19. Februar 2020

Ein Wald von Fragezeichen

Alle politischen, philosophischen und religiösen Gewissheiten, wie die Natur zu retten wäre und damit auch die Menschheit, scheinen verloren zu sein. Das Denken nur mit Bedenken ist in einen Abgrund geschlingert, in dem es nun zweifelnd liegt und zu den Kondensstreifen hochschaut: Ist alles vergeblich? Die Wissenschaftler tun so, als ob sie damit zufrieden wären, dass wir nichts Sicheres wissen, ja überhaupt nicht wissen können in der Art, in der die früheren Philosophen und Theologen eine „Wahrheitsfrage“ stellten und zu beantworten vermeinten. Das Denken hat durch diesen Sturz vielleicht sogar eine erste neue Wahrheit gefunden, die lautet: Wir wissen eben nichts sicher und das muss uns genügen? ­

Der Sozialaktivist traut keiner Partei mehr. Der Bio-Mensch findet keinen Bauer für seine ökologische Ersatzreligion, denn der Bauer fand seinerseits keine Frau. Für den Protestanten spielt die alte Frage der persönlichen Heilsgewissheit keine Rolle mehr, wenn für ihn mit dem Tod alles aus ist. Der Bischof findet kein Mitleben und kein Mitglauben in der Kirche mehr, denn die Getauften haben Angst vor der Bindung an eine langweilige Kirche. Die Furcht einiger Katholiken, die deutsche Synodendebatte führe zu einer Spaltung der Kirche, ist aber unbegründet. Es gibt zwei Jahre Zeit zum Dampfablassen, das war’s dann.

Die eigentliche Krise geschieht in einer größeren Tiefe, und sie kommt erst noch. Sie entsteht aus dem Verschwinden der Vorstellungsmöglichkeit auch unter Christen, es gebe einen personalen Gott als Ursache des Universums und als Tröster für alles Leid. Der Trend zu einer Entpersonalisierung des trinitarischen Gottes zum bloß „Göttlichen“ wird auch unter akademischen Theologen stärker. Das Transzendente ein Er oder nur ein Es? Vielleicht nur ein Name für die Kosmosenergie? Nur eine mathematische Größe? Muss man dann nicht aus der Chiffre „Menschlichkeit Christi“ eine Gleichsetzung Göttlichkeit=Humanismus machen? Und aus dem großgeschriebenen Heiligen Geist nur die Größe des menschlichen Geistes ableiten wie die linke Hegelschule? Zumindest aber aus Vorsicht sagen: Von Gott ist keine nähere Vorstellung möglich?

Wenn in den meisten Menschen – als der Geburtsstätte der Sehnsucht nach einer persönlichen Anders(All)macht - die Gottesidee ausstirbt, wird auch die Vorgabe der jüdisch-christlichen Bibel für das Denken entfallen und dieses Buch im Regal neben den Kindermärchen stehen. Dann fehlt der Zivilisation die jüdische Vorgabe der Religionskritik, die eine Götzen- und Ersatzreligions-Kritik von Mose und den Propheten her war, und es bliebe uns nur noch die philosophische, psychologische und politische Religionskritik, die vermutlich zu therapeutischen Zwecken zitiert würde.

Verloren ginge in einer Postchristlichkeit auch die in den Evangelien und in der frühen Kirchengeschichte beschriebene Erfahrung, dass wenige genügen, um eine ganze Gesellschaft zu retten.

Die Gestalt Jesu würde für die kommenden Jahrhunderte als rührendes, aber unnachahmliches, weil utopisches Gegensymbol zum politisch vielleicht erfolgreichen Muhammad oder zum ethisch annehmbareren Konfuzius werden. Die östlichen religiösen Philosophien antworteten: Erlösung heißt Weltverzicht und Aussteigen aus dem Individualegoismus. Juden und Christen entdeckten gegenüber der sehr schwierigen Selbsterlösung eine realistischere Doppelidee: Im Wir des Gottesvolkes, der Gemeinde, ist der Mensch beschenkt und deshalb auch fähig, seine Nächsten zu lieben. Wenn der Satz wahr ist, dass jeder Mensch geliebt werden will, ist der zweite Satz ebenso wahr: dass es dazu auch jemanden braucht, der liebt, und das wird schwerer wahr: dass ein Mensch für andere leben will und es kann, wenn jeder für sich allein kämpfen muss ohne ein ihn tragendes Wir.

Gerade wurde an uns Priester eine „Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz“ zur Pastoral von behinderten Menschen geschickt, großformatig und buchartig aufwändig. Welche Hoffnungen macht man Alten und Behinderten? Auf der letzten Seite steht Folgendes:

„Fragen wie ‚Spielen wir im Himmel wieder Karten?‘ oder ‚Gibt es im Himmel Pizza?‘ können als neu gefasste Symbole für den neuen Himmel und die neue Erde gut bestehen. Sie ergänzen das symbolisch-existentielle christliche Bildbewusstsein. Die Treue Gottes schenkt den Himmel, einen sicheren Ort, an dem alle Menschen gut aufgehoben sind. Das gibt Kraft zum Weiterleben und ist Trost im Sterben.“

Diese Interpretationskunst Seelsorgers und Fortbilders der Betreuer kritisiere ich, nicht weil ich die alte Sprache und Antwort, im Himmel würden wir ewig Gott anschauen und Halleluja singen, dagegensetzen möchte, sondern weil diese Vorstellungen ‚Himmel für alle‘ (S. 142) und ‚Kirche für alle‘ (S. 8) etwas versprechen, was dem Ernst der Initiative „Gottesvolk auf Erden“ nicht entspricht.

Übrigens: Wer wird denn im Himmel die Pizza backen?

Ludwig Weimer

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