17. Juni 2019

Görlitz oder: Wie die CDU lernte, den Pyrrhussieg zu lieben

Das ist ja noch einmal gut gegangen, mag man sich in so manchen Redaktionsstuben dieses Landes und allen relevanten Parteien außer der AfD gedacht haben. Und vielleicht waren die sogenannten Rechtspopulisten – jedenfalls jene, die außerhalb von Görlitz residieren – insgeheim gar nicht unglücklich darüber, dass der eigene Bewerber um den Posten des Oberbürgermeisters der ostsächsischen Stadt dem – darf man dies aufgrund der Ähnlichkeiten des Settings im Anklang an die letzte österreichische Bundespräsidentenwahl so schreiben? – Kandidaten des Establishments unterlegen ist.
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Denn dies gestattet der AfD die Bildung einer Art Dolchstoßlegende: Der im ersten Urnengang im Kampf gegen mehrere Konkurrenten unbesiegte Sebastian Wippel hätte demnach den Stichentscheid nur verloren, weil zu diesem nicht mehr alle teilnahmeberechtigten Bewerber antraten – gemäß § 44a Sächsische Kommunalwahlordnung können alle zum ersten Wahlgang zugelassenen Kandidaten auch die zweite Runde bestreiten; wer die relative Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt, obsiegt dann –, sondern insbesondere die in der ersten Befragung mit einem Ergebnis von 27,9 Prozent enorm erfolgreiche Grünen-Exponentin Franziska Schubert ihren Hut aus dem Ring nahm und eine zwar keine Namen nennende, jedoch gleichwohl wenig verklausulierte Empfehlung zugunsten des CDU-Mannes Octavian Ursu abgab. Aber auch die SED-Kandidatin Jana Lübeck zog sich aus dem Rennen um den Ortschefsessel zurück – dies mit der offenen Intention, eine Front gegen den nach dem ersten Wahlgang von der Pole-Position startenden AfD-Bewerber zu ermöglichen.

Ohne den Einwohnern der hier im Mittelpunkt stehenden Stadt zu nahe treten zu wollen: Aber die Bedeutung von Görlitz kann wohl eher über- als unterschätzt werden. In Sachsen gibt es fünf bevölkerungsstärkere Ortschaften (nämlich Leipzig, Dresden, Chemnitz, Zwickau und Plauen), und gerade die beiden im Klammerausdruck erstgenannten Ost-Metropolen dürften für das Selbstverständnis des Freistaates wichtiger sein als die Kommune an der Grenze zu Polen. Auf Bundesebene wird das Zentrum der Oberlausitz ungefähr so relevant sein wie das – ich möchte wiederum niemanden kränken – vergleichbar große beziehungsweise kleine Rosenheim (in dem übrigens eine CSU-Frau regiert – die Welt ist noch nicht überall aus den Fugen geraten), also im Endeffekt gar nicht. Es bestand deshalb weder eine politische noch eine symbolische Notwendigkeit (Warnungen aus Hollywood lassen wir hier ganz nonchalant außer Acht), einen AfD-OB in Görlitz zu verhindern.

Die Außenwirkung dessen, dass die CDU in den jüngeren Bundesländern (fast ein Theo-Waigel-Zitat) nur noch mit gefälliger Unterstützung derjenigen Parteien reüssiert, die einem klassischen Konservativen die Schreckensbleiche ins Gesicht hexen – „Genosse Günther“ (nicht nur fast ein Alexander-Dobrindt-Zitat) mag über solche Vereinigungen jubeln – ist natürlich verheerend. Realistisch ist die Annahme, dass nach den im Herbst stattfindenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zumindest in einem dieser Gliedstaaten nicht mehr gegen AfD und Linke paktiert werden kann. Und wenn die CDU dann mit der SED koaliert oder den von ihr geführten Zusammenschluss von dieser Partei tolerieren lässt, um ein blaues Wunder zu vereiteln, dann sollte die Kanzlerinnentruppe vielleicht einmal darüber nachdenken, dass eine politische Gruppierung, die sich als für alle Optionen (außer der Darreichung des kleinen Fingers an den Teufel) offen präsentiert, letztlich für keinen mehr interessant ist, zumal des Konzept der sogenannten catch-all-parties wohl eine der größten Mystifikationen der Politikwissenschaft (besser: Politik-„Wissenschaft“) darstellt.

Die zwei aufstrebenden Parteien dieser Republik, die Grünen und die AfD, wollen gerade nicht einen jeden, der des Weges kommt, mit dem grobmaschigen Netz einfangen; vielmehr markieren sie ihr ideologisches Revier mit unverkennbaren Duftmarken und biedern sich gerade nicht dem hinsichtlich der Zeitläufte desaffektierten Medianbürger an. Die CDU könnte von dieser Strategie so einiges lernen. Görlitz zeigt hingegen, dass sie noch nicht einmal die Aufgabenstellung begriffen hat.
 

 Noricus

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