19. Juni 2019

Von Ultimaten und Artikeln. "Liebe FfF-Kids..."


(Notstandsgebiet Münster, 19.6.2019; 16:30. Sichtbare Folgen des Klimawandels: Dürresommer fallen jetzt extrem aus. [Eigenes Photo])


...wir müssen mal ein ernstes Wort miteinander reden. So geht es, beim besten Willen, nicht. Daß ihr mit eurem freitgälichen Schulschwänzen Gratisaufmüpfigkeit simuliert, daß ihr, anders als bei früheren Anfällen von kollektivem Jugendirresein, nicht gegen die Politik, alle alten Spießer und deren Medien im Kreis hüpft, sondern mit deren Segen und Beifall; daß ihr keine Ahnung habt von dem, wofür ihr steht, daß ihr, die ihr unbedingt "das Klima" retten möchtet, nicht imstande sid, euren Wohlstandsmüll hinter euch ienzusammeln: geschenkt. Alles nachgesehen. Aber daß ihr augenscheinlich außerstande seid, die Notizbuchfunktion eurer Wischtelephone zu bedienen, daß ihr außerstande scheint, zwei Zahlen in einem Notizbuch aus Papier zu notieren (ja, Relikte aus dem Erdzeitalter wie wir benutzen dergleichen mitunter noch): das ist bedenklich. Wenn eure Lehrer nicht ein Auge darauf haben, verpaßt ihr doch glatt den Termin zum Schulschwänzen.

Da habt ihr also - in Gestalt eurer Roten Zora, eurer germanischen Tigerlily Luisa-Marie Neubauer, auch zärtlich "Langstrecken-Luisa" genannt wegen ihre Vorliebe für Urlaubsflüge in weit entfernte Inselparadiese, den Aktionären der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (die Abkürzung dafür ist RWE) auf deren Jahreshauptversammlung am 3. Mai in Essen ein "Ultimatum", und zwar von 47 Tagen, gestellt, um eure Forderungen zu erfüllen. Falls Ihr Euch nicht mehr erinnert (es ist ja auch lange her): ihr könnt sie hier nachlesen, oder hier, oder hier direkt auf eurer eigenen Netzseite. Und da

 das Wesen jedes Unterrichts im Wiederholen des Lernstoffs besteht, seien die wichtigsten Punkte noch einmal kurz aufgezählt:

- die Absenkung aller Treibhausgasemissionen in Deutschland auf "netto null" bis 2035.
- die Umsetzung des Kohleausstiegs innerhalb von elf Jahren,
- und die Umstellung der gesamten Energieversorgung ("100%"), ebenfalls bis 2035. (Falls ihr glaubt, bis dahin sei es ja noch eine Ewigkeit: das ist eurer Privileg als junge Hüpfer. Wir Älteren wissen: nein, dem ist nicht so: rückgerechnet landen wir im Jahr 2003. Da hatte Gerhard Schröder noch zwei Jahre als Kanzler vor sich; da war das deutsche Bundeswehrkontingent seit einem vollen Jahr in Afghanistan im Einsatz, Nine-Eleven lag zwei Jahre zurück. Nein, es ist KEINE Ewigkeit)

Wichtiger aber: euer spezieller Forderungskatalog von vor knapp sieben Wochen umfasste folgende bis zum Ende dieses Jahres umzusetzenden Punkte:
- die Streichung sämtlicher Subventionen für fossile Energieträger;
- die Abschaltung eines Viertels aller Kohlekraftwerke (ich weiß: mit Zahlen habt ihr es nicht so, aber es ist das Privileg alter Lehrer-Säcke, unwissende Schöler mit Zahlen und Fakten langweilen zu dürfen, deswegen sei die Relation einmal hergesetzt: die gesamte installierte Leistung der Braun- und Kohlekraftwerke in Deutschland beträgt 26,8% der gesamten installierten Kraftwerksleistung - einschließlich Biomasse, Wind- und Solarerzeugung, aber ziemlich genau 52% der installierten grundlastfähigen Kraftwerksleistung. Das sind solche, die auch Strom liefern können, wenn die Sonne einmal nicht scheint und der Wind gerade keine Lust zum Wehen hat. Ihr fordert schlicht, das um ein ganzes Viertel zu reduzieren. Kann sein, daß es EUCH nichts ausmacht, wenn ihr von heute auf morgen - ach nein: in sieben Monaten, so als Weihnachtsgeschenk - mit nur drei Vierteln eurer Wochenzuteilung eure Freunde bei McDonald's und taffen Klamotten bei Laune halten müßt; Elter 1 und 2 dürfte ein solcher Schnitt ins Budget härter ankommen.)
- und die Einführung einer "Kohlenstoffsteuer" auf sämtliche Treibhausemissionen ("die die Klimakosten, die dadurch zukünftigen Generationen entstehen, kompensieren"). Daß es sich dabei wohl um die abenteuerlichste Preisgestaltung handelt, die in der Geschichte der Ökonomie aufgestellt worden ist, braucht euch selbstredend nicht zu kehren. Ignoranz war schon immer das Privileg jeder Jugend

Und dieses "Ultimatum", alle 47 Tage davon, ist mit dem heutigen Tag ausgelaufen. Und natürlich hat RWE keine dieser "Forderungen" erfüllt. Und nun habt ihr ein kleines Problem: von euch wurde nichts gesehen, nichts vernommen. Was wollt ihr nun tun? Die Luft anhalten, die euch etwas passiert? (Das würde eure CO2-Bilanz immerhin erheblich verbessern.) Hüpfen, bis der Erdball erzittert? Nicht mehr bei McD futtern? 24/7/365 fortbleiben? Vielleicht hat euch niemand gesagt, was ein "Ultimatum" ist. Es handelt sich um eine fix festgelegte Frist, deren Verstreichen Konsequenzen für denjenigen haben muß, dem sie gestellt worden ist. Sonst ist es nämlich Allotria, Firlefanz und Kasperei - das ist euer "Klimagehüpfe" zwar stets gewesen, und zwar nichts anderes.  

Es sei denn, ihr hättet euch den Begriff des "politischen Handelns" zu eigen gemacht, den die offiziell dazu bestallte Nomenklatura dieses Landes gleichfalls pflegt. Dort wird nämlich die reine Ankündigung einer Handlung mit dem Vollzug derselben in eines gesetzt. Zu verkünden, man tue etwas, oder werde jetzt etwas tun ersetzt das tatsächliche Tun vollumfänglich. Es reicht, zu verkünden, man "schaffe das": es ist mit der Ankündigung geschafft. Es reicht völlig, anzukündigen, man wolle demnächst den vertraglich zugesicherten Finanzausgaben für die NATO nachkommen; das Rüberschieben der konkreten Knete erübrigt sich dadurch. Nur orangene Männer, die bis ins Mark bad sind, nehmen dies übel. (Oder Werften, die der Ansicht sind, Sanierungskosten, für die sie für einen morschen Dreimaster in Vorlage gegangen sind, müßten auch vom zuständigen Ministerium bezahlt werden: solche Firmen haben vom postfaktischen Wirtschaften noch nichts begriffen. Jede Wette, liebe Kids, daß dieser Saftladen in drei Jahren Insolvenz anmelden muß.) Die löbliche Haltung, Ankündigungen nichts folgen zu lassen, macht euch freilich zum Teil des politmedialen Establishments; nun: das seid ihr sowieso.

