23. Februar 2020

Ende. Finito. Fin du globe.

Es wäre noch so viel zu sagen gewesen. Aber da das Schicksal es anders gemeint hat und der Weltlauf am heutigen Tag sein Ende finden wird...




(BILD, Titelseite vom 23. Februar 2007)

"Und das ist alles ausgerechnet!" - Annalena Baerbock (2018)



Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.

- Jakob von Hoddis, "Weltende" (1911)


Presently Austin laid the cigarettes upon the table and was about to withdraw.
"Austin!" said his master.
"Yes, sir?"
"I thank you for your faithful service." A smile stole over the servant's gnarled face.
"I've done my duty, Sir."
"I'm expecting the end of the world to-day, Austin."
"Yes, sir. What time, sir?"
"I can't say, Austin. Before evening."
"Very good, sir."

- Arthur Conan Doyle, "The Poison Belt" (1913)

Austin legte gerade die Zigaretten auf den Tisch und wollte sich entfernen.
"Austin," sagte der Professor.
"Ja, Sir?"
"Ich danke Ihnen für die treuen Dienste, die Sie mir geleistet haben."
Ein Lächeln stahl sich über das verrunzelte Gesicht des Dieners.
"Ich habe nur meine Pflicht erfüllt, Sir," sagte er.
"Ich erwarte für heute den Weltuntergang, Austin."
"Jawohl, Sir. Um wieviel Uhr, Sir?"
"Das kann ich nicht genau sagen, Austin. Noch vor dem Abend."
"Sehr wohl, Sir!"

"Nie obiecujcie sobie zbyt wiele po końcu świata!"
("Erwartet euch nicht zuviel vom Weltuntergang!")

- Stanisław Jerzy Lec (1909-1966)

Pro domo gesprochen: der Protokollant macht sich seit langem nichts mehr aus guten Vorsätzen, sei es für das Jahr oder das anstehende Jahrzehnt, und positive Hoffnungen auf den lokalen Weltlauf zu projizieren, ist ihm im Verlauf des letzten Dezenniums vollends wesensfremd geworden. Das sich summierende Lebensalter mag sein Scherflein zu einer solchen, antikisch gesprochen: zwischen Stoizismus und Epikurismus oszillierenden Welthaltung beigetragen haben. Dennoch bleiben noch gewisse leichte Wegmarken im Zeitstrom, an der ein detachiertes Interesse sich wie am Wirbel einer Stromschnelle festmacht: wird Herr Trump erwartungsgemäß seine zweite Amtszeit antreten und zu welchen possierlichen Torheiten werden sich seine nominellen Widersacher in den Monaten davor hinreißen lassen? (Momentan dürfte die Frage eher lauten: Schaffen es die Dems überhaupt, irgendeinen Kandidaten zu nominieren, oder werden sie Verlängerung der Kür um ein paar Jahre beantragen?) Wird die Weltkanzlerin nur noch ein fünftes oder auch ein sechstes und siebtes Mal inthronisiert werden? Lohnt die Lektüre des überraschend angekündigten zweiten Romans von Susanna Clarke nach ihrem Erstlingswerk Jonathan Strange and Mr. Norrell von 2004? Wann scheitern die an Größenwahn nicht zu übertreffenden Besiedlungspläne des Roten Planeten von Herrn Musk (mit einer Million angekündigten Teilnehmern) coram publico? Wann schlägt endlich der flächendeckende Blackout bei uns zu?

Tempi passati. Für heute ist erst einmal das Ende der Welt auf die Tagesordnung gesetzt, und da haben solche Quisquilien vorerst zurückzustehen.

Sollte sich freilich auch dieses Mal der Weltuntergang etwas verspäten, wie all die vorigen Male auch, so läßt sich aus dieser  dieser Liste (eher kursorisch) oder dieser (etwas ausführlicheren) Auflistung  der Trost ableiten, daß das Warten aufs Ende der Welt eine Konstante darstellt und die nächsten Termine uns mit Sicherheit demnächst bekanntgegeben werden. Se. Kgl. Hoheit, der Prinz of Wales, hat ja im vergangenen Sommer, am 13. Juli, das nächste Ultimo achtzehn Monate vorus ausgemacht; wir dürfen also den 13.1.2021 rot im Kalender anstreichen.

In Connie Willis' Reportage aus der Befehlszentrale des Harmagedon, "Why the World Didn't End Last Tuesday" (Asimov's Science Fiction Magazine, Januar 1994; in Buchform zu finden in der Sammlung Even the Queen, and Other Short Stories von 1998), kann man übrigens den Grund dafür nachlesen, warum die Apokalypse sich bislang als himmlisches Äquivalent zur Eröffnung des  BER erwiesen hat: die Verfertigung von grünen Regenbögen ist bislang an der dafür nicht geeigneten naturgesetzlichen Einrichtung des Weltgefüges gescheitert.

Und siehe, ein Thron stand im Himmel und auf dem Thron saß einer. 3 Und der da saß, war anzusehen wie der Stein Jaspis und der Sarder; und ein Regenbogen war um den Thron, anzusehen wie ein Smaragd. (Offenbarung des Johannes, 4.3, Übersetzung nach Martin Luther)

PS. Literarisch Beschlagenen wird aufgefallen sein, daß sich der Protokollant die Fre[i/c]heit erlaubt hat, die beiden Schlußzeilen des berühmtesten, am 11.1.1911 in der Zeitschrift Der Demokrat erschienenen, deutschen Gedichts des Expressionismus zu vertauschen. Er tut dies unter Berufung auf Robert Gernhardt, der diesem Verfahren in seinem Essay "Darf man Dichter verbessern?" 1990 in der ZEIT sein Plazet erteilt hat.  Die Parallelführung zum umschließenden Reim der ersten Strophe und die so gesetzte antiklimaktische Pointierung vom primären technologischen Katastrophensymbol ("Tand, Tand - / ist das Gebilde von Menschenhand!") der Industrialisierung hin zur banalen Erkältung lassen diesen philologischen Frevel verzeihlich erscheinen.

PPS. Falls Sie, lieber Leser, rätseln: bei dem "geheimen" (sic!) Klima-Report handelt es sich übrigens um die erste Pressemitteilung des "Weltklimarats" IPCC, den Intergovernmental Panel on Climate Change über den Inhalt des ersten Teils, der Zusammenfassung "Summary for Policy Makers" des kurz darauf vorgestellten vierten Sachstandsberichts des IPCC.







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U.E.

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