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24. Oktober 2008

Der 44. Präsident der USA (25): Scheitert Obamas Wahlsieg an verdecktem Rassismus? (Teil 2)

Im ersten Teil habe ich eine Vermutung zu den US-Wahlen beschrieben, die auch in Deutschland diskutiert wird: Auch wenn Barack Obama in den Umfragen vorn liegt, können doch die Wahlen ganz anders ausgehen.

Denn es gibt, so wird befürchtet, einen verdeckten Rassismus. In Umfragen geben Befragte nicht zu, daß sie aus rassistischen Vorurteilen Obama ablehnen; aber ihr Wahlverhalten zeigt dies.

Als Beleg für diese Vermutung wird der "Bradley-Effekt" angeführt. Ein schwarzer Kandidat, der Demokrat Tom Bradley, soll 1982 entgegen den Vorhersagen der Demoskopen wegen eines solchen verdeckten Rassismus die Wahl zum Gouverneur verloren haben.

In der FAZ hat gestern Stefan Tomik beschrieben, wie es damals tatsächlich in Californien gewesen ist:
Der schwarze Demokrat Tom Bradley kandidierte 1982 für das Amt des Gouverneurs von Kalifornien. Eine Umfrage des Meinungsforschers Mervin Field und seines Instituts sah Bradley sieben Prozentpunkte vorn, doch die Wahlparty wurde zu früh gefeiert. Bradley unterlag dem weißen Republikaner George Deukmejian mit nicht einmal hunderttausend Stimmen. (...)

Andere Beteiligte wundert der Ausgang der Wahl von 1982 weit weniger. Lance Tarrance, damals Meinungsforscher in Deukmejians Wahlkampfteam, verfügte selbst noch über andere Umfrageergebnisse. Demnach war Bradleys Vorsprung in der Woche vor der Wahl stark geschrumpft und betrug nur noch einen Prozentpunkt. Wegen der Fehlertoleranz war es unmöglich, daraus eine Vorhersage abzuleiten.
Dafür, daß die Wähler in der Kabine anders abstimmten, als die Umfragen vorhergesagt hatten, gibt es, wie Tomik schreibt, darüber hinaus Gründe, die nichts mit Rasse zu tun haben. Field nannte sie selbst in seiner nachträglichen Wahlanalyse:

Zugleich mit der Wahl wurde über eine Verschärfung der Waffenkontrolle abgestimmt, für die Bradley sich ausgesprochen hatte. Dieses Gesetz wurde mit 63 zu 37 Prozent abgeschmettert, was sich auch auf die Stimmen für Bradley ausgewirkt haben dürfte.

Die Auseinandersetzung über dieses Gesetz hatte überproportional viele Wähler der Republikaner mobilisiert, was für sich genommen bereits die Diskrepanz zwischen Umfragedaten und Wahlergebnis erklären könnte.

Trotzdem hatte Bradley am Wahltag sogar eine Mehrheit erhalten. Daß er verlor, lag allein an ungewöhnlich vielen Briefwählern, die in Umfragen nicht adäquat berücksichtigt werden können.

Und schließlich hatte Fields, wie er in seiner Analyse schrieb, mit einem höheren Anteil nichtweißer Wähler gerechnet. Er war von 20 Prozent augegangen, aber nur 15 Prozent waren es an der Wahlurne. Allein diese Abweichung reichte nach den Berechnungen von Fields aus, um zu erklären, warum Bradley nicht, wie vorhergesagt, gewonnen hatte.

Das also schrieb der Demoskop Fields. Als einen weiteren möglichen Faktor erwähnte er das, was dann später "Bradley-Effekt" genannt wurde. Der erste, der dies als einen "Effekt" postuliert hat, dürfte 1983 der Professor für Afro- Amerikanische Studien in Berkeley Charles Henry gewesen sein.

Irgendwelche Belege oder nur Indizien dafür, daß Bradleys Niederlage tatächlich mit verdecktem Rassismus zu tun hatte, gibt es nicht. Der von Tomik erwähnte Lance Tarrance, der selbst bei den californischen Gouverneurswahlen 1982 als Demoskop tätig gewesen war, hat sich vor einer Woche zu der Aufregung über einen angeblichen "Bradley- Effekt" so geäußert:
Now that polls indicate Senator Barack Obama is the favorite to win, some analysts predict a racially biased "Bradley Effect" could prevent Obama from winning a majority on November 4th. That is a pernicious canard and is unworthy of 21st century political narratives. (...)

