10. Juni 2017

徐志摩 - 在黑夜里奔 | Xu Zhimo, "Nachtzug" (1931)



徐志摩 - 在黑夜里奔


车擒火住轨,在黑夜里奔:
过山,过水,过陈死人的坟:

过桥,听钢骨牛喘似的叫,
过荒野,过门户破烂的庙;

过池塘,群蛙在黑水里打鼓,
过噤口的村庄,不见一粒火;

过冰清的小站,上下没有客,
月台袒露着肚子,像是罪恶。

这时车的呻吟惊醒了天上
三两个星,躲在云缝里张望;

那是干什么的,他们在疑问,
大凉夜不歇着,直闹又是哼,

长虫似的一条,呼吸是火焰,
一死儿往暗里闯,不顾危险,

就凭那精窄的两道,算是轨,
驮着这份重,梦一般的累坠。

累坠!那些奇异的善良的人,
放平了心安睡,把他们不论

俊的村的命全盘交给了它,
不论爬的是高山还是低洼,

不问深林里有怪鸟在诅咒,
天象的辉煌全对着毁灭走;

只图眼着过得,裂大嘴打呼,
明儿车一到,抢了皮包走路!

这态度也不错!愁没有个底;
你我在天空,那天也不休息,

睁大了眼,什么事都看分明,
但自己又何尝能支使运命?

说什么光明,智慧永恒的美,
彼此同是在一条线上受罪,

就差你我的寿数比他们强,
这玩艺反正是一片湖涂账。


Der Zug rast durch die Nacht, auf die Schienen geduckt.
An Bergen vorbei. An Flüssen: vorbei. Die alten Gräber: vorbei.

Über Brücken weg, daß die steinernen Pfeiler dröhnen
An Ödland vorbei, an Tempeln mit geborstenen Toren

an schwarzen Teichen vorbei, wo die Frösche trommeln
an dunklen Dörfern vorbei, wo kein Lichtstrahl scheint

an kalten Bahnhöfen vorbei, wo kein Fahrgast steht
wo der Bahnsteig seine Leere wie Sünde entblößt.

Jetzt hat der Lärm am Himmel ein paar Sterne geweckt
und sie schauen hinab, zwischen den Wolken versteckt. 

Was ist das da unten? fragen sie sich
was da in der Nacht nicht schläft, sondern rastlos stöhnt

wie ein riesiger Wurm, sein Atem aus Feuer
schießt es vorwärts durchs Dunkel, kennt keine Vorsicht.

Die beiden glänzenden Bänder - scheint ein Schienenstrang -
trägt es seine Last aus Träumen auf dem Rücken entlang.

Nein: keine Last. Diese seltsamen Menschen
schlafen ruhigen Herzens, ob nun arm oder reich,

sie fragen nichts, sie vertrauen ihm ihr Leben an, munter,
egal ob Berge hinauf oder in Schluchten hinunter.

Fragen nicht, ob in den Wäldern seltsame Vögel sie verfluchen
Ob die Sterne über ihnen zu verlöschen drohen.

Sie wollen nur ihre Ruhe, schlafen mit offenem Mund
Morgen kommen sie an, nehmen das Gepäck und gehen davon.

Keine schlechte Einstellung! Ihre Sorgen haben niemals ein Ende
Auch wir am Firmament bleiben davon nicht verschont.

Wir hier oben sehen alles, in kristalliner Klarheit
Und doch ist unser Schicksal wie das ihre bestimmt.

Licht, die Weisheit der ewigen Schönheit - wir haben gut davon reden.
Auch wir hängen am Faden des Schicksals und vergehen.

Wir leben fast ewig, verglichen mit ihnen.
Aber unser Universum ist nur ein Spielzeug wie ihre Welt.

(Aus dem Chinesischen von U.E.)

In den Gedichten von Xu Zhimo (1897-1931) gibt es manche Motive, die sich wie ein Faden durch sein Werk ziehen, wie Leitmotive. Neben dem Motiv der romantischen Liebe, der Hingabe an einen Seelenpartner, den die Wirklichkeit nicht einlösen kann, ist es das Bild der Fliegens, des Aufbruchs, des Rauschs der Geschwindigkeit, in dem für kurze Zeit eine Erlösung von der Erdenschwere eintreten kann - und die Sehnsucht nach der Grenzenlosigkeit des Himmels, besonders des Sternenhimmels, in dem diese Befreiung Wirklichkeit werden könnte, wenn sie denn für Menschen erreichbar wäre. Das Bild der Zugreise wird in mehreren Gedichten zum konstrastierenden Element: der Bewegung, dem Aufbruch steht die Beschwerlichkeit des Reisens selbst gegenüber, so im Gedicht "Im Zug" in der Sammlung 猛虎集 (měnghǔ jí, Der Tiger) von 1931, oder in diesem Gedicht.

Das Gedicht 车擒火住轨 (Huǒchē qín zhù guǐ, Der Zug, auf die Schienen geduckt...) entstand am 19. Juli 1931, vier Monate, bevor sein Verfasser beim Flugzeugunglück auf dem Flug nach Beijing ums Leben kam - ein Umstand, in dem auch seine Dichterkollegen jener Jahre etwas nachgerade Symbolisches sahen. Gedruckt wurde es zum ersten Mal in der dritten Ausgabe der Zeitschrift 诗刊 (shī kān, Dichtung) vom Oktober 1931 mit der Autorenangabe "Zhima". In Buchform erschien es erstmals als eines der dreizehn Gedichte der schmalen Sammlung 雲遊 (Yúnyóu, Wolkenreise), als Nachlaß bisher nicht gebündelter Gedichte von seinem Freund und Kollegen in der "Neumond"-Dichtungsgesellschaft, 陈梦家, Chen Mengjia (1911-1968) zusammengestellt und acht Monate nach Xus Tod im August 1932 im Shanghaier Verlag 新月书店, Xinjue shudian, erschienen. Es ist das letzte Gedicht, das Xu Zhimo geschrieben hat.

Eine der Schwierigkeiten bei der angemessenen Übertragung solcher Lyrik ergibt sich aus dem Umstand, daß in diesem Fall nicht nur die Zeilen streng aufeinander gereimt sind, sondern auch aus den synkopierten Dreitaktern der ersten Zeilen samt Binnenreimen, chén/de fén:山,水,陈死人的坟: 桥 - guò shān, guò shuǐ, guò chén sǐrén de fén, guò qiáo - wobei das guò/过, hier mit "vorbei" wiedergegeben, den Zeilen einen hämmernden Stakkato-Rhythmus verleiht, der den Takt des über die Schienenstöße ratternden Zuges lautlich wiedergibt. Die Halbreime (reden/vergehen, Mund/davon) versuchen einen Spagat zwischen dem Reim-dich-oder-ich-freß-dich, das sich oft in die Übertragung gebundener Verse einschleicht, und dem Verzicht auf ihr essentielles Moment.

(Abb.: Titelblatt der Ausgabe der Sammlung 雲遊, Shanghai 1932.)




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Ulrich Elkmann

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