Gemäß dem Pressekodex (Ziffer 13) ist die Unschuldsvermutung auch von Journalisten in Ausübung ihrer
Tätigkeit zu beachten. Daran sollte man angesichts der jeglichen
berufsethischen Standards hohnsprechenden Agitation, die der gewaltsame Tod des
CDU-Politikers und Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Kassel, Walter
Lübcke, im bundesrepublikanischen Blätterwald ausgelöst hat, bei aller
Resignation ob der voraussichtlichen Sinnlosigkeit solcher Kassandrarufe doch
erinnern.
Zu ihrem vorläufigen Tiefpunkt hat die öffentliche Debatte über den Fall Lübcke aber nicht ein hauptamtlicher Publizist, sondern der parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verteidigung geführt. In einem in der WELT erschienenen Gastbeitrag (online hinter der Bezahlschranke abrufbar) geht Peter Tauber wie selbstverständlich davon aus, dass der derzeit Verdächtige auch wirklich der Täter sei und aus rechtsextremen Motiven gehandelt habe. Nach der Nennung von Personen, die nach Ansicht des früheren CDU-Generalsekretärs
Zu ihrem vorläufigen Tiefpunkt hat die öffentliche Debatte über den Fall Lübcke aber nicht ein hauptamtlicher Publizist, sondern der parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verteidigung geführt. In einem in der WELT erschienenen Gastbeitrag (online hinter der Bezahlschranke abrufbar) geht Peter Tauber wie selbstverständlich davon aus, dass der derzeit Verdächtige auch wirklich der Täter sei und aus rechtsextremen Motiven gehandelt habe. Nach der Nennung von Personen, die nach Ansicht des früheren CDU-Generalsekretärs
durch eine Sprache, die enthemmt und zur Gewalt führt, mitschuldig am Tod Walter Lübckes
sein sollen, wird
immerhin konzediert, dass die gegenwärtige Lage von Weimarer Verhältnissen noch
entfernt ist, wobei der promovierte Historiker mindestens unsauber formuliert,
wenn er – bezogen auf die erste deutsche Republik – zunächst von „über 500
politisch motivierte[n] Mordtaten“ spricht und dann „Erzberger, Scheidemann und
Rathenau […] zu den bekanntesten Opfern“ zählt. Der in der Mitte Genannte
überlebte nämlich das auf ihn verübte Attentat und starb 1939 im dänischen Exil.
Mit kleinen
Ungenauigkeiten, die in ihrer Summe den Text des Merkel-Getreuen zu einer
veritablen Peinlichkeit zusammenschnurren lassen, geht es dann weiter: Als
Konsequenzen aus dem von ihm erhobenen Befund fordert Tauber nicht nur die
Anwendung des Strafrechts, sondern bringt auch vor, dass die Eltern des
Grundgesetzes
uns ein scharfes Schwert zum Schutz der Verfassung in die Hand gegeben
hätten, nämlich den
Artikel 18 Grundgesetz. Zu dieser Bestimmung wird uns mitgeteilt, darin sei
festgeschrieben, dass derjenige entscheidende Grundrechte wie das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Eigentum oder auch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis verwirkt, der diese Grundrechte „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht“.
Wer dieses ominöse, über das
konstitutionelle Excalibur verfügende Wir denn ist, darüber schweigt sich der
Beitrag aus, obwohl auch für einen Nichtjuristen – besonders einen, der die
entsprechende Verfassungsnorm offenbar gelesen hat – leicht recherchierbar sein
sollte, dass die Anwendung dieser Vorschrift dem Bundesverfassungsgericht
obliegt, und zwar – wie § 36 Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu entnehmen ist –
auf Antrag des Bundestages, der Bundesregierung oder einer Landesregierung.
Taubers Formulierung liest sich dagegen so, als wäre die Grundrechtsverwirkung
durch einen Verwaltungsakt oder die Entscheidung eines Fachgerichts auszusprechen und
damit sozusagen Alltagsrechtsanwendung.
Wenn man den die
Rechtsfindung fördernden Blick in den Wortlaut des Artikel 18 Satz 1
Grundgesetz
Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte
wagt und diese Zeilen mit
Taubers Normtextreferat vergleicht, so wird offenbar, dass nach unserer
Verfassung auch das Asylrecht durch Missbrauch zum Kampf gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung verwirkt werden kann, der
CDU-Politiker dies aber nicht erwähnt. Freilich: Auch das ist für sich gesehen
kein Beinbruch, doch ganz im Sinne von Goethes Tasso „fühlt man Absicht und man ist verstimmt“. Denn wenn man so
argumentiert wie Tauber, dann müsste ein dem genius loci entsprechendes Posting in einem Salafistenforum für die
Verwirkung des Asylrechts ausreichen. Dies ist von dem immer gewählt Formulierenden aber sicher nicht intendiert.
