24. August 2008

Peking 2008 (3): Zweimal neun Olympiaden. Zweimal ästhetischer Totalitarismus

Neun Olympiaden lagen zwischen den beiden Olympischen Sommerspielen in Deutschland - Berlin 1936 und München 1972. Wieder neun Olympiaden, 36 Jahre also, liegen zwischen diesen und den Olympischen Spielen in Peking, die in diesen Minuten zu Ende gehen.

1972 wollte man, was die Gestaltung der Spiele, was vor allem die Eröffnungs- und die Schlußfeier angeht, das Gegenteil des Bildes von 1936 vermitteln. Es sollten lockere, es sollten heitere Spiele sein. Locker waren sie; die Heiterkeit wurde durch das Attentat auf die israelische Mannschaft beendet.

Als ich damals die Schlußfeier gesehen habe, bei der die Mannschaften nicht "einmarschierten", sondern in fröhlicher Unordnung, fast ein wenig anarchisch, ins Stadion strömten, da dachte ich, es sei vorbei mit dem Totalitarismus bei Olympischen Spielen.

Nicht vorbei mit dem Totalitarismus überhaupt; der existierte ja damals noch in seiner kommunistischen Variante. Aber ich konnte mir damals nicht vorstellen, daß man die Spiele jemals wieder in ein totalitär regiertes Land vergeben würde.



Man hat es getan, bereits 1980 mit Moskau und jetzt mit Peking. Und Peking 2008 - das war das perfekte Abbild der Spiele von Berlin 1936. Ich habe das im zweiten Beitrag dieser Serie, die kürzer wurde als geplant, zu beschreiben versucht.

Das "perfekte" Abbild in dem Sinn, daß dieses "Aufmarschieren", diese Behandlung des Individuums als ein Stückchen der Rohmasse, aus welcher der Regisseur seine visuellen Effekte formt, in Peking 2008 ungleich perfekter gehandhabt wurde als in Berlin 1936.

Die faschistische Ästhetik, die man den Filmen von Leni Riefenstahl vorgeworfen hat, war eine Orgie von libertärem Individualismus im Vergleich mit der Verherrlichung des Kollektivs, mit der völligen Unterordnung des Individuums unter die Choreografie, die sowohl in der Eröffnungs- als auch jetzt in der Schlußfeier vorgeführt wurde.

In der Schlußfeier freilich nur zunächst. Nachdem am Anfang wieder die Körper der Soldaten (oder wer immer da seinen Körper zur Verfügung stellen mußte), dazu benutzt wurden, um allerlei optischen Schnickschnack vorzuführen, wechselte die Regie unversehens in die Sparte "Individualismus".

Jedenfalls zum Teil. Den Fahnenträgern mutete man das Marschieren im Gleichschritt nicht zu; vielleicht hätten sich manche ja auch geweigert. Aber neben ihnen liefen Soldaten im Gleichschritt, deren gedrillte Bewegungen man nur durch ein verordnetes Dauerlächeln etwas zu humanisieren versucht hatte.

Gegen Ende dann herrschte "bunte Fröhlichkeit". Die Kamera wechselte von der Totalen überwiegend zu Großaufnahmen. Einzelne sollten gezeigt werden.

Szenen, die, würde man sie für sich genommen sehen, sympathisch sein könnten. Aber innerhalb dieses ganzen Größenwahns eines visualisierten Totalitarismus wirkt auch das - auf mich jedenfalls - wieder nur wie ein Teil der totalitären Inszenierung. Auch ein buntes Muster kann ja den Charakter der homogenen Textur haben.



Und es war auch sozusagen optisch nicht das letzte Wort. Denn während ich dies schreibe, geht die Inszenierung ihrem Ende entgegen. Einem Ende wieder mit Pomp und Gloria. Wieder die Totale als Kameraeinstellung, die sozusagen adäquate Einstellung für den Totalitarismus.

Es sei denn, der Führer spricht. Hier also der jeweilige kommunistische Funktionär. Dann sieht man ihn natürlich in Großaufnahme, mit den ihm begeistert applaudierenden Massen als Zwischenschnitt.

Alles wie gehabt; alles wie 1936. Nur größer, schöner, bunter. Nur noch viel erdrückender.



Einen Schlußabschnitt oder Nachspann zu diesem Artikel findet man diesmal im "Kleinen Zimmer". Wohin, wie immer, zum Kommentieren und Diskutieren eingeladen ist.



Links zu allen Folgen dieser Serie sind hier zu finden.