11. Juni 2020

"bento" am Ende

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Als Medienzyniker - zu denen sich der Protokollant zhält, der seit vielen Jahren jeden direkten Kontakt mit dem Massenmedien, seien sie elektronisch oder gedruckt, der über eine Schlagzeile und angelegentlich eine Rezension oder die gezielte, informierte Einlassung eines ausgewiesenen Fachmanns zum Thema hinausgeht, tunlichst vermeidet- als sardonisches Beobachter der Medienlandschaft im nun auch nicht mehr ganz taufrischen einzundzwanzigsten Jahrhundert also, ist man versucht zu sagen: Es gibt sie noch, die guten Nachrichten.

In diesem Fall: die Nachricht, die am Mittwoch über die "magischen Kanäle" (Marshall McLuhan) durchs Globaldorf gesendet wurde, daß der Jugendableger des Medienportals des Spiegeles, das vor fünf Jahren im Weltnetz gestartete "bento", im Herbst seinen Sendebetrieb einstellen wird. Die Spiegel-Hauptredaktion gab in ihrem Pressestatement am Mittwoch der gegenwäritgen Corona-Krise die Hauptlast an dem Faktum brutum, daß das für die "Generation #Hashtag" konzipierte Outlet "nachhaltig in die Verlustzone gerutscht" war. Zum einen mag es sich hier um  publizistische Kosmetik handeln, mit der die ökonomisch dringend gebotene Verschlankung des Angebots den gerade waltenden Umständen gutgeschrieben wird.


(Ganz falsch mag es trotzdem nicht sein: der Werbe- und Anzeigenmarkt, über dessen Akquise die großen Medienmultiplikatoren den Löwenanteil ihre Einnahmen generieren (die Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten ausgenommen, deren Zwangsgebühren-System sie den Niederungen des Marktes enthebt) schrumpft seit Jahren synchron mit der Reichweite von Zeitungen und Zeitschriften, und der Lockdown sowie die Aussicht auf eine erheblich unterkühlte Nachfrage in den nächsten Jahren und Monaten können auf diesem Markt schon durchaus signifkante Dämpfungseffekte gezeitigt haben, indem sich die Werbebranche nach dem Motto "Kauft Kämme, es kommen lausige Zeiten!" auf eine ökonomische globale Abkühlung vorbereitet.)

Andererseits liest sich auf dem Rückspiegel so manche frühere Meldung wie ein Warnzeichen, etwa hier vom Oktober 2019 über den "Relaunch" des Netzauftrittes mit optisch weitegehender Anpassung an das Design des Mutterschiffes SPON, und der Ankündigung, das Format demnächst (also im fernen Zukunftsjahr 2020) in gedruckter Form die biherigen Printbeilage "SPIEGEL Uni" ersetzen zu lassen. Dergleichen Zeichen an der Wand dürfen in den Branche recht sicher als Anzeichen für einen kriselnden Absatz (bzw. ausbleibende Klickzahlen, auf denen sich die Werbeeinnahmen bei Netzmedien generieren) genommen werden: eine Angleichung ans Bestehende ist eben keine Ausweitung des Angebots; vor allem wohnt in ihr kein Anreiz, sich als Käufer - oder nur als Bediener einer Maustaste - damit zu befassen. Es ist ein Paradox des volatilen Mediums Weltnetz, daß Beständigkeit Lesertreue generiert, nicht die beliebige Richtungslosigkeit. (Das Wort "Zeitgeistigkeit" ist in diesem Fall zu eng, denn bento war Zeit seines Bestehens nichts, überhaupt nichts anderes als der Versuch, den vermeintlichen "Zeitgeist" in möglichst schlichter inhaltlicher wie sprachlicher Form in Bits und Bytes zu gießen. Ein irgendwie gearteter "informationeller Mehrwert" - als im Journalismus, als er noch seinen Namen verdiente - ein nicht unwichtiger Grund war, sich mit seinen besseren Produkten zu befassen - war hier nicht auszumachen.