Ich vermute auch, dass
der Von-der-Leyen-Adjutant den juristischen Unterschied zwischen dem Prinzip
der Prävention und jenem der Repression nicht ganz versteht. Dass Artikel 18
Grundgesetz ersteres Ziel verfolgt, wurde vom Bundesverfassungsgericht in den
wenigen Fällen, in denen es mit einem Antrag auf Grundrechtsverwirkung
beschäftigt war – stattgegeben wurde einem solchen Ansinnen noch nie –
unmissverständlich klargestellt. So wurde im Beschluss vom 02.07.1974, 2 BvA 1/69, Randnummer 9, mit weiteren Nachweisen ausgeführt, dass Artikel 18
Grundgesetz
der Abwehr von Gefahren, die der freiheitlich- demokratischen Grundordnung durch individuelle Betätigung drohen können[,]
dient und für Artikel 18
Grundgesetz
die Gefährlichkeit des Antragsgegners im Blick auf die Zukunft entscheidend [ist].
Weder ein
Kollektivmaulkorb für Politiker unliebsamer Parteien oder Mitglieder „rechter
Netzwerke“ noch die Sanktionierung eines vielleicht früher einmal relevanten, aber
pro futuro nur noch unerheblichen
Wirkens gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) und auch
nicht ein vielleicht Anstoß erregendes, aber keine Gefahr für die FDGO
darstellendes Auftreten rechtfertigen die Anwendung des Artikel 18 Grundgesetz.
Denn es geht in dieser Norm eben nicht darum, Meinungsabweichler für ihr
unbotmäßiges Unterfangen zu bestrafen, vielmehr soll ein Wanken des Fundaments,
auf dem dieser Staat errichtet ist, vermieden werden. Deshalb ist der
Ausschluss vom Diskurs als befristet beziehungsweise befristbar konzipiert
(siehe § 40 Bundesverfassungsgerichtsgesetz).
Wer nun einwirft, dass
sich Artikel 18 Grundgesetz dann wohl als Totgeburt erweist, möge Folgendes
bedenken: Man kann den Sinn dieser Bestimmung auch darin sehen, dass sie
letztlich eine zusätzliche Absicherung der darin genannten Grundrechte mit sich
bringt. Zum Beispiel die in Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz positivierten
Grundrechte unterliegen dem Schrankenvorbehalt des Absatzes 2 der genannten
Norm. Artikel 18 Grundgesetz würde nach der auch hier vertretenen Auffassung den einfachen Gesetzgeber daran
hindern, zum Beispiel im Strafrecht einen Entzug der Meinungsfreiheit als
Nebensanktion zu etablieren, was ihm von Artikel 5 Grundgesetz nicht
schlechterdings verwehrt wäre. Die Leichtfertigkeit, mit der Tauber seinen
politischen Antipoden den Knebel vor dem Mund anbringen möchte, wäre somit von der
Verfassung keinesfalls gewollt.
Alexander Wendt, der sich
in seinem Online-Magazin Publico
seinerseits mit den verfassungsjuristischen Inkonsistenzen der Argumentation
des CDU-Politikers befasst, attestiert Tauber, dieser wolle „nicht debattieren,
sondern herumdröhnen“. Meines Erachtens möchte der gebürtige Frankfurter weder
das eine noch das andere. Sein Vorwurf an Hans-Georg Maaßen und die „namenlosen
Wichtigtuer von der Werte-Union“, wonach sich diese über die Integrations- und
Einbindungsfähigkeit der politischen Rechten täuschten, sowie das zeitnahe
Erscheinen einer sekundierenden, von Partei- und Gesinnungsfreund Ruprecht
Polenz verfassten Kolumne auf SPIEGEL-Online sprechen meines Erachtens eher
dafür, dass hier schon einmal für den nach den heurigen Landtagswahlen im Osten
oder nach der Demission Angela Merkels zu erwartenden Ausrichtungskampf
innerhalb der CDU Pflöcke eingeschlagen werden sollen. Politikern, die
scheinbar selbstlos und zweckfrei handeln, sollte man grundsätzlich misstrauen.
Noricus
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