22. September 2022

Virus oder nicht Virus. Eine Coronei und ein Gedankensplitter.

Vor einigen Wochen las ich in der Achse des Guten einen Link auf einen Artikel, der sich damit auseinandersetzt, warum die radikale Linke nicht in der Lage ist, sich mit dem Corona-Staat auseinander zu setzen, ein recht spannender Artikel, der durchaus seine Viertelstunde Lesezeit wert ist, wenn es einem nicht zuviel ist sich in die Gedankenmuster der etwas linkeren Republik hinein zu versetzen.

Wer möchte kann ihn selbstredend alleine lesen, doch an dieser Stelle hat es mir ein spezieller Gedanke angetan, der sich im dritten Absatz verbirgt und sich in Claude Bernards Satz zusammenfassen lässt: Die Mikrobe ist nichts, dass Terrain ist alles. Ob Bernard zu seiner Zeit es so gemeint hat sei dahingestellt, aber man kann den Satz durchaus auch so verstehen: Das Virus ist nichts, der Wirtskörper ist alles. 

Und diese These, in Absolutheit sicher falsch, ist eigentlich viel zu interessant, um ihr nicht ein paar Gedanken widmen zu können. Denn mithin liefert die These eine fast perfekte Erklärung dafür warum Menschen an Corona sterben, bzw. warum andere Menschen nicht an Corona sterben. 

Doch betrachten wir es erst einmal grundsätzlich. Ich schrieb schon in der Absolutheit ist der Satz sicher falsch, denn es gibt tatsächlich echte Killerviren die noch den gesundesten Menschen umgehauen haben. Der HIV-Virus ist ein Beispiel dafür. Ohne Medikation ist eine Infektion nahezu immer innerhalb von wenigen Jahren tödlich und sei der Wirtskörper noch so gesund. Extremere Beispiele sind die Pocken oder auch Ebola, die eine gewaltige Letalität auch unter bis dahin kerngesunden Menschen aufweisen und teilweise innerhalb von wenigen Wochen zum zuverlässigen Exitus führen. 

Aber das sind tatsächlich eher die Ausnahmen als die Regel. Die meisten Viren sind vergleichsweise(!) harmlos. Die diversen Erkältungsviren zum Beispiel, oder die diversen Viren die Magen-Darm-Erkrankungen auslösen. Herpes ist in der Regel ärgerlich aber selten tödlich. Für viele "Kinderkrankheiten" wie Röteln oder Windpocken gilt ähnliches. Und selbst üble Krankheiten wie Masern und Grippe sind zwar gefährlich, aber in nur sehr wenigen Fällen tödlich (wenn ichs recht entsinne bei Masern etwa 1:2000, bei der normalen Influenza etwa 1:1000). 

Das ganze Spiel ändert sich in dem Moment radikal, wenn der Patient nicht mehr "gesund" ist. Das Extrembeispiel ist der Patient dessen Immunsystem zerstört worden ist (beispielsweise durch Strahlung im Rahmen einer Krebstherapie oder auch durch den HIV-Virus). In solchen Fällen ist die simpelste Erkältung bereits tödlich, weil die Viren sich unkontrolliert vermehren können und den Patienten überfluten. 

Aber zwischen gesund und "ohne Immunsystem" gibt es ein gewaltiges Spektrum. Unser Immunsystem wird in der Regel stärker, wenn wir als Kinder heranwachsen und schwächer, wenn wir ins höhere Alter eintreten. Das ist der natürliche Gang der Dinge. Und ehrlicherweise waren wir bis vor noch gar nicht so langer Zeit auch geneigt das so zu betrachten: Wenn ein HIV Erkrankter sich mit einer einfachen Erkältung infizierte und dann starb, so kam niemand auf die Idee zu sagen, er sei an einer Erkältung gestorben. Er ist an HIV gestorben. Und auch bei einem uralten Menschen, der mit 96 Jahren dann einem Husten verstirbt würde man die Todesursache normalerweise nicht auf die Grippe zurück führen sondern schlicht normale Altersschwäche angeben. Man würde gar nicht nach der Grippe suchen. 
Und selbst bei Menschen, die nicht uralt sind, aber schon drei Bypässe hinter sich haben, einen BMI von 40 und schwere Diabetes, würden wir normalerweise einen Tod durch Grippe nur bedingt dem Virus zuschieben.

Wir sind also gesellschaftlich etwas gespalten im Bezug auf Bernards Aussage: Wir wissen durchaus, dass Menschen auch an ihrer nicht vorhandenen Abwehr sterben, dass Terrain ist nicht unwichtig. Der Virus ist eben nicht alles.