Womöglich war das Unterfangen als solches von vornherein zum Scheitern verurteilt. (Dabei handelt es sich nicht um ein Phänomen des EDV-Zeitalters: die Kurzlebigkeit von Zeitungen, Blättchen, Magazinen, Reihen, Formaten, Printoffensiven, Aufbrüchen und publizistischer Landgewinnung ist dem seriellen Medium eingeschrieben, seit des mit der Gestalt der "moralischen Wochenschriften" zu Anfang der achtzehnten Jahrhunderts erstmals Form annahm.) Womöglich hat man das Bedürfnis des ins Auge gefaßten Publikums weit überschätzt, sich Woche für Woche mit den stets gleichen und stets gleich inhaltsfreien Zeitgeistbeschwörungen zu den Weltthemen "Gerechtigkeit (Politik, Wirtschaft und Gesellschaft), Uni und Arbeit (Ausbildung, Studium, Karriere), Freizeit (Serien, Popkultur, Reisen), Gefühle (Liebe, Sex, Beziehungen, Psyche) und Queer (LGBTQ+)" bespaßen zu lassen. Als altgedienter Zyniker hält er der Protokollant zwar mit dem Motto "Jede Jugend ist die dümmste - außer der heutigen: die ist die allerdümmste". Aber das sollte den Blick nicht dafür verstellen, daß es sich, bei allem (scheinbaren) Erfolg medialer Verflachung und Oberflächlichkeit (dem altgedienten Leser von H. G. Wells fallen an dieser Stelle gern die Eloi aus der "Zeitmaschine" ein), doch um Jugendliche handelt, deren anthropologische Grundausstattung nicht in den letzten Jahrhunderten nicht wesentlich gveändert haben dürfte. (Allein schon diese Feststellung dürfte in den Augen aller bentisten und LGBplus-Tantristen einen hohen Scheiterhaufen als Antwort angezeigt sein lassen.) Wer schlicht "eine gute Zeit haben will" und zum obligatorischen Zeitgeist-Surfen, mitsamt dem probaten Schwenken der Symbole, die ihn als "den Guten" zugehörig ausweist, ist mit den kurzen, kursorischen Meldungen der sozialen Medien (und zwar in ihrer Kurzform, wie Twitter oder Instagram) bestens bedient; dort - und eben auch nicht bei solchen "Jugendmedien" geht und ging es nie um Aufklärung oder auch nur breitere Hintergrundinformationen, sondern um Aufregung und "auf der richtigen Seite sein". Und die Bereitschaft, sich mit trivialen Befindlichkeiten beschallen zu lassen, von denen jeder weiß, wie er/sie/x/div darüber zu denken hat und was der Inhalt der Botschaft ist, bewegt sich im Wiederholungsfall rapide gegen Null, wie noch jedes System, das die Staatspropaganda ins Zentrum gerückt hat, in den letzten 100 Jahren feststellen mußte. Das ist der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Boulevard der alten Schule und den Wanderpredigern vom schalen Zeitgeist: während etwa die BILD-Zeitung (als sie nicht zum zweiten Lager abgewandert war und ihre Auflage noch siebenstellig notierte) sich in Sachen Kampagnen von niemandem die Butter vom Brot nehmen ließ wie in Sachen "süßer Nichtigkeiten", gab es doch immer einen informationellen Kern, wenn existentielle Belange der Leserschaft in den Fokus der Redaktion rückten. (Gerhard Schröders Ondit, er brauche zum Regieren mit "die BILD, die BILD am Sonntag und die Glotze" hatte einen gut gegründeten Anker im Verhältnis "Wirklichkeit : Medienwirklichkeit".) Die heutige Medienlandschaft hat sich weitgehend von der  Rückbindung an alle schnöde Realität freigeschwommen und sie durch Haltung ersetzt. Das ist nichts Neues, und die Vorteile der Gestalter springen ins Auge (keine Recherche, kein Aufwand, und das Wohlwollen der Begünstigten - wobei hier zumeist ein Irrtum auf Seiten der Medienmacher vorliegen dürfte, der daraus entsteht, daß ihre Treiben durch diie Bank folgenlos bleibt - für sie selbst wie für die, die sie mit Glimpf wie Unglimpf bedenken.)




Fragt sich zum Schluß nur, wer denn nun wohl das pp. Pulikum gewesen sein mag, das im Fall von bento nun scharenweise auf Mausklicks verzichtet hat? Der kleine Zyniker mutmaßt, es könnte sich hier ausnahmslos kopfschüttelnde Zeitgeistchronisten (der bösen, finstren, unprogressiven Spielart) gehandelt haben, deren einziges Interesse im sardonischen Amüsemang über das possierliche Treiben ihrer Spezis von Sascha Lobo bis R. Augstein bis eben bento bestand, deren Alfanzereien ihnen justament dasselbe, zugegeben nicht eben niveauvolle Plaisier bereitete wie der Leserschaft von Sebastian Brant "Narrenschiff" vor einem halben Jahrtausend, lange bevor so etwas wie "Journalismus" erfunden worden war.

U.E.

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