... to interject this type of speculation into the 2008 presidential election is not only folly, but insulting to the political maturity of our nation's voters. To allow this theory to continue to persist anymore than 25 years is to damage our democracy, no matter who wins.

Jetzt, wo die Umfragen darauf hindeuten, daß Senator Barack der Favorit für den Sieg ist, sagen manche Analytiker vorher, daß ein rassistischer "Bradley- Effekt" verhindern könnte, daß Obama am 4. November eine Mehrheit erhält. Das ist eine üble Ente und des politischen Diskurses im 21. Jahrhundert nicht würdig. (...)

... Spekulation dieser Art in die Wahl des Präsidenten 2008 hineinzutragen, ist nicht nur ein Wahnwitz, sondern eine Beleidigung der politischen Reife der Wähler unserer Nation. Diese Theorie auch über 25 Jahre hinaus immer noch weiterbestehen zu lassen, fügt unserer Demokratie Schaden zu, unabhängig davon, wer gewinnt.



Warum aber läßt man diese schwachbrüstige alte Ente jetzt wieder herumwatscheln? Mir erscheint eine Erklärung wahrscheinlich, die ich freilich nicht als richtig nachweisen kann:

Obama sieht sich einem Problem gegenüber, das - anders als das Pseudoproblem "Rassismus" - seinen Sieg wirklich gefährden könnte: Poor voter turnout. Eine schlechte Beteiligung seiner potentiellen Wähler am 4. November, wie man sie häufig sieht, wenn ein Kandidat als Sieger festzustehen scheint.

Deshalb ist es jetzt ein vorrangiges Ziel des Obama- Teams, die eigenen Wähler zu mobilisieren.

Weniger als zwei Wochen vor einer Wahl haben sich die meisten Wähler entschieden, wen sie favorisieren. Aber für viele ist noch offen, ob sie wirklich die Mühe auf sich nehmen, auch zur Wahl zu gehen. Das ist bei jeder Wahl so; deshalb ist die letzte Phase jedes Wahlkampfs vor allem der Mobilisierung gewidmet. Wenn jemand so deutlich führt wie jetzt Obama, ist das aber besonders wichtig.

Der Rassismus-Vorwurf eignet sich in doppelter Weise dazu, Obama- Wähler zu mobilisieren: Erstens erzeugt er den Eindruck, das Rennen könne doch noch knapp werden. Zweitens ist dies ein Thema, das schon für sich genommen die schwarzen und die Latino- Wähler mobilisiert; desgleichen die vielen Weißen, denen Antirassismus am Herzen liegt.

Und McCain? Dessen Team ist in der Defensive. Und auch für den Underdog kann es nur gut sein, den Eindruck zu befördern, es sei doch noch alles offen. Kein Wunder also, daß auch Konservative wie Jim Garaghty vom "National Review" der Idee freundlich gegenüberstehen, es könne einen Bradley- Effekt geben.

Beide Kandidaten haben ein Interesse daran, die Wahl als ein Kopf- an- Kopf- Rennen erscheinen zu lassen. Also watschelt sie wieder, eine Ente namens "Bradley".



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Der 44. Präsident der USA (25): Scheitert Obamas Wahlsieg an verdecktem Rassismus? (Teil 1)

Seit drei Wochen haben sich in den Umfragen die Daten in ihrer Tendenz nicht mehr verändert. Alles deutet darauf hin, daß Barack Obama der 44. Präsident der USA sein wird. Gut möglich, daß es nicht ein knapper Sieg werden wird, wie ihn Bush zweimal geschafft hat, sondern ein Landslide Victory, ein Erdrutsch- Sieg.

In den Daily Trackings der großen Institute - täglichen Befragungen, deren Ergebnisse zu gleitenden Mittelwerten zusamengefaßt werden - sieht es im Augenblick so aus:

Reuters / C-SPAN / Zogby (22. Oktober): Obama 52, McCain 40. Diageo / Hotline (21. Oktober): Obama 47, McCain 42. Daily Kos (21. Oktober): Obama 51, McCain 41. Gallup: (21. Oktober): Obama 52, McCain 44. ABC / Washington Post (18. - 21. Oktober): Obama 54, McCain 43.

Der Poll of Polls (die Zusammenfassung aller Umfragedaten) von FiveThirtyEight berechnet für Obama 51,8 Prozent, für McCain 46,8 Prozent. Im Wahlmänner- Gremium ergibt das 344 Stimmen für Obama, 194 für McCain. Im Poll of Polls von Pollster ist der Abstand noch größer: Obama 50,5 Prozent, McCain 42,8 Prozent. Die zugehörige Verlaufsgrafik zeigt, wie die Schere sich in den letzten Wochen immer mehr geöffnet hat.

Alles klar also? Nicht für die Strategen Obamas. Sie zeigen sich in den letzten Wochen ganz im Gegenteil zunehmend besorgt. So besorgt, daß das sogar bis in die deutschen Medien gedrungen ist. Das Zauberwort heißt "Bradley- Effekt".



Am 9. Oktober schrieb Myriam Chaplain- Riouin in der "Welt" unter der Überschrift "Rassismus - Obamas unsichtbarer Gegner bei der US-Wahl":
Im Kampf um das Weiße Haus liegt Barack Obama momentan vor seinem Konkurrenten John McCain. Doch wieviel dieser Vorsprung in der Anonymität der Wahlkabine wert ist, wird sich erst am 4. November zeigen. Denn Experten glauben, dass Obamas Hautfarbe den Demokraten Stimmen kosten wird. (...)

Nur eine kleine Minderheit der US-Bürger würde heutzutage noch offen einräumen, dass die Hautfarbe eines Politikers für sie eine Rolle spielt. Dennoch könnte Obama sein dunkler Teint nach einer aktuellen Umfrage der kalifornischen Stanford Universität bis zu sechs Prozentpunkte kosten – wenn in der Anonymität der Wahlkabine verschwiegene rassistische Vorbehalte zum Tragen kommen. (...)

In den USA wird dieses Phänomen "Bradley- Effekt" genannt, nach Tom Bradley, dem ehemaligen schwarzen Bürgermeister von Los Angeles. Dieser unterlag 1982 bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien, obwohl alle Umfragen ihm einen Sieg prophezeiten.
Diese Vermutung - Obama liegt in den Umfragen zwar vorn, aber verdeckter Rassismus könnte ihn den Sieg kosten - gibt es in zwei Varianten.

Die eine sagt, daß unter den Wählern Rassisten sind, die sich nur in den Umfragen nicht als solche zu erkennen geben.

Die andere Variante geht tiefer, im Wortsinn: Sie behauptet, daß auch Menschen, die der Überzeugung sind, keine Rassisten zu sein, das "im Unterbewußtsein" doch sind.

Sie geben - so besagt es diese Überlegung - in Umfragen ehrlich an, für Obama stimmen zu wollen. Aber wenn es ernst wird, wenn sie erst einmal in der Wahlkabine sind, dann bringen sie es doch nicht fertig, für einen Schwarzen zu stimmen. Und bemänteln das vor sich selbst mit irgendeinem Grund - weil er zu unerfahren sei, zu weit links; dergleichen. Es gibt sogar einen psychologischen Test, den Implicit Association Test, der diesen "unbewußten Rassismus" angeblich nachweist.



Das Bemerkenswerte an diesen Überlegungen ist, daß sie ohne jede empirische Basis sind.

Es gibt schlechterdings keine Daten, die belegen, daß der Verdacht eines verdeckten Rassismus in der einen oder der anderen Version stimmt.

Im Gegenteil: Analysiert man für die Vorwahlen die jeweils letzten Umfrageergebnisse und die tatsächliche Entscheidung der Wähler, dann unterschätzten die Umfragen Obamas Ergebnis!

Das hat Nate Silver in FiveThirtyEight gezeigt. Die Differenz lag im Schnitt bei 3,3 Prozent. In den - ja der Annahme nach besonders rassistischen - Südstaaten schnitt Obama sogar um 7,2 Prozentpunkte besser ab, als es die letzten Umfragen vorhergesagt hatten. Es kann also keine Rede davon sein, daß Wähler sich in den Umfragen für Obama ausgesprochen, sich in der Wahlkabine dann aber doch gegen ihn entschieden hätten.

Wer keine aktuellen Belege hat, der verweist gern auf die Vergangenheit. Und da nun taucht der ominöse Bradley auf. Es wird behauptet, jener Tom Bradley hätte 1982 in Californien in "allen Umfragen" geführt. Dennoch hätten ihn die Californier am Ende nicht gewählt - weil hinreichend viele von ihnen in der Wahlkabine im letzten Augenblick davor zurückschreckten, einen Schwarzen zu wählen.

Dieser angebliche "Effekt" ist mindestens so fragwürdig wie der Rassimus- Verdacht, den er angeblich belegt. Im zweiten Teil werde ich das im einzelnen zeigen.

(Fortsetzung folgt)



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