26. April 2016

Neue österreichische Farbenlehre

Historisch ist es schon, das Ergebnis der ersten Runde der Kür des österreichischen Bundespräsidenten. Besonders sinnfällig wurde das Unerhörte bei einem Blick auf die räumliche Gruppierung der sechs Kandidaten in der den Urnengang nachbereitenden Sendung des ORF: Die drei Spitzenreiter – der mit großem Vorsprung führende Norbert Hofer (FPÖ), sein Stichwahlgegner Alexander van der Bellen (selbstproklamierter „parteiunabhängiger Kandidat“, was dem Grünen aber niemand abnimmt) und die tatsächlich keiner Partei zugehörige Irmgard Griss – wurden um die Siegertafel drapiert, während sich die Bewerber der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP, Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol, den Katzentisch der Verlierer mit dem weit abgeschlagenen Richard Lugner teilen mussten.

Für die SPÖ und die ÖVP, die – wie die österreichischen Medien es so schön formulieren – die „mittelgroße Koalition“ bilden, ist dieses Ergebnis ein wahres Debakel: In der Zweiten Republik war der Kampf um die Hofburg bislang eine Art Erbstreit zwischen den von diesen Parteien Nominierten, während der rote und der schwarze Kandidat bei der diesjährigen Abstimmung gemeinsam kaum mehr Stimmen auf sich vereinigten als der Zweitplatzierte auf sich allein. Auch die Meinungsforscher erlitten einmal mehr einen Dämpfer, hatten sie den Triumph des FPÖ-Mannes doch nicht einmal annähernd vorhergesehen.

Eines war die erste Runde der österreichischen Bundespräsidentenwahl jedoch nicht: eine Persönlichkeitswahl. Außer vielleicht im Falle des Baumeisters und Opernballlogengastgebers, den man wohl entweder wählte oder aber nicht wählte, weil er Richard Lugner ist, spielte das Individuelle der Kandidaten kaum eine Rolle. Als die FPÖ den nunmehr 45-jährigen Hofer in das Rennen um das höchste Staatsamt schickte,  dürfte sich so mancher Österreicher in Anspielung auf ein bekanntes Vorbild gefragt haben: „Norbert wer?“ Van der Bellen, der freilich ein profiliertes Gesicht seiner Partei ist, hätte sich nicht so ostentativ von dieser abgrenzen müssen, wenn er nicht primär als Grüner wahrgenommen würde (was ihm offensichtlich nicht so recht behagt). Irmgard Griss sprach zweifellos diejenigen an, die sich in der Hofburg eine Hausherrin oder eine wirklich parteiunabhängige Kandidatin wünschten. Khol und Hundstorfer, ehemals Nationalratspräsident bzw. Sozialminister, haben nicht wegen persönlicher Unzulänglichkeiten so schlecht abgeschnitten; der Makel lag für das Gros der Wähler in der Parteizugehörigkeit der beiden Männer.

Den Befund, dass die Persönlichkeit der Kontrahenten kaum eine Rolle spielte, unterstützt auch eine – freilich nicht repräsentative – Umfrage unter den österreichischen Bekannten des Verfassers. Diejenigen Probanden, die sich zu ihrer voraussichtlichen Entscheidung im zweiten Durchgang äußerten, gaben gerade keine individuellen Antipathien gegen einen der Bewerber zu Protokoll, sondern erklärten sinngemäß, den Vertreter der einen bzw. der anderen Partei nicht als Bundespräsident sehen zu wollen. Nicht das Duell der Charaktere Hofer und van der Bellen, sondern die politische Positionierung der beiden Kandidaten bildet das wesentliche Kriterium für das Stichwahlverhalten.

Und es ist natürlich kein Zufall, dass die Bewerber von FPÖ und Grünen die beiden Spitzenränge belegen, verkörpern diese Parteien doch noch einen Gestaltungswillen und eine ideologische Tiefenschärfe, wie sie den mittelgroßen Koalitionären schon längst abhandengekommen sind. Was der „Konvent für Deutschland“ über die bundesrepublikanischen Volksparteien gesagt hat, mag nach Ansicht nicht weniger Österreicher auch auf deren Schwestern im Land der Berge zutreffen.

Ja, das war einmal wieder eine Schicksalswahl. Und ein Blick in die Kristallkugel auf das Schicksal der Gewählten.
Noricus

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