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19. Juli 2009

Der EADS-Chef Gallois schlägt eine eigene europäische bemannte Raumfahrt vor. Warum ich das für grottenfalsch halte

Durch den bevorstehenden 40. Jahrestag der ersten Mondlandung ist in diesen Tagen wieder viel von bemannter Raumfahrt die Rede.

Der Chef des europäischen Raumfahrt- Konzerns EADS, Louis Gallois, hat also den Zeitpunkt für das Plädoyer günstig gewählt, das man seit gestern in "Spiegel- Online" lesen kann: Ein Plädoyer allgemein für eine Erweiterung der europäischen Raumfanrt und speziell dafür, daß Europa eine eigene bemannte Raumfahrt entwickelt.

Gewiß waren schon viele europäische Astronauten im All. Aber sie waren sämtlich Passagiere in Raumfahrzeugen entweder der Russen oder der Amerikaner. Zahlende Passagiere in der Regel, die noch dazu warten müssen, bis für sie einmal wieder ein Platz in einem Shuttle oder einer Soyuz- Kapsel frei ist.

Europa hat zwar sozusagen sein eigenes Appartement in der ISS - das Modul "Columbus"-; aber es kann dieses nicht ohne fremde Hilfe erreichen und verlassen. Was liegt also näher, als daß es ein eigenes Raumfahrzeug entwickelt, in dem Menschen transportiert werden können?

Es wäre etwas, das nach den Russen und den Amerikanern nun auch schon die Chinesen geschafft haben. Im Oktober 2003 flog der erste chinesische Astronaut in einem Shenzou- Raumschiff. Eine solche Leistung sollte doch auch dem hochtechnisierten Europa möglich sein.

Nicht nur möglich, sondern auch notwendig, meint Gallois:
Die zentrale Frage für die Zukunft der europäischen Raumfahrt lautet, wie viel Bedeutung wir bemannten Missionen beimessen: Haben wir den Mut - gemeinsam mit anderen - dieses größte aller Abenteuer zu wagen? Oder lassen wir uns von anderen abhängen?

Unsere gemeinsamen europäischen Anstrengungen müssen dem jahrhundertealten europäischen Geist gerecht werden, das menschliche Wissen zu erweitern und seine Grenzen zu überwinden. Bemannte Raumfahrtexpeditionen sind der beste Beweis für unser Vertrauen in die Zukunft, für unser Vertrauen in Europa.
Etwas pathetisch formuliert, aber einleuchtend, jedenfalls auf den ersten Blick. Zumal Europa bereits über die meisten Voraussetzungen verfügt: Eine hinreichend starke Trägerrakete, die Ariane 5, und auch schon ein großes Raumfahrzeug, das im Raum navigieren kann: Den unbemannten Raumtransporter ATV, dessen erstes Exemplar Jules Verne im Frühjahr 2008 Versorgungsgüter zur ISS brachte.

Mit Modifikationen (zusätzliche Sicherheitssysteme, Fähigkeit zur Rückkehr auf die Erde) könnte man daraus ein bemanntes Raumfahrzeug entwickeln, das geräumiger wäre als die russische Soyuz.



So weit, so gut. Nur beantwortet Gallois in seinem Artikel eine einfache Frage nicht: Wozu überhaupt bemannte Raumfahrt?

Die Raumfahrt hat in einem halben Jahrhundert unser Leben verändert. Das Satelliten- Fernsehen bringt uns eine Fülle an Sendern ins Haus, die zuvor undenkbar gewesen wäre. Daten aller Art fließen via Kommuniations- Satelliten rund um die Welt. Die Wettervorhersage hat sich dank Wettersatelliten dramatisch verbessert.

GPS, vor wenigen Jahrzehnten noch eine James- Bond- Utopie, ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Astronomie hat mittels Raumteleskopen und Raumsonden zu den Planeten gewaltige Fortschritte gemacht. Die Miniaturisierung von Geräten, die Entwicklung leistungsfähiger Rechner wurden durch die Raumfahrt vorangetrieben.

Aber für keinen dieser Fortschritte spielte die bemannte Raumfahrt eine nennenswerte Rolle. Gewiß, das Projekt Apollo lieferte der Wissenschaft Mondgestein. Aber schon 1970 kehrte die automatische russische Sonde Luna 16 mit Mondgestein zur Erde zurück.

Gewiß, in der ISS läuft manches interessante wissenschaftliche Experiment; wie zuvor schon in den russischen Stationen Salyut und Mir. Aber keines davon hat bisher einen wissenschaftlichen oder technologischen Durchbruch gebracht.

Viele dieser Experimente dienen im übrigen der Erforschung der Reaktionen des menschlichen Körpers im Weltraum. Sie untersuchen also Fragen, die ohne die bemannte Raumfahrt erst gar nicht gestellt zu werden brauchten. Andere Experimente könnten auch automatisiert in unbemannten Satelliten durchgeführt werden.

Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, daß ich immer wieder gegen die bemannte Raumfahrt Position bezogen habe - in Bezug auf die ISS, in Bezug auf einen bemannten Flug zum Mars sowie in diesem Artikel, den ich Ihrer Aufmerksamkeit empfehle, falls Sie erfahren wollen, warum die Titelvignette des jetzigen Artikels ein Werbeplakat zur Anwerbung von Reitern des Pony Express (ca 1860) ist.



Wenn das so ist - warum werden dann trotzdem viele Milliarden in die bemannte Raumfahrt gesteckt? Warum bereiten die USA jetzt sogar neue Flüge zum Mond vor, warum wird ernsthaft über einen Flug zum Mars diskutiert?

Mit Wissenschaft und Technik hat das wenig zu tun; umso mehr mit Politik.

Die UdSSR erkannte als erste Macht die ungeheure Propaganda- Wirkung, die mit der bemannten Raumfahrt zu erreichen war, und zwang damit die USA in einen Wettlauf um den ersten Menschen im All.

Die UdSSR gewann und lag danach noch jahrelang vorn; für viele damals der ultimative Beweis für die Überlegenheit des Sozialismus. Die USA schlugen mit dem Projekt Apollo zurück und bewiesen mit der Mondlandung die Überlegenheit einer freien Gesellschaft.

Ein zweites Motiv für die bemannte Raumfahrt war ihre militärische Bedeutung. Was man über die Raumfahrt der UdSSR erfuhr, war sozusagen nur die zivile Spitze des Eisbergs. Innerhalb des Almaz- Programms gab es beispielsweise bemannte Raumstationen, die nicht nur mit Spionage- Geräten, sondern gar mit einer Kanone und Raketen ausgerüstet waren. Da wurde wirklich der "Krieg der Sterne" vorbereitet.

Vergangenheit? Jedenfalls weitgehend; allerdings gibt es Hinweise darauf, daß die chinesische bemannte Raumfahrt auch militärische Ziele verfolgt.

Dominierend ist aber hier, wie einst bei der UdSSR, die Propaganda- Dimension. Die Sowjetunion wollte mit den Erfolgen ihrer Raumfahrt die Überlegenheit des Sozialismus und die Macht ihres Staats zeigen. China will heute damit demonstrieren, daß es in den Kreis der Weltmächte gehört.

Und zwar nicht nur, indem man aufzuholen versucht. Sondern man will überholen; nämlich mit dem Mondprogramm. China hat eine umfangreiche Erforschung des Mondes begonnen, deren Ziel sehr wahrscheinlich die Landung von Menschen auf dem Mond ist; vielleicht zwischen 2025 und 2030.

Da wollen sich die USA nicht noch einmal von einem kommunistischen Konkurrenten schlagen lassen. Die erste bemannte Mondlandung innerhalb des Programms Constellation ist für den 19. Juni 2019 vorgesehen.



Es geht also bei der bemannten Raumfahrt wieder, wie zur Zeit des Kalten Kriegs, überwiegend um Machtpolitik. Hat Europa es nötig, sich in dieses machtpolitische Spiel einzuschalten? Ich sehe dazu keinen Anlaß. Das Ansehen und der Einfluß Europas hängen nicht daran, ob wir eine eigene bemannte Raumfahrt betreiben.

Allenfalls könnte man argumentieren, daß wir, da wir nun einmal an der ISS mit Astronauten beteiligt sind, diese doch auch eigenständig transportieren können sollten; ohne weitergehende Pläne.

Aber das wird mit dem, was Gallois vorschlägt, kaum möglich sein. Denn die ISS ist für eine Lebensdauer bis 2015 ausgelegt. Wahrscheinlich wird man ihr noch ein paar Jahre mehr geben. Ein europäisches bemanntes Raumschiff könnte nicht früher als 2017 oder 2018 einsatzfähig sein.

Gerade rechtzeitig, um von dort aus der ISS beim Verglühen zuzuschauen.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Werbeplakat für den Pony Express (ca 1860). Frei, da das Copyright erloschen ist.

9. Juli 2009

Marginalie: China ist kein Vielvölkerstaat, sondern das letzte Kolonialreich

Im Zusammenhang mit den Vorgängen in Uigurien ist oft vom "Vielvölkerstaat China" die Rede. Ich halte diese Bezeichnung für irreführend und beschönigend. China ist das letzte Land, das noch die Entkolonialisierung vor sich hat; die UdSSR war das vorletzte gewesen.

Natürlich kann man Begriffe beliebig definieren. Aber wenn China keine Kolonialmacht ist, dann war es auch das Britische Empire nicht. Dann wurde, als Algerien selbständig wurde, nicht eine Kolonie in die Freiheit entlassen, sondern ein Vielvölkerstaat zerbrach.

Wir nennen aber das koloniale England und das koloniale Frankreich keine Vielvölkerstaaten, sondern eben Kolonialreiche. Dann sollten wir es konsequenterweise auch mit China so halten.



Das russische und das chinesische Kolonialreich weisen allerdings die Besonderheit auf, daß die kolonisierten Gebiete an das Mutterland grenzen und nicht in Übersee liegen. Das hat geografische Gründe und ist ansonsten ohne Belang. Auch für Frankreich war Algerien nicht "Übersee"; noch näher lag die zeitweilige Kolonie Libyen geografisch bei Italien.

