21. Januar 2007

Karl May, der Irak, und wie der Zufall so spielt

Daß Karl May immer noch ein in vielerlei Hinsicht zutreffendes Bild Arabiens zeichnet, ist vielleicht das Deprimierendeste, was man über die Misere dieser Region sagen kann.

Was May über den Wilden Westen schrieb, über China ("Der blaurote Methusalem"), über Sibirien ("Zobeljäger und Kosak"), über Uruguay ("Am Rio de la Plata") oder sonst eine Weltgegend, inklusive sein heimisches Erzgebirge, das erscheint uns heute putzig- folkloristisch. Was er über Ägypten und den Sudan schrieb, über Kurdistan, das könnte man mit ein paar Änderungen in die Gegenwart übertragen.

Und was er über den Irak schrieb. Ein umfangmäßig gar nicht so kleiner Teil der Reiseerzählung, die Kara ben Nemsi und seinen getreuen Hadschi Halef aus der nordafrikanischen Wüste über Bagdad und Stambul in die Schluchten des Balkans führt, spielt im Irak.

Jener Hadschi Halef, dessen vollständigen Namen die meisten von uns herzusagen wissen, war sozusagen Iraker; seine Haddedihn gehörten zu den Schammar, auch heute noch ungefähr ein Drittel der Bevölkerung des Irak. Diesen Beduinenstämmen kommt im Augenblick eine für die Entwicklung des Irak bedeutsame Schlüsselrolle zu.

Was Karl May vor mehr als einem Jahrhundert über die Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen Persern und Arabern, zwischen Arabern und Kurden geschrieben hat, das gilt immer noch; nur den Padischah im fernen Stambul gibt es nicht mehr.



Zufälle spielen bei Karl May, wie bei allen Autoren dieses Genres, eine zentrale Rolle. Er muß, wie schon immer die Kolportage, heute die Daily Soaps, mit einem begrenzten, seinen Lesern vertrauten Personal immer neue Handlungen gestalten.

Also trifft man sich wieder und wieder zufällig. Mitten in der Prairie, mitten in der Wüste. Old Shatterhand den Sam Hawkins oder den Sans-Ear. Kara ben Nemsi den Krüger Bei und, besonders gern, den Lord Lindsay.



Ja und? Das Leben besteht schließlich aus einer Kette von Zufällen.

Da suche ich schon lange eine gute Geschichte des Liberalismus. Eine, die historisch zuverlässig ist und die den Leser informieren und nicht ihn überzeugen möchte; weder pro noch contra.

Heute nun habe ich mich wieder einmal mit Reportern und Blog- Autoren beschäftigt, die direkt aus dem Irak berichten, weil ich über sie gern einen weiteren Beitrag der Serie Ketzereien zum Irak schreiben möchte.

Zu den Blogs, die ich mir dazu angeguckt habe, gehört der von Michael Yon, der gerade eine Serie über seinen momentanen Irak- Besuch hat, "Walking the Line". Eine sehr lesenswerte Reportage, auf die ich in einem späteren Beitrag zurückkomme.

Lebendig, konkret, am Detail orientiert statt an der großen Perspektive. Wie es eben eine gute Reportage zu sein hat. Nicht uns eine Meinung aufdrängend, sondern den Leser über Sachverhalte informierend.



So also, wie die Geschichte des Liberalismus, nach der ich seit einiger Zeit suche.

Nanu, wo ist denn da der Zusammenhang? Ja eben, davon rede ich ja. Ein Zufall.

Also, Michael Yon schreibt (reich bebildert, wie es diese Detailversessenen gern haben) in seiner breiten, konkreten Art, wie er mit einem Militärtransport aus Kuweit in den Irak einfliegt. Man landet auf dem BIAP, dem Bagdad International Airport. Dort verbringt Yon die erste Nacht.

Und hier nun verknoten sich meine Themen. Yon redet nämlich bis spät in die Nacht mit einem ebenfalls dort zeitweise Gestrandeten. Einem Deutschen, names Dietmar Herz, der im Irak recherchieren wollte. Es stellt sich heraus, daß Herz Professor ist. Und sich als Deutscher mit Karl May auskennt. Yon tut so, als kenne er den auch (obwohl er ihn "Mai" schreibt). Herz erzählt ihm, was May über den Orient, die Kurden usw. geschrieben hat, ohne damals dort gewesen zu sein.



Wie kommt ein leibhaftiger deutscher Professor im Jahr 2007 auf den BIAP? Das interessierte mich. Also habe ich nachgesehen, wer das denn ist, dieser Dietmar Herz. Er ist Professsor an der Universität Erfurt, und zwar mit einem Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre. Ein Wissenschaftler zudem mit Interesse am Nahen Osten.

Und einer von denen offensichtlich, die, wenn sie ein solches Thema bearbeiten, nicht nur ihre Nase in Bücher stecken, sondern sich auch in diejenige Weltgegend verfügen, über die sie etwas schreiben wollen.

Anders als Karl May. Und auch, wenn ihnen möglicherweise dabei die Kugeln um die Ohren fliegen. Oder wenn man sich zuvorderst einmal zu Ergänzung seiner Schutzausrüstung feuerabweisende Handschuhe schenken lassen muß, wie Michael Yon das von Dietmar Herz berichtet.



Ich habe noch ein wenig weiter recherchiert, wer denn dieser interessante Wissenschaftler ist. Und siehe da, er hat sich in München habilitiert mit einer Schrift, betitelt: "Die wohlerwogene Republik. Das konstitutionelle Denken des politisch- philosophischen Liberalismus".

Ich habe sie gleich bestellt und rechne ziemlich fest damit, daß das die Geschichte des Liberalismus ist, die ich gesucht hatte.

Weil - so spielt doch der Zufall. Nicht wahr?