunden und ist zu 100% tödlich (warum diese Parameter  biologischen Unfug darstellen, kann ich, falls Nachfrage besteht, später einmal begründen). Als kleines Schmankerl sei erwähnt, daß Antibiotika bei Viren definitionsgemäß wirkungslos sind;  das Auftreten von Infektionen trotz massiver Anwendung von Antibiotika hat in den 1920er Jahren erst zur Entdeckung der Viren geführt. Vor diesem Hintergrund wirkt die zunächst so unheimliche Paßgenauigkeit - dem Thema entsprechend wären dies die Rezeptoren der Viren, im Fall von 2019-nCoV die ACE2-Rezeptoren der Zellwand, die dem Virus das Andocken an die Wirtszelle erst ermöglicht - erheblich weniger, nun, beunruhigend. Krankheiten und Viren, gerade in Ausmaßen, die die Menschheit bedrohen, sind seit langem ein literarischer Kunstgriff, um die Erde als Schauplatz weitestgehend zu entvölkern - anfangen mit Mary Shelleys zweitem heute noch bekanntem Roman nach Frankenstein, or The Modern Prometheus (1818), The Last Man von 1827,  über Richard Jefferies' After London von 1885, dem einstmals meistgelesenen Beispiel des pastoralen Genres - George R. Stewarts Earth Abides - von 1948, Stephen Kings The Stand von 1978 und Carl Amerys letztem Roman Das Geheimnis der Krypta (1990), in dem eine grüne Terrororganisation durch ein designtes Killervirus nicht nur plant, neunzig Prozent der Weltbevölkerung zu töten, "um die Erde zu retten", sondern dieses Vorhaben auch ausführen kann. (Der Autor läßt übrigens durchblicken, daß er diese "Korrektur" ausdrücklich gutheißt.) - um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen. Es ist wahrscheinlich unausweichlich, daß bei der Streuung der dort vorgeschlagenen Agenzien irgendwann einmal eine solche "Paßgenauigkeit" auftauchen mußte. Wie bei so vielen Prophezeiungen wirkt so etwas frappanter, wenn man die hunderte von Beispielen, bei denen das nicht der Fall ist, nicht zu sichtbar neben den Treffer ins Schwarze rückt.


(Titelbild der deutschen Übersetzung, 2004 im Heyne Verlag erschienen)

IV.
Und dennoch...








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U.E.

© Ulrich Elkmann*. Für Kommentare bitte hier klicken.