15. August 2013

Deutschland im Sommerloch 2013: Deregulierter Irrsinn. Eine kleine Presseschau.


Ich weiß gar nicht, warum das so genannte "Sommerloch", in den Hochzeiten der Printmedien seligen Angedenkens auch Sauregurkenzeit genannt, so unbeliebt ist. Natürlich, in Zeiten weitgehend zum Stillstand gekommenen Politikbetriebes, füllt man die Nachrichten bisweilen mit Trivialitäten wie beißfesten Schildkröten und dergleichen. Dennoch ist der "Politikbetrieb" zu anderen Jahreszeiten ja oft weniger legislativ als selbstreferentiell. Die Alltagspolitik mit ihren kleinen Wichtigkeiten bildet dabei oft eine Art Nebel, in dem die wirklich wichtigen und langfristig-überdauernden Themen gleichsam schwer erkennbar und unsichtbar werden. Dieser Nebel lichtet sich nun, wenn man so will, ein wenig. Und vor diesem Hintergrund lohnt sich einmal eine kleine Presseschau der letzten Tage.
­
Natürlich spielt der Wahlkampf eine wichtige Rolle. Wobei manche den Begriff offenbar in einem sehr wörtlichen Sinne verstehen, bei dem sich historische Bezüge geradezu aufdrängen. Die Partei AfD ist gegenwärtig gezwungen, ihre Informationsveranstaltungen in Göttingen unter Polizeischutz abzuhalten. Linksextremisten und die Jungendorganisation der Grünen, die "Grüne Jugend", gehen gemeinsam und gewalttätig gegen Vertreter der AfD vor. "Wenn du bei der AfD bleibst, dann werden wir dein Kind morgens zur Schule begleiten." soll einem Parteimitglied zugerufen worden sein, was wohl, trotz des gegenwärtigen Störfeuers des angeblich mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der pädophilen Vergangenheit der Grünen beauftragten Franz Walter, als doppelte Drohung aufgefaßt werden muß. 
Die Jusos wollen dem freilich nicht nachstehen und haben den gestrigen Wahlkampfauftakt von Angela Merkel, offenbar teilweise erfolgreich, niedergepfiffen und -gebrüllt. Was wohl Herbert Wehner dazu gesagt hätte? Laut Wikipedia jedenfalls hatte die paramilitärische nationalsozialistische Organisation SA (Sturmabteilung) die Funktion, den Aufstieg der Nazis zu flankieren,  indem sie deren [der Nazis] Versammlungen vor Gruppen politischer Gegner mit Gewalt abschirmte bzw. gegnerische Veranstaltungen massiv behinderte.

Apropos deutsche Sensibilitäten. Israel ist wieder einmal als das wahre Friedenshindernis im Nahostkonflikt ausgemacht worden. 1100 Siedlungen (!) seien laut Zeit Online von Israel geplant, worauf Claudio Casula richtigerweise twitterte, daß es jetzt wohl eng werde in der Westbank. Natürlich sind 1100 Wohnungen gemeint, was Zeit Online inzwischen korrigiert hat, deren Verschreiber aber wohl als "Freudscher Versprecher" zu werten ist. Daß die geplanten Wohnungen, Krankenhäuser, Schulen usw. selbstverständlich auch für arabische Einwohner offen stehen werden, wie der israelische Bauminister kürzlich betonte, fand seinen Weg in die Presse, trotz Sommerloches, freilich nicht. 
Und dann die "Provokation" (ARD Morgenmagazin) Israels, das mit einem Luftangriff soeben zwei Raketenstellungen im Gazastreifen ausgeschaltet hat. Daß von ebendiesen Raketenstellungen tags zuvor Raketen auf Israel gefeuert worden waren, hat wiederum weder seinen Weg in die deutsche Presse gefunden, noch scheint dies als "Provokation" empfunden worden zu sein. 

Aber wenden wir uns erfreulicheren Dingen zu. Was macht eigentlich die Energiewende? Nun, sie wird immer teurer; wer hätte das gedacht? SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück möchte zur Drosselung der gegenwärtigen Strompreisexplosion die Stromsteuer senken. Das wäre in der Tat mal etwas; verdient sich doch der Staat am Strom dumm und dusselig, wie Autorenkollege Meister Petz kürzlich überzeugend dargelegt hat. Mehr als gegenfinanziert wäre diese Senkung, sollte sie denn tatsächlich kommen, im Falle eines rotgrünen Wahlsieges, dann ja durch die geplanten multiplen Steuererhöhungen
Die eigentlichen Preistreiber der Energiewende, so ist man sich inzwischen weitgehend einig, sind die EEG-Ausnahmetatbestände zugunsten energieintensiv produzierender Unternehmen. Diese sollten endlich in voller Höhe mitbelastet werden, und dann klappe das schon mit den Kosten der Energiewende. Eine geniale Idee. Auch als völliger ökonomischer Laie ist mir klar, daß die dann steigenden Stromkosten für die Unternehmen eins zu eins auf die Produktpreise für die Endverbraucher umgelegt und also wieder vom Konsumenten in voller Höhe bezahlt würden. Der umwelt- und preisbewußte Konsument wird dann freilich das günstigere Auto aus Frankreich kaufen, das eben auch dank günstigen französischen Atomstroms zum attraktiven Preis produziert werden wird. Aber mit solchem Detail-Schnickschnack hält sich der weltrettende deutsche Journalist nicht lange auf. 

Muß man also, belastet man die Unternehmen vollumfänglich mit den Folgen der Energiewende, mit einer strompreisinduzierten Inflation rechnen? Vermutlich. Man darf jetzt schon gespannt sein, wie man dann das andere große Inflationsrisiko, nämlich den Euro, wieder medial aus der Schußlinie nehmen wird. Aktuell ist ja scheinbar alles gut in Euroland. Man muß schon etwas genauer hinsehen um darauf zu kommen, daß der gegenwärtige Burgfrieden um die Eurokrise einen ganz profanen Grund hat, nämlich die Bundestagswahl in Deutschland. Hinter den Kulissen wird jedoch bereits an der Rechnung gearbeitet, die dann nach dem 22. September der Bevölkerung vorgelegt werden wird.

Dann ist da noch Ägypten, von dem man in den Medien vor Wochen noch dachte, daß hier einer der ersten "guten" Militärputsche in der Geschichte stattgefunden hätte. Damals stand das Land drei Schritte von einem Bürgerkrieg entfernt. Heute ist man schon zwei Schritte weiter

Ach, ich mag nicht mehr. Das ist ja alles verdrießlich und deregulierter Irrsinn. Ich gehe jetzt lieber erstmal schauen, was die Horrorschildkröte macht.


Andreas Döding


© Andreas Döding. Für Kommentare bitte hier klicken.