Bei Corona hat sich diese Betrachtung radikal verändert: Das Terrain ist nichts, der Virus ist alles. Und so erklärt sich, dass die Grippewelle, die alljährlich über die Pflegeheime hereinbrach und als nichts dramatisches empfunden wurde, mit einem Mal den Schrecken der "Corona-Welle" bekam und die Menschen nicht mehr am Alter sondern eben an dem Virus starben. Wichtig erscheint mir dabei zu sein, dass sich medizinisch eigentlich wenig geändert hat, die gesellschaftliche Betrachtung dagegen schon. 

Doch wie dem auch sei, es führt uns nicht weiter, denn Betrachtungen sind immer eine Frage der subjektiven Empfindung und öffnen sich nicht oft der Diskussion, noch weniger der Debatte. Aber dadurch geht gleichzeitig etwas anderes verloren, das meines Erachtens nach von zentraler Bedeutung ist: Das Terrain. Denn anders als bei Kindern und bei (sehr) Alten ist das Terrain eben keine Schicksalsfrage sondern unterliegt dem menschlichen Einfluß. Oder plump gesagt: Immunität und Widerstand sind nicht schicksalhaft.

Es ist in meiner Empfindung absolut erstaunlich, dass diese geradezu triviale Erkenntnis, gesellschaftlich kaum eine Rolle spielt, bzw. so weit in den Hintergrund getreten ist, dass sie keiner öffentlichen Diskussion bedarf. Als Gesellschaft haben wir uns auf den Virus gestürzt und alles rechte und unrechte getan, um die Ausbreitung des Virus aufzuhalten, eben nach dem Motto: Das Terrain ist nichts, der Virus ist alles. Umso unglücklicher ist es, dass der Gegenstandpunkt nun ausgerechnet von den "Querdenkern" (das derzeitige Feindbild, wenn die AfD gerade im Urlaub ist) aufgesogen wurde und damit weiter diskreditiert wurde. Was dazu führt, dass er noch weniger diskutiert wird.

Um es plakativ zu fassen: Es fehlt nicht die Frage, warum eine Person an Corona stirbt (da ist die Antwort der Virus), es fehlt an der Frage: Warum stirbt diese Person an Corona und diese dort nicht? 
Wenn das Terrain nun egal wäre, dann wäre die Antwort: Der Zufall. Zufall ist eine mächtige Kraft des Universums, keine Frage und jedem reale Vorgang liegt immer eine Spur Zufall bei. Nur: Bei Corona beobachten wir keine zufällige Verteilung der Toten sondern einen ganz, ganz gewaltigen Bias im Bezug auf Alter und Erkrankungen. Bei Corona, im Unterschied zu den wirklichen, oben genannten Killerviren, scheint das Terrain außerordentlich wichtig zu sein. 

Umso erstaunlicher, wie wenig darüber gesprochen wird. Natürlich können wir das Alter nicht rückgängig machen, das "Terrain" eines 85 jährigen Pflegefalls ist in dem Sinne kaum restaurierbar, aber warum redet man nicht darüber, wie viele deutlich jüngere ihr Terrain jeden Tag beschädigen und zerstören? Wie wenig sie auf sich achten, wie "ungesund" sie leben? In Deutschland rauchen 15 Millionen Menschen jeden Tag Zigaretten. Und ruinieren ihre Lunge, ihre Herzkranzgefäße und am Ende ihr Terrain. Klar, wir sprechen das ab und zu an, aber das das mit Corona was zu tun haben könnte? Nein, der Virus ist alles. In Deutschland werden pro Jahr und pro Erwachsenem etwas mehr als 10 Liter reiner Alkohol konsumiert. Und es hat neun Millionen mit einem echten Alkoholproblem. 10 Liter pro Nase. Wir wissen, dass das schädlich ist. Aber mit Corona hat das nichts zu tun: Der Virus ist alles. Und körperliche Bewegung ist eben in Deutschland keine Mehrheitsentscheidung. Ja, es gibt Fitnessstudios, Trimm-Dich-Pfade und Sportvereine. Aber über die Hälfte der Bevölkerung treibt weniger als einmal im Monat Sport. Weniger als 20 Prozent treiben mehrmals die Woche Sport. Aber auch hier: Wenn jemand an Corona stirbt, dann hat das nichts mit Bewegungsmangel zu tun, denn, wir haben ja gelernt: Das Virus ist alles. Und gerade in diesem Fall, nebenbei gesprochen, kennt ja jeder mindestens einen Sportler aus der direkten Umgebung, der immer gesund gelebt und sich bewegt hat und ganz jämmerlich an Corona verstorben ist. Genau. 

