13. Januar 2008

Randbemerkung: Was steckt hinter dem Konfrontationskurs der SPD-Führung?

Was sich im Augenblick innerhalb der Berliner Koalition abspielt, das hat es so ähnlich erst zweimal in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben:

Das erste Mal im Oktober 1966, als das Klima zwischen den Koalitionspartnern CDU/CSU und FDP immer eisiger wurde. Am Ende verließ die FDP das Kabinett und erzwang damit den Rücktritt Ludwig Erhards.

Das zweite Mal herrschte eine solche Stimmung wie jetzt in Berlin in der Endphase der Sozialliberalen Koalition im September 1982. Die damalige Krise endete mit einem konstruktiven Mißtrauensvotum, mit dem Helmut Kohl an Stelle Helmut Schmidts zum Kanzler gewählt wurde.

Beide Male war immer deutlicher geworden, daß der "Vorrat an Gemeinsamkeiten", wie man damals sagte, innerhalb der jeweiligen Koalition aufgebraucht war. Es gab interne Kritik, es gab Spannungen, die an die Öffentlichkeit drangen. Es gab 1982 das berühmte "Lambsdorff- Papier", in dem der Graf Lambsdorff so schonungslos mit der Regierung abrechnete, als stünde man bereits in gegensätzlichen politischen Lagern.

Es ging damals ähnlich zu wie in den letzten Wochen einer gescheiterten Ehe. Aber man ging doch immer noch respektvoll miteinander um. So etwas wie jetzt hat es damals nicht gegeben, weder 1966, noch 1982.

Was prominente Vertreter der Sozialdemokratie im Augenblick gegen ihren Koalitionspartner CDU/CSU veranstalten, stellt alles in den Schatten, was die FDP 1966 gegen Erhard vorgetragen und in die Öffentlichkeit gebracht hat, und 1982 gegen den Kanzler Helmut Schmidt.

Über den Fraktionsvorsitzenden Struck berichtete Reuters gestern:
Struck unterstellte Koch, er sei insgeheim froh über den Angriff auf einen Rentner, weil er damit ein Thema für die Landtagswahl am 27. Januar bekommen habe. Eine von der CDU gewünschte Entschuldigung lehnte der Sozialdemokrat mit den Worten ab: "Die kann mich mal."
Gewiß, es ist Wahlkampf in Hessen. Aber Struck ist kein hessischer Wahlkämpfer, sondern er ist der Vorsitzende einer der beiden Koalitionsfraktionen. Sein Job ist es, die Koalition zusammenzuhalten, nicht Öl ins Feuer zu gießen.

Dasselbe gilt für den Vizekanzler. Auch Steinmeier drischt in letzter Zeit auf die Partei seiner Kanzlerin ein, als sei die Koalition ein Porzellanladen und er als Elefant in denselben hineinbefördert worden.

Und nicht auf die Partei seiner Kanzlerin drischt Steinmeier ein, sondern inzwischen auch auf diese selbst. "Vizekanzler keilt gegen Kanzlerin" titelt die SZ. So ist Erich Mende nicht mit Erhard umgegangen und Genscher nicht mit Helmut Schmidt, als sie das Ende der jeweiligen Koalition betrieben.

Man hat den Eindruck, daß Steinmeier sein Image des bedachtsamen Staatsmanns gegen das eines kämpferischen Kanzlerkandidaten eintauschen will, so schnell es nur geht. Bevor es zu spät ist, sozusagen.



Wozu zu spät? Wie schnell wird sich wohl entscheiden, wer gegen Merkel antritt? Und wird er in einem Wahlkampf antreten, oder vielleicht als Kandidat eines konstruktiven Mißtrauensvotums?

Mit anderen Worten: Geht es wirklich nur um den Wahlkampf in Hessen? Ich halte das für sehr unwahrscheinlich.

Zum einen, weil das, was man der hessischen CDU vorwerfen kann, ja nicht unbedingt just von den drei Personen vorgebracht werden müßte, von denen der Fortbestand der Berliner Koalition abhängt - Struck, Steinmeier und Parteichef Beck, der als dritter der Musketiere degenschwingend durch die Gegend tänzelt, elegant, wie es seine Art ist.

Zum anderen, weil es nach den Wahlen am 27. Januar sehr gut eine Situation geben kann, in der weder Schwarzgelb noch Rotgrün eine Mehrheit haben. Und für das, was dann passiert, werden jetzt die Weichen gestellt.

Dann wird es, sieht man von exotischen Ampeln ab, zu entscheiden sein, ob CDU und SPD schweren Herzens zusammengehen, weil es halt sein muß, wie 2005 in Berlin. Oder ob dann Frau Ypsilanti sich ans Kleingedruckte hält und zwar, ihrem Versprechen gemäß, nicht eine "rot-rote" Koalition eingeht, aber eine Volksfront bildet; vielleicht vorerst in Gestalt einer Duldung von Rotgrün durch die Kommunisten.

Wenn sich eine solche Alternative zwischen einer Großen Koalition und der Volksfront in Hessen nach dem 27. Januar stellen sollte, dann wird es entscheidend auf das Klima zwischen den Parteien ankommen. Was Struck, was Beck und Steinmeier im Augenblick betreiben, ist eine geradezu mutwillige Verschlechterung des Klimas zwischen der SPD und der Union. Nicht nur in Hessen, sondern zwangsläufig auch im Bund.



Wenn es in Hessen zur Volksfront in der einen oder anderen Gestaltung kommt, dann wird die Krise in Berlin zur Existenzkrise der Koalition werden. Dann braucht die SPD nur noch einen Vorwand, um zusammen mit den Grünen und den Kommunisten die Kanzlerin per konstruktivem Mißtrauensvotum zu stürzen.

Welche Vorteile das für die SPD gegenüber der Option hätte, bis 2009 in der Großen Koalition zu bleiben, habe ich vor sechs Wochen hier erläutert. Zitat aus diesem Artikel:
Die Versuchung dürfte also groß sein, es mit einem konstruktiven Mißtrauensvotum zu versuchen. Allerdings muß das gut eingefädelt werden, um nicht als ein Putsch gegen die beliebte Kanzlerin Merkel wahrgenommen zu werden. Dazu müßte die SPD ein Thema finden, ein soziales am besten, das sich zum Bruch der Koalition eignet. Mindestlohn für alle, beispielsweise. Da kann man leicht die Auseinandersetzung so weit treiben, daß man empört die Koalition verlassen kann.
Zitat aus der SZ von gestern:
Nach dem Willen von SPD-Politiker Olaf Scholz und seiner Partei soll die Neufassung von zwei Gesetzen die Grundlage für die Einführung von Mindestlöhnen für alle Arbeitnehmer schaffen. In einer internen Unterlage aus dem Arbeitsministerium zu dem Gesetzesvorhaben heißt es: "Mindestlöhne können damit in jeder Branche entweder auf der Grundlage des einen oder des anderen Gesetzes festgelegt werden. Es bleiben keine 'weißen Flecken'."
Und es bleibt nicht die Koalition mit der Union.

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