Zweitens kann man Kolonien natürlich mit unterschiedlichem staatsrechtlichem Status ausstatten. Sowohl im sowjetischen als jetzt auch jetzt im chinesischen Kolonialreich haben und hatten die Kolonien den Status von Provinzen, Sowjetrepubliken, autonomen Territorien.

Aber auch Algerien war ein Teil des französischen Mutterlands; es bestand aus den Départements Oran, Alger und Constantine. Auch Angola war eine Provinz Portugals.



Gibt es also gar keine Vielvölkerstaaten? Darüber wäre zu diskutieren.

Das Habsburger Reich des 19. Jahrhunderts jedenfalls, das Muster eines Vielvölkerstaats, war ganz anders strukturiert als das sowjetische und das chinesische Kolonialreich. Der Kaiser von Österreich (Cisleithanien) war in Personalunion König von Ungarn (Transleithanien); Wien und Budapest waren die beiden Hauptstädte.

Die UdSSR betrieb eine gezielte und brutale Russifizierungspolitik; Russen wurden planmäßig in den nichtrussischen Provinzen angesiedelt. Ähnlich macht es China heute mit Tibet, mit Uigurien, mit anderen Kolonien. Eine vergleichbare Politik der Eindeutschung gab es im Vielvölkerstaat "Kakanien", wie Robert Musil ihn genannt hat, nicht.



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11. August 2008

Zitate des Tages: Zwei britische Stimmen zur russischen Invasion Georgiens

Russia has never accepted the loss of the old Soviet empire. Like British Right- wingers who dream of the days when the Union flag fluttered over parts of the world where English was spoken, the Russians still feel the loss of status when the end of communism forced the Kremlin to disgorge the Baltic states, Ukraine and Georgia.

(Rußland hat niemals den Verlust des alten Sowjetreichs akzeptiert. Briten vom rechten Flügel träumen von den Tagen, wo der Union Jack über Weltgegenden wehte, in denen Englisch gesprochen wird. Ebenso spüren die Russen noch immer den Statusverlust, als das Ende des Kommunismus den Kreml zwang, die Baltischen Staaten, die Ukraine und Georgien abzustoßen.)

Der britische Labour- Abgeordnete Denis MacShane, Europaminister unter Tony Blair, in einem Gastkommentar im heutigen Telegraph.



On a strategic level, this is a turning point. For years, Russia was powerless to prevent its former satellites in Eastern Europe from joining the European Union. Even when Estonia, Latvia and Lithuania - not satellites, but actually part of the Soviet Union - joined Nato in 2004, Russian objections were roundly ignored. (...)

In invading South Ossetia, Russia has drawn a line in the sand. Diplomatically, Russia may still be weak - but on the ground, there's no arguing with a column of T-90 main battle tanks.

By sending tanks against Saakashvili, the West's darling, Russia has marked a point where Western influence over the former Soviet Union has begun to roll back. What Russia's nervous neighbours will be asking themselves in the wake of the Ossetian invasion is just how far in the other direction Russia now plans to roll its own influence.


(Auf einer strategischen Ebene ist dies ein Wendepunkt. Jahrelang war Rußland machtlos, seine früheren osteuropäischen Satelliten am Beitritt zur Europäischen Union zu hindern. Selbst als Estland, Lettland und Litauen - keine Satelliten, sondern sogar einmal Teil der Sowjetunion - 2004 der Nato beitraten, wurden die russischen Einwände schlichtweg ignoriert (...).

Mit der Invasion Südossetiens hat Rußland eine Linie gezogen. Diplomatisch mag Rußland immer noch schwach sein - aber im Feld läßt sich gegen eine Kolonne von T-90- Kampfpanzern nicht argumentieren.

Indem es Panzer gegen Saakaschwili schickt, den Liebling des Westens, hat Rußland einen Punkt markiert, von dem aus der westliche Einfluß auf die ehemalige Sowjetunion von jetzt an im Rückzug begriffen sein wird. Was sich die nervös gewordenen Nachbarn nach der Invasion Ossetiens fragen werden, das ist, wie weit jetzt Rußland seinen eigenen Einfluß in die umgekehrte Richtung voranschieben wird.)

Der Rußlandexperte Owen Matthews in der heutigen Mail Online über die Folgen der russischen Invasion Georgiens.



Kommentar: Im russischen Propagandasender Russia Today war gestern immer wieder Wladimir Putin in der Pose des Feldherrn zu sehen, der von Nordossetien aus den Feldzug leitet. Medwedew ist in den Hintergrund getreten.

Die Invasion Georgiens mag auch energiepolitische Gründe haben (die einzige Pipeline von den Feldern des Kaukasus in den Westen, die bisher nicht unter russischer Kontrolle war, verläuft über Georgien), aber die Signalwirkung dürfte wichtiger sein.

Rußland vertritt seine Interessen gegebenenfalls auch mit Panzern; das ist die Botschaft.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.