17. November 2007

Marginalie: Wie "Spiegel Online" manipuliert

Tony Blair hat sich in einer Dokumentarsendung der BBC zum Irak- Krieg geäußert. Die London Times bringt heute über diese Sendung einen Bericht. "Spiegel Online" (SPON) bringt heute einen Bericht über diesen Bericht über diese Sendung.

Wieweit der Bericht der Times den Inhalt der Sendung fair wiedergibt, kann ich nicht beurteilen, weil ich die Sendung nicht kenne. Aber ich kann beurteilen, wie fair SPON den Bericht der Times wiedergibt. Und Sie können das auch, wenn Sie sich die Mühe machen, die beiden Berichte parallel zu lesen.

Hier ein paar Handreichungen, die Ihnen den Vergleich erleichtern könnten. Übersetzungen in blau von mir. Passagen, in denen SPON von dem abweicht, was die Times berichtet, habe ich hervorgehoben.



Times:
In frank remarks in a BBC documentary, Mr Blair confirmed openly the belief of many of his closest supporters that he never used his position as America’s strongest ally to try to force Mr Bush down the diplomatic rather than the military route.

Mit freimütigen Bemerkungen in einer Dokumentation der BBC bestätigte Blair offen, was viele seiner engsten Weggefährten glauben: Daß er seine Stellung als der stärkste Alliierte Amerikas niemals dazu nutzte, Bush auf den diplomatischen statt des militärischen Wegs zu zwingen.
SPON:
Blair bestätigt damit selbst, was Feinde und enttäuschte politische Weggefährten stets vermutet und unterstellt haben: Dass Blair keinerlei Zweifel an der Richtigkeit des Feldzuges gegen Saddam Hussein hatte.



Times:

It was never a "bargaining chip" for him and he was never looking for a way out, he told David Aaronovitch, of The Times, in interviews for The Blair Years. "It was what I believed in, and I still do believe it," he said.

Es sei niemals eine "Spielmarke" für ihn gewesen, und er habe niemals nach einem Ausweg Ausschau gehalten, sagte er gegenüber David Aaronovitch von der Times in Interviews für "The Blair Years". "Es war das, woran ich glaubte, und ich glaube weiterhin daran", sage er.

SPON:
Der Labour-Politiker, der Ende Juni 2007 sein Amt an Gordon Brown übergab, gibt sogar unumwunden zu, seinen Einfluss als stärkster Partner der USA niemals genutzt zu haben, um eine diplomatische Lösung im Irak zu befördern. Er habe nie nach einem Ausweg gesucht, bestätigte er Aaronovitch. "Es war das, woran ich glaubte, und ich glaube das immer noch".



Times:

The documentary contains clear evidence that many of those around Mr Blair, including Sir David Manning, his foreign policy adviser, Jeremy Greenstock, Britain’s ambassador at the UN, Jack Straw, the Foreign Secretary at the time, and even Colin Powell, the US Secretary of State, had huge reservations about the rush to war. Mr Blair said: "In my view, if it wasn’t clear that the whole nature of the way Saddam was dealing with this issue had changed, I was in favour of military action."

Die Dokumentation liefert klare Belege dafür, daß viele aus Blairs Umgebung, wie Sir David Manning, sein außenpolitischer Berater, Jeremy Greenstock, der Britische UN-Botschafter, Jack Straw, damals Außenminister, und sogar Colin Powell, der US-Außenminister, gewaltige Vorbehalte gegen einen überstürzten Krieg hatten. Blair sagte: "Aus meiner Sicht war es so: Wenn es nicht klar war, daß das ganze Wesen der Art, wie Saddam sich in dieser Sache verhielt, sich geändert hatte, daß ich dann ein militärisches Vorgehen befürwortete."
SPON:
Blair gibt zu, dass er die Ratschläge seiner Berater und Minister in den Wind schlug, weil er glaubte, dass die USA das Richtige täten.



Times:
The programme also reveals that just before the key Commons vote on war Mr Bush telephoned Mr Blair and offered him a way out. Mr Blair explained why he had declined the offer.

Die Sendung enthüllt auch, daß Bush unmittelbar vor der entscheidenden Abstimmung im Unterhaus über den Krieg Blair anrief und ihm einen Ausweg anbot. Blair erklärte, warum er dieses Angebot ablehnte.
SPON:
Sein Glauben ging dabei so weit, dass er sogar ein Angebot von US-Präsident George W. Bush ausschlug, Großbritannien aus dem Krieg herauszuhalten.



So funktioniert Manipulation.

SPON hält sich thematisch an den Bericht in der Times und gibt auch keine andere Quelle an. Aber durch kleine stilistische Änderungen wird aus den Informationen, die Blair über sein damaliges Verhalten und seine Gründe gibt, ein "Bekenntnis" (SPON).

Das Umformulieren geschieht sehr geschickt. Nur wenige Ausdrücke werden verändert oder hinzugefügt; aber der Text bekommt durch sie einen ganz anderen Tenor als im Original.

Wenn es in der Timesl heißt, daß Blair offen etwas bestätigte, was viele seiner Weggefährten glaubten, dann wird daraus, daß er "selbst" bestätigt, was seine "Feinde und enttäuschte politische Weggefährten" "unterstellten". So wird aus der Mitteilung, die Blair gegeben hat, ein Eingeständnis gemacht. Seine Feinde und die von ihm Enttäuschten hatten also doch recht - das wird dem Leser suggeriert.

Wenn es im Original heißt, daß Blair etwas "sagt", dann macht SPON daraus, daß er es "unumwunden zugibt". Dem Leser wird der Eindruck vermittelt, Blair habe etwas Vorwerfbares, etwas Unrechtes getan, was er nun einräumen müsse.

Wenn er die Meinung seiner Mitarbeiter nicht teilte, dann wird bei SPON daraus, daß er sie "in den Wind schlug". Aus eine Meinungsdifferenz macht diese kleine Änderung ein schuldhaftes, mindestens leichtsinniges Verhalten.

Und die sachliche Mitteilung in der Times, daß Blair das Angebot Bushs ablehnte, sich nicht an der Invasion zu beteiligen, reichert SPON mit "sein Glaube ging dabei so weit" an. Dem Leser wird suggeriert, Blair habe nicht etwa aus Vernunft, sondern aus einem irrationalen Glauben heraus gehandelt.

Kurz: Der Leser der Times erfährt, daß Blair den Krieg gegen Saddam Hussein und eine Beteiligung Großbritanniens daran für richtig hielt und hält, und daß er das jetzt offen gesagt hat. Die Manipulation von SPON macht daraus das "Bekenntnis" falschen und schuldhaften Verhaltens.

Ein Student der DDR- Journalisten- Schmiede in Leipzig hätte für eine solche Probe parteilichen Schreibens vermutlich eine Eins bekommen.

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