Und das sind nur die trivialen Faktoren. Mein Lieblingsbeispiel der etwas esoterischen bleibt immer noch der Vitamin-D Spiegel. Der ÖR mag es bestreiten (der Virus ist bekanntlich alles), aber das es einen massiven Zusammenhang zwischen Vitamin-D Spiegel und dem Immunsystem gibt, war schon vor Corona lange bekannt. Und es fügt sich auch hervorragend in Effekte ein, die wir auch schon vorher beobachtet haben. In Deutschland ist generell Vitamin-D Mangel weit verbreitet (von der erwachsenen Bevölkerung weisen weniger als 40%(!) eine ausreichende Versorgung auf, ein Drittel der Bevölkerung lebt im Mangel). Und Vitamin D Mangel korreliert extrem stark mit den Jahreszeiten (was trivial logisch ist, denn das meiste Vitamin D wird über Sonneneinstrahlung in der Haut gebildet und nur sehr wenig über die Nahrung aufgenommen. Und im Winter scheint in Deutschland wenig Sonne.). 
Ist es da so besonders verwunderlich, dass Erkältungskrankheiten (also klassische Atemwegsinfekte) in den Wintermonaten zunehmen? Kälte alleine löst keine Erkältung aus, die geschwächte Immunabwehr durch trockene Atemwege, durch Vitaminmangel und weniger Bewegung dagegen schon. 
Und Corona bildet auch hier keine Ausnahme, eben weil es eine klassische Atemwegserkrankung ist. 

Aber wird das thematisiert? Um Himmels willen: Nein. Der ÖR wie auch die öffentlich bezahlten Faktenerfinder wehren sich mit Händen und Füßen dagegen. Der Virus ist alles und die ganze Vitamin- Geschichte riecht ja nicht nur nach Querdenker, die muss falsch sein. Witzigerweise erzählen uns die selben Leute, die noch vor wenigen Jahren versucht haben einen von "Entschlackung", "Entgiftung", "Vitamin-Kuren" und "Super-Vitamin-Food" zu erzählen, nun dass das alles für Vitamin D nicht gilt, sondern das der Stoff gefährlich ist und man um Himmels willen keines einnehmen sollte. Denn, wir werden schon müde davon, der Virus ist alles, das Terrain ist nichts.

Warum erzähle ich das alles? Nun, um zunächst mal darauf hinzuweisen, dass Corona eben doch nicht total schicksalhaft ist, wie es gerne dargestellt wird. Man kann schon was dran tun. Aber es ist aufwendig. Und Aufwand ist natürlich doof, zudem ist es natürlich auch immer schwierig sich selber in die Verantwortung zu nehmen, wenn etwas im Leben schief läuft. Wenn man mit 50 Diabetes bekommt, dann hat das nichts mit dem fetten Bauch zu tun, wenn mit 60 der Herzklabaster kommt, dann kommt das nicht vom Saufen oder davon, dass man keine drei Stockwerke mehr hoch kommt, ohne dass die Pumpe bis zum Hals schlägt und wenn man mit Corona keine Luft mehr bekommt, ja dann, hat das jedenfalls nichts mit den Zigaretten zu tun, die man die letzten 40 Jahre genossen hat.

Schuld ist das Nachbarskind, dass doch gestern wieder keine Maske getragen hat und der böse Querdenker, der doch tatsächlich die dollen "Maßnahmen" in Frage stellt und sich nicht ein viertes Mal spritzen lassen will. 

Natürlich kann man auch einfach Pech haben. Man kann viele Vorerkrankungen schlicht aus Zufall gehabt haben und die beste, gesunde Lebensweise schützt nicht vor dem Alter. Man kann immer nur Wahrscheinlichkeiten beeinflussen, Garantien gibt es nur auf Waschmaschinen (und selbst die sind von fragwürdigem Wert). Aber ich persönlich ziehe es vor, die Wahrscheinlichkeit in meinem Sinne zu beeinflussen, und wenn ich dann doch daran zugrunde gehe, dann ist das so. Aber ich versuche möglichst nicht viel dazu beizutragen. Ich versuche mein Terrain möglichst für mich einzunehmen. Und ich finde das sollten mehr Leute tun, statt sich darüber zu erregen, wer seine Maske nicht richtig trägt.

Kleiner Nachsatz: Mir fällt nach dem Reflektieren der letzten drei Absätze eine kleine Parallelität auf, die mich schmunzeln lies: Jordan Peterson schreibt in seinem "12 rules for life" den Gedanken auf, man solle sein Zimmer aufräumen. Damit will er erklären, dass man, bevor man ­anderen sagt, wie sie zu leben haben oder sich verhalten sollen, erst einmal bei sich selbst anfangen soll und seine eigene Bude in Ordnung bringen soll. Absolut richtig. Das hier ist der selbe Gedanke, nur eben auf die eigene Gesundheit angewandt: Bevor man anderen sagt, dass sie doch bitte dies und das tun müssen, um einem selbst die Gesundheit zu schützen, wäre es nur sinnvoll das erst einmal selber zu tun. Wieso sollte jemand Rücksicht auf meine Gesundheit nehmen, wenn ich das nicht einmal selber tun will?

Llarian

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