29. Oktober 2008

Zettels Meckerecke: Ich will nacktgescannt werden! Über Wörter und Bilder, das Schamgefühl und die Menschenwürde

Eigentlich hatte ich zu diesem Thema nichts schreiben wollen. Erstens, weil das aus meiner Sicht Treffende dazu schon am Freitag letzter Woche beim beim Anti- Bürokratieteam zu lesen gewesen ist. Zweitens, weil es - wie dort Jo@chim zu Recht schreibt - wahrlich Bedenklicheres gibt, was staatliche Eingriffe in die Privatheit des Einzelnen angeht. Und drittens, weil das Thema medienmäßig durch ist und man sich eigentlich freuen sollte, daß wir es so schnell wieder losgeworden sind.

Nun habe ich aber heute im gedruckten "Spiegel" die einschlägige Story gelesen (44/2008, S. 30 - 32). Nicht weniger als sechs Autoren haben sich an dem Thema zu schaffen gemacht; Überschrift "Krankhafte Züge".

Daraufhin habe ich entschieden, doch noch zu meckern. Dem Thema hinterherzumeckern.



Ich hatte die Aufregung albern gefunden; aber nun gut, es gibt vieles, worüber sich die Leit mal kurz aufregen, und dann is wieder a Ruh.

Aber der Tenor dieses Artikels ist nicht von dieser Art. Sondern die Sechs - von den beiden Juristen Thomas Darnstädt und Dietmar Hipp über Hans- Jürgen Schlamp, den Brüsseler Korrespondenten des "Spiegel", bis zu Manfred Dworschak vom Ressort Wissenschaft - werden grundsätzlich.

Grundsätzlich, ja sogar grundgesetzlich. Sie beklagen,
... welches Menschenbild hinter solcher Sicherheits- Technologie in staatlicher Hand steckt: Nackt und wehrlos, ohne dem Großen Bruder, der ihn still betrachtet, auch nur in die Augen sehen zu können, soll jedermann, ob gut oder böse, vor die Augen der Obrigkeit treten. Die Einsicht, dass der gläserne Bürger jedenfalls nicht dem Menschenbild des Grundgestzes entspricht, ...
Daran stimmt fast nichts. "Wehrlos" ist der Gescannte so viel oder so wenig wie auch jetzt, wenn er mit der Sonde untersucht und mit den Händen abgetastet wird. Nackt ist er auch nicht; noch nicht einmal ist das schemenhafte Schwarzweißbild "nackt", das der Scanner enthüllt; man sehe sich das Beispiel auf Seite 30 des "Spiegel" an.

Nicht nackt ist er, nicht gläsern, der gescannte Bürger. Und es ist auch nicht "die Obrigkeit", die einen Blick auf das gescannte Bild wirft, sondern ein knapp oberhalb des Niveaus von Hartz IV bezahlter, vermutlich gelangweilter Sicherheitsmann im Dienst des Flughafens.

Oder eine Sicherheitsfrau; denn natürlich wird man, beim Scannen wie schon jetzt beim manuellen Abtasten, es Frauen nicht zumuten, von einem Mann überprüft zu werden.

Wie damit die Menschenwürde verletzt werden soll, erschließt sich jedenfalls mir nicht. Allenfalls das Schamgefühl Einzelner könnte verletzt werden; und dem kann man ja dadurch vorbeugen, daß jedem freigestellt ist, ob er sich scannen lassen will oder nicht. Wer das nicht mag, der wird eben, wie schon bisher bei einem Verdachtsfall, zur manuellen Untersuchung in die Kabine gebeten.

Ich jedenfalls will dann doch lieber gescannt werden. Ein paar Sekunden vor dem Apparat sind mir entschieden sympathischer als die Abtasterei. Auch als zum Beispiel das Ausziehen des Gürtels zwecks dessen Durchleuchtung, das ich als sehr unangenehm empfinde.



Gut, das mag man verschieden sehen. Aber auch wenn manche das Gescanntwerden als peinlich empfinden mögen - ein Grund für die gewaltige öffentliche Aufregung, ja "öffentlichen Empörung" ("Spiegel") und das brave Nachfolgen der Politiker (aufgrund einer einheitlichen "Stimmung in allen Fraktionen des Deutschen Bundestags", laut "Spiegel") liefert das noch nicht.

Woher also die Empörung? Ich habe einen Verdacht. Es ist ein Verdacht, den ich schon oft in solchen Fälllen hatte: Die "Öffentlichkeit" die sich da empörte, reagiert nicht auf Sachverhalte, sondern auf Wörter und Bilder. Und sie reagiert nicht in Form einer rationalen Meinungsbildung, sondern quasi- reflektorisch.

Als über einen atomaren Unfall weit im Osten berichtet wurde, in der damaligen UdSSR, stand vor dem geistigen Auge das Bild von alles durchdringenden Todesstrahlen. Wenn ein Hund ein Kind anfällt, dann sieht man einen schrecklichen Bluthund vor sich, der ein armes Wurm zwischen seinen Lefzen hat. Und hier wurde das Bild gleich mitgeliefert, eben jenes einer schemenhaften Figur im Scanner. Weniger ein Bild der Schamverletzung als des Leides; mich hat das an das Turiner Grabtuch erinnert. Auch Assoziationen zu gewissen Spielarten des Fetischismus liegen nicht fern.

Und dazu noch dieses Wort "Nacktscannen". Strahlen dringen ein, durchdringen die uns schützende Kleidung, offenbaren unser Intimstes dem lüsternen Auge des Staats.

Das ist alles nicht so; aber die Bilder, die Wörter suggerieren es eben. Und Empörung ist schnell auszulösen, wie ein Reflex, ohne Nachdenken; genau wie die Reaktion "niedlich" durch den Schlüsselreiz eines tapsigen kleinen Eisbären.



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