11. November 2007

Marginalie: Noch etwas zum 9. November 1989

Von den Rückblick- Sendungen, die gestern und vorgestern zum 18. Jahrestag des Mauerfalls ausgestrahlt wurden, war die des Hessischen Rundfunks eine der interessantesten. Die ganze Nacht über Reportagen, Talkshows aus jenen Tagen. Bewegend.

Jetzt eben, nach drei Uhr, wird die Aufzeichnung einer Kultur- Talkshow des Hessischen Rundfunks aus den Tagen nach dem 9. November 1989 gesendet, "Aktuelle Kultur- Szene". Eingeladen damals: Intellektuelle aus der DDR, und als Publikum Bürger aus der DDR, die dank der Öffnung der Grenzen rüberdurften.

Und wer wird in dieser Sendung als erster ausführlich, freundlich, ohne Widerspruch des Moderators interviewt? Stephan Hermlin.

Träger des Nationalpreises der DDR, verliehen 1950. Träger des Heinrich- Heine- Preises des Ministeriums für Kultur der DDR, verliehen 1972. Träger des Nationalpreises 1. Klasse der DDR, verliehen 1975.

Stephan Hermlin, einer der Nutznießer des kommunistischen Systems. Einer der unermüdlichsten Propagandisten des kommunistischen Systems.

Als die Mauer gefallen war, befand es die Redaktion dieser Kultursendung des Hessischen Rundfunks für angemessen, als ersten einen zu Wort kommen zu lassen, der zu den wichtigsten intellektuellen Unterstützern der DDR gehörte.



Nein, ich mache ihnen keinen Vorwurf, diesen Redakteuren. Das war ja damals eine weit verbreitete Meinung (auch meine): Daß diese DDR, bei allen ihren Mängeln, doch auch Gutes gehabt hätte. Dazu rechnete man ihre Intellektuellen, bis hin zu Hermann Kant.

Ich hatte bis 1989 an das "Leseland DDR" geglaubt. Daran, daß in der DDR auch einfache Arbeiter liebend gern ins Theater gingen. Daran, daß sozusagen jeder Bürger der DDR die Ästhetik des epischen Theaters internalisiert gehabt hätte.

Was für die kommerzielle westliche Kultur James Bond und Drafi Deutscher - das waren, so dachte ich, für die DDR- Bürger Gorki und Brecht.

Also: Dieses Loblied auf die wunderbare Kultur der DDR, das Hermlin sang - damals, 1989, hätte ich es wahrscheinlich mitgesungen.

Nur hätte man sich der Perestrojka nicht verweigern sollen - das war die einzige Kritik Hermlins an der DDR, in dieser Sendung. Ansonsten betonte er geradezu ostentativ, daß er ein Marxist sei, ein Sozialist. Und pries die Kultur der DDR.

Es dauerte (bei mir) etliche Jahre, bis ich einsehen mußte, daß das alles gelogen gewesen war, eben kommunistische Propaganda. Daß die DDR-Büger in ihrer Mehrheit ungleich weniger Zugang zur Kultur gehabt hatten als wir Bundesbürger. (Selbst die Werke von Klassikern waren schwer zu bekommen; von modernen nichtkommunistischen Autoren ganz abgesehen).

Und daß alle diese Intellektuellen wie Hermlin, die gemeinsame Sache mit dem Regime machten, zwar eine gewisse Narrenfreiheit genossen hatten - aber nur deshalb, weil der SED-Staat sie als Aushängeschilder gebraucht hatte.



Eine Bemerkung von Stephan Hermlin in dieser Sendung hätte mich allerdings damals, hätte ich diese Sendung gesehen, vielleicht zu beschleunigter Einsicht gebracht. Er sagte nämlich (und ich habe das wörtlich notiert): "Wo es für die Kultur eine absolute Freiheit gibt, kann sie auch langweilig werden".

Selten hat jemand Zensur so eloquent, so bescheuert gerechtfertigt wie Hermlin mit diesem Satz.

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