1. Juni 2018

Eine Kultur der Angst

­Es war ein Tweet. Eine kleine Nachricht von weniger als 160 Zeichen, meist nicht allzu reflektiert, in diesem speziellen Fall gerade einmal 53 Zeichen lang (Leerzeichen mitgezählt). 53 Zeichen reichen heute bereits aus, um Existenzen zu vernichten, um eine Hundertschaft von völlig Unbeteiligten arbeitslos zu machen, um einen aberwitzigen Sturm an Distanzierungen und Verurteilungen auszulösen.

Das Problem an dem Tweet war nicht, dass er einfach nur dämlich war (dann hätte die halbe deutsche Politik ihre Existenz schon lange ausgehaucht), das Problem an dem Tweet war, dass er rassistisch war. So schrieb Roseanne Barr (Hauptdarstellerin in der amerikanischen Sitcom “Roseanne”) auf ihrem Twitteracount 

„muslim brotherhood & planet of the apes had a baby=vj”.
VJ bezieht sich in diesem Fall auf eine frühere Beraterin von Altpräsident Obama, die nicht nur auf den Namen Valerie Jarrett hört, sondern außerdem Afroamerikanerin ist (oder wie man in nicht politisch korrekten Zeiten gesagt hätte: eine schwarze Hautfarbe hat). Man kann den Tweet nicht wirklich schön reden, die rassistische Konnotation ist ziemlich eindeutig. Das ganze ist zweifelsohne geschmacklos und daneben.

Das allerdings ist auch anderen aufgefallen. Und wie. Nur wenige Stunden nachdem der Tweet veröffentlicht wurde, setzte der Sender ABC die neu gedrehte Staffel der Serie Roseanne ab. Eine weitere Staffel, die eigentlich schon fest geplant war, wird es nicht geben, was mit den nicht gezeigten Folgen geschieht, ist derzeit noch unklar. Das Ganze im Kontext dessen, dass die Fortsetzung der Serie (nach 20 jähriger Unterbrechung) eine der erfolgreichsten Produktionen von ABC ist. Sowohl ABC als auch der Mutterkonzern, Disney, ist derzeit schwer damit bemüht sich von Frau Barr abzusetzen, ihr Verhalten in den brutalstmöglichen (TM R. Koch) Worten zu verurteilen und bei Licht betrachtet, möglichst viel Distanz zwischen sich und die Dame zu bringen.
Auch ihre Kollegen, sowohl vor als auch hinter der Kamera, waren gestern reichlich bemüht sich von ihr zu distanzieren. Möglichst schnell, möglichst effektiv.

Die Konsequenzen sind noch nicht vollständig abzusehen, aber es ist jetzt schon vergleichsweise eindeutig, dass die (extrem erfolgreiche) Serie Roseanne damit Geschichte sein wird, Frau Barr ebenso und das man sich bei ABC und Disney mühen wird in den nächsten Monaten schwer zu belegen, dass man keine Rassisten bei sich dulde. Und es wird, das wage ich ebenso zu prognostizieren, niemand(!) von ihren Kollegen es wagen auch nur irgendetwas von sich zu geben, was man irgendwie als Relativierung auslegen könnte.

Natürlich ist es richtig, dass die ganze Geschichte auch einen weiteren Kontext hat: Frau Barr ist vielen Leuten, auch und nicht zuletzt bei ABC und Disney, unbequem. Sie ist querulantisch, tweetet eine Menge Unsinn und ist eine offene Unterstützerin von Donald Trump. Da ist es nicht unbedingt verwunderlich mit welcher Häme auch und gerade aus der Presse über die Geschichte berichtet wird (der Spargel als deutscher Vertreter macht da gerne das unrühmliche Vorbild). Aber das erklärt nicht die extreme Reaktion ihres Senders und ihrer Kollegen. Frau Barrs Eigenschaft als Querulantin oder als Trump-Unterstützerin ist gemeinhin kein Geheimnis. Das war ABC & Disney und ebenso ihren Kollegen hinreichend bekannt. Sie habe alle mit ihr gearbeitet, offenkundig damit nicht nur kein Problem gehabt, sondern wollten auch weiter zusammenarbeiten. Da greift der Trump-Unterstützer zu kurz.

Der Tweet selber gibt aber auch nur eine schlechte Erklärung ab. Klar ist Rassismus nichts schönes, aber aus einem(!) Tweet eine rassistische Grundeinstellung abzuleiten ist einfach grotesk(!) lächerlich. Da sind Leute, die mehr als 20 Jahre eine Person kennen, jahrelang mit ