Das ist ja noch einmal
gut gegangen, mag man sich in so manchen Redaktionsstuben dieses Landes und
allen relevanten Parteien außer der AfD gedacht haben. Und vielleicht waren die
sogenannten Rechtspopulisten – jedenfalls jene, die außerhalb von Görlitz residieren
– insgeheim gar nicht unglücklich darüber, dass der eigene Bewerber um den
Posten des Oberbürgermeisters der ostsächsischen Stadt dem – darf man dies aufgrund
der Ähnlichkeiten des Settings im Anklang an die letzte österreichische Bundespräsidentenwahl so schreiben? – Kandidaten des Establishments unterlegen
ist.
Denn dies gestattet der AfD die Bildung einer Art Dolchstoßlegende: Der im ersten Urnengang im Kampf gegen mehrere Konkurrenten unbesiegte Sebastian Wippel hätte demnach den Stichentscheid nur verloren, weil zu diesem nicht mehr alle teilnahmeberechtigten Bewerber antraten – gemäß § 44a Sächsische Kommunalwahlordnung können alle zum ersten Wahlgang zugelassenen Kandidaten auch die zweite Runde bestreiten; wer die relative Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt, obsiegt dann –, sondern insbesondere die in der ersten Befragung mit einem Ergebnis von 27,9 Prozent enorm erfolgreiche Grünen-Exponentin Franziska Schubert ihren Hut aus dem Ring nahm und eine zwar keine Namen nennende, jedoch gleichwohl wenig verklausulierte Empfehlung zugunsten des CDU-Mannes Octavian Ursu abgab. Aber auch die SED-Kandidatin Jana Lübeck zog sich aus dem Rennen um den Ortschefsessel zurück – dies mit der offenen Intention, eine Front gegen den nach dem ersten Wahlgang von der Pole-Position startenden AfD-Bewerber zu ermöglichen.
Ohne den Einwohnern der hier im Mittelpunkt stehenden
Stadt zu nahe treten zu wollen: Aber die Bedeutung von Görlitz kann wohl eher
über- als unterschätzt werden. In Sachsen gibt es fünf bevölkerungsstärkere
Ortschaften (nämlich Leipzig, Dresden, Chemnitz, Zwickau und Plauen), und
gerade die beiden im Klammerausdruck erstgenannten Ost-Metropolen dürften für
das Selbstverständnis des Freistaates wichtiger sein als die Kommune an der
Grenze zu Polen. Auf Bundesebene wird das Zentrum der Oberlausitz ungefähr so
relevant sein wie das – ich möchte wiederum niemanden kränken – vergleichbar
große beziehungsweise kleine Rosenheim (in dem übrigens eine CSU-Frau regiert –
die Welt ist noch nicht überall aus den Fugen geraten), also im Endeffekt gar
nicht. Es bestand deshalb weder eine politische noch eine symbolische
Notwendigkeit (Warnungen aus Hollywood lassen wir hier ganz nonchalant außer
Acht), einen AfD-OB in Görlitz zu verhindern.
Die Außenwirkung dessen,
dass die CDU in den jüngeren Bundesländern (fast ein Theo-Waigel-Zitat) nur
noch mit gefälliger Unterstützung derjenigen Parteien reüssiert, die einem
klassischen Konservativen die Schreckensbleiche ins Gesicht hexen – „Genosse
Günther“ (nicht nur fast ein Alexander-Dobrindt-Zitat) mag über solche Vereinigungen
jubeln – ist natürlich verheerend. Realistisch ist die Annahme, dass nach den
im Herbst stattfindenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zumindest
in einem dieser Gliedstaaten nicht mehr gegen AfD und Linke paktiert werden
kann. Und wenn die CDU dann mit der SED koaliert oder den von ihr geführten
Zusammenschluss von dieser Partei tolerieren lässt, um ein blaues Wunder zu
vereiteln, dann sollte die Kanzlerinnentruppe vielleicht einmal darüber
nachdenken, dass eine politische Gruppierung, die sich als für alle Optionen (außer
der Darreichung des kleinen Fingers an den Teufel) offen präsentiert, letztlich
für keinen mehr interessant ist, zumal des Konzept der sogenannten catch-all-parties wohl eine der größten
Mystifikationen der Politikwissenschaft (besser: Politik-„Wissenschaft“) darstellt.
Die zwei aufstrebenden
Parteien dieser Republik, die Grünen und die AfD, wollen gerade nicht einen
jeden, der des Weges kommt, mit dem grobmaschigen Netz einfangen; vielmehr
markieren sie ihr ideologisches Revier mit unverkennbaren Duftmarken und
biedern sich gerade nicht dem hinsichtlich der Zeitläufte desaffektierten
Medianbürger an. Die CDU könnte von dieser Strategie so einiges lernen. Görlitz
zeigt hingegen, dass sie noch nicht einmal die Aufgabenstellung begriffen hat.
Noricus
© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.