Ein oberflächlicher Beobachter könnte ja zu dem Schluß kommen, der Berufsstand der Satiriker und der losen Vögel, die wider den Stachel löcken, sei in diesem Land nicht mehr auszuüben. Die Maßnahmen unserer Politik lassen sich nicht mehr durch Zuspitzung überbieten; die Obrigkeit hat das Ressort des Absurden und Irrlichternden selbst in Eigenregie übernommen, und unsere Medien, zumal die Staatsmedien, begnügen sich damit, sich unter der Kennung „Satire“ nur noch plumpe, brachiale Invektiven gegenüber Teilen der Bevölkerung herauszunehmen, die sich nicht zur Wehr setzen können („Meine Oma ist ‘ne alte Umweltsau!“ – sofern sie nicht als Politiker, religiös anders Orient-ierte, sexuell divers Gepolte oder Noch-nicht-lange-im-Land-Weilende den Stempel des Sakrosankten tragen. Außerdem gebe es längst nicht mehr hierzulande, über das man lachen könnte.
Aber dieser Eindruck täuscht. Heute, am 3. Januar, sah sich die „Tagesschau,“ gerade bei Älteren wohl immer noch Garant einer „Wahrheitsmaschine“ angesehen („Karl Heinz Köpcke hat das gesagt, also muß es stimmen!“), veranlaßt, das obige Bild zum Thema einer Meldung zu machen. Als Erläuterung findet sich dazu auf der Netzseite der „Tagesschau“ folgender Text:
Tierischer Einsatz für die Impfkampagne: Mit etwa 700 Schafen und Ziegen haben Schäfer:innen in Schneverdingen (Niedersachsen) eine rund 100 Meter große Spritze dargestellt, um für Corona-Impfungen zu werben. "Ich habe überlegt, welchen Beitrag ich zur Bekämpfung der Pandemie leisten kann", sagte der Organisator der Aktion im Heidekreis, Hanspeter Etzold. Das Ganze sei Werbung für die Impfung gegen das Coronavirus und richte sich an die noch Unentschlossenen. "Schafe sind so sympathische Tiere, vielleicht können die die Botschaft so besser überbringen", so Etzold.
Schäferin Wiebke Schmidt-Kochan hatte die Aktion vorbereitet und mit ihren Tieren mehrere Tage dafür geübt. Besonders schwer sei die Aktion am Montagmittag für sie und die Tiere allerdings nicht gewesen. Der Trick dabei: Sie verteilte vorher Brotstücke in Form der Spritze auf dem Boden. Als die Tieren dann auf die Wiese gelassen wurden, stürzten sie sich sofort auf das Fressen und standen somit perfekt für das Motiv.
„Schafe sind so sympathische Tiere...…“
Liebe Macher:innen der „Tagesschau: ihr müßt jetzt ganz stark sein. Von Karl Kraus (das war ein sarkastischer Autor und galliger Kritiker des Zeitgeistes, der von 1874 bis 1936 lebte und von Beruf Wiener war) stammt der Satz „Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten.“ Er findet sich in der Nr. 309/310 der „Fackel“ vom 31. Oktober 1910. Und daß ihr nicht, wie es salopp im Volksmund heißt, die hellsten Kerzen auf der Torte seid, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Ebenso, daß es euch und anderen „Medien-Outlets“ und der Politik eine Herzensangelegenheit ist, jeden, der Zweifel an der Weisheit eurer Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie öffentlich zu äußern, in den Senkel zu stellen, auszugrenzen, ihre Sendungen aus euren Medienarchiven zu löschen (wie es der Comedienne Lisa Fitz erst vor zwei letzten Wochen passiert ist) – das habt ihr mit den beiden anderen Regimen gemein, die in den letzten 90 Jahren die Geschicke dieses Landes oder einer Teilmenge davon von der Spree aus lenkten. Aber in den beiden Vorläufern war es eine Herausforderung für kritische Geister, die Zensur aufs Glatteis zu führen, indem sie ihnen etwas präsentierten, daß nominell den Vorgaben des Verstatteten entsprach, aber derart ins Absurde überdreht war, daß die Leser und Zuschauer die eigentliche Intention leicht durchschauen konnten. Beliebt war es etwa, nicht nur im Berlin der dreißiger Jahre, sondern auch weiter östlich im Zeichen von Hammer und Sichel, Kritik an den Zuständen und Vorgängen in ein historisches Gewand zu kleiden und etwa vor der Kulisse des antiken Roms harsche Kritik laut werden zu lassen (die zahlreichen Gedichte von Lyrikern in der DDR, die auf Motive aus der klassischen Geschichte und Mythologie zurückgreifen, etwa bei Peter Huchel oder Günter Kunert, verdanken sich diesem Impuls). Im Berlin des Jahres 1943 war es Hans Fischerkoesens achtminütiger Zeichentrickfilm „Die verwitterte Melodie,“ der mit seiner jazz-phrasierten Einspielung unter dem Radar der Zensur durchlief; im „Mutterland des Sozialismus“ Wladimir Tarasovs ebensolanger Zeichentrickfilm Kontakt (Контакт), der Ennio Morricones Titelmelodie des in der UdSSR selbstverständlich verbotenen „Paten“ zu einem der bekanntesten Stücke machte (Tarasow und sein Team hatten den Film 1974 auf der Biennale in Venedig gesehen, als sie zur Präsentation ihrer Produktion Ковбои в городе / „Cowboys in der Stadt“ in den kapitalistischen Westen reisen durften).
Insofern gebührt euch Dank, daß Ihr hier zur Fortsetzung dieser Tradition von Subversivität beitragt. Oder auf Neudeutsch: Keep up the good work! Nicht daß es demnächst wie in Island nicht heißt: Zwei Schafe Abstand halten! Sondern: Zwei Tagesschaumitarbeiter:Innen Abstand halten.
*U.E.
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