*     *     *
Was ihr aber, im Kern, seid, das hat der englische Schriftsteller H. G. Wells, der "Erfinder der Zukunft", vor 125 Jahren in seinem ersten großen Text, The Time Machine von 1895 beschrieben, in der er diese Art von Vehikel zur Erkundung ferner Zeiten der kollektiven menschlichen Imagination hinzufügte. Sein Zeitreisender, der die Zukunft der Erde und des Menschengeschlechts nicht mehr wie bisher als Vision, sondern als direkt involvierter Besucher erlebt, trifft im Jahr 800.000 auf eine Menschheit, die sich in zwei Gruppen gespalten hat, die unterirdisch lebenden, dämonischen, vertierten und instinktgeleiteten Morlocks - und die ebenfalls jeder höheren Intelligenz baren, so kindischen wie kindlichen Eloi, die wir Schafe auf einer Weide in einer paradiesähnlichen Parklandschaft, die einmal London war, ein von keiner Weltkenntnis beschwertes Lotosesserdasein fristen, nur getrieben von einem Entsetzen vor den Schrecken der Nacht, in denen sie, wie der Zeitreisende zu seinem namenlosen Entsetzen feststellen muß (er hatte zunächst geglaubt, in seinem sozialistischen Menschheitsparadies gelandet zu sein), kraß und konkret als Atzung und Wegzehrung dienen. Bei Wells brauchte die Menschheit fast eine Million Jahre, um  (zumindest in seiner scheinbar prvilegiert-weißen Hälfte) auf dieses Niveau ewiger Infantilität zu regredieren (Charles Darwins Formulierung vom Descent of Man findet hier eine sarkastische Volte); Well hätte es sich nicht träumen lassen, daß große Teile der westlichen Welt diesen Schritt in weniger als einem Bäckerdutzend von Jahrzehnten vollziehen könnte.

Wells temporaler Argonaut fährt im Anschluß an diese Offenbarung, aller Illusionen über eine lichte Zukunft bar, bis ans Ende der ihm erreichbaren Zeit: bis zum Tod der Erde, zum Verlöschen der Sonne, wo sich ihm, dieses in tiefverglühenden Farben gehaltene Panorama bietet:

So I travelled, stopping ever and again, in great strides of a thousand years or more, drawn on by the mystery of the earth's fate, watching with a strange fascination the sun grow larger and duller in the westward sky, and the life of the old earth ebb away. At last, more than thirty million years hence, the huge red-hot dome of the sun had come to obscure nearly a tenth part of the darkling heavens. Then I stopped once more, for the crawling multitude of crabs had disappeared, and the red beach, save for its livid green liverworts and lichens, seemed lifeless. And now it was flecked with white. A bitter cold assailed me. Rare white flakes ever and again came eddying down. To the north-eastward, the glare of snow lay under the starlight of the sable sky and I could see an undulating crest of hillocks pinkish white. There were fringes of ice along the sea margin, with drifting masses further out; but the main expanse of that salt ocean, all bloody under the eternal sunset, was still unfrozen.

'I looked about me to see if any traces of animal life remained. A certain indefinable apprehension still kept me in the saddle of the machine. But I saw nothing moving, in earth or sky or sea. The green slime on the rocks alone testified that life was not extinct. A shallow sandbank had appeared in the sea and the water had receded from the beach. I fancied I saw some black object flopping about upon this bank, but it became motionless as I looked at it, and I judged that my eye had been deceived, and that the black object was merely a rock. The stars in the sky were intensely bright and seemed to me to twinkle very little. 
...
A horror of this great darkness came on me. The cold, that smote to my marrow, and the pain I felt in breathing, overcame me. I shivered, and a deadly nausea seized me. Then like a red-hot bow in the sky appeared the edge of the sun. I got off the machine to recover myself. I felt giddy and incapable of facing the return journey. As I stood sick and confused I saw again the moving thing upon the shoal—there was no mistake now that it was a moving thing—against the red water of the sea. It was a round thing, the size of a football perhaps, or, it may be, bigger, and tentacles trailed down from it; it seemed black against the weltering blood-red water, and it was hopping fitfully about. (Chapter 11)

Wells erster Übersetzer, Felix Paul Greve, übersetzt dies so:

So fuhr ich mit gelegentlichen Unterbrechungen in großen Schritten von tausend Jahren oder mehr davon, fortgezogen vom Geheimnis des Schicksals der Erde, und ich beobachtete mit unheimlicher Faszination, wie die Sonne am westlichen Himmel immer größer und stumpfer wurde und wie das Leben der alten Erde ebbte. Schließlich war es – mehr als dreißig Millionen Jahre nach dem heutigen Tage – so weit gekommen, daß die ungeheure, rotglühende Sonne fast ein Zehntel des dunklen Himmels verdeckte. Da machte ich noch einmal halt, denn die kriechende Menge von Krebsen war verschwunden, und der rote Strand schien, abgesehen von seinem fahlgrünen Leberkraut und Flechten, leblos. Und jetzt war er weiß gefleckt. Mich befiel eine bittere Kälte. Hin und wieder kamen seltene weiße Flocken herabgewirbelt. Nach Nordosten lag der Schneeglanz unterm Sternenlicht des düsteren Himmels, und ich konnte einen wogenden Hügelkamm in rosigem Weiß sehen. Am Meeresstrand entlang lag ein Eissaum, weiter draußen trieben Blöcke; aber die Hauptfläche des Salzmeers, das unter dem ewigen Sonnenuntergang blutig leuchtete, war noch ungefroren.

Ich blickte mich um, um zu sehen, ob noch Spuren von tierischem Leben blieben. Eine undefinierbare Besorgnis hielt mich noch im Sattel der Maschine fest. Aber ich sah nichts sich bewegen, weder am Himmel noch auf der Erde. Nur der grüne Schleim auf den Felsen zeugte dafür, daß das Leben nicht erloschen war. Eine seichte Sandbank war im Meer erschienen, und das Wasser war vom Strand gewichen. Ich meinte, auf dieser Bank einen schwarzen Gegenstand hin und her plumpen zu sehen, aber er wurde bewegungslos, als ich ihn ansah, und ich schloß daraus, daß mein Auge sich getäuscht hatte und daß der schwarze Gegenstand nur ein Fels war. Die Sterne am Himmel leuchteten intensiv und schienen mir sehr wenig zu blinken.

Mich überkam ein Grauen vor diesem großen Dunkel. Die Kälte, die mir ins Mark drang, und der Schmerz, den ich beim Atmen empfand, überwältigten mich. Mir schauderte und mich ergriff eine tödliche Übelkeit. Dann erschien am Himmel wie ein rotglühender Bogen der Sonnenrand. Ich stieg von der Maschine ab, um mich zu erholen. Ich fühlte mich schwindelig und unfähig, die Rückfahrt zu beginnen. Als ich so krank und verwirrt dastand, sah ich wieder das sich bewegende Ding auf der Sandbank – jetzt war kein Irrtum möglich, es bewegte sich – vor dem roten Wasser des Meers. Es war ein großes, rundes Ding, etwa von der Größe eines Fußballs, vielleicht auch größer, und Fühler hingen von ihm nieder; gegen das wogende, blutrote Wasser erschien es schwarz, und es hüpfte ruckweise umher.

It was hopping fitfully about; es hüpfte zuckend umher. Sonnen und Welten vergehen - aber.das Gehüpfe bleibt bestehen. T. S. Eliot befand, genau drei Jahrzehnte nach Wells' Vision vom Ende der Zeiten, in seinem Poem The Hollow Men: "This is the way the world ends. / Not with a bang, but a whimper." - so geht die Welt unter: nicht mit einem Knall, sondern mit Gewinsel. Ach nein: nicht mit Gewimmer. Mit Gehüpfe. Aber genau das, liebe Gretianer, war ja der Subtext eures Unterfangens von Anfang an.

*     *     *

Eine abschließende Bitte: wäre es euch möglich, eure "FfF"-Bezeichnung doch einmal auf korrektes Englisch umzustellen? (Natürlich nicht; es handelt sich um eine rhetorische Frage): für dieses "for Future" hättet ihr, als die Schule noch nicht zum pädagogischen Narrenhaus verkommen war, bei jeder Verwendung einen dicken roten Strich kassiert: bei den adverbialen Zeitbezeichungen (yesterday - today - tomorrow) wird kein Artikel verwendet ("tomorrow I will come to my senses"); bei den Substantiven "die Vergangenheit - die Gegenwart - die Zukunft" ist der bestimmte Artikel hingegen obligatorisch; das gilt im Englischen wie im Deutschen: I saw the future, sagt der Zeitreisende, aber nicht: I saw future. Soviel Spaßausbremsung muß sein. In eurem geliebten Englisch gibt es eine Bezeichnung für alte Dinosaurier, die auf solchen Details bestehen: Grammar nazi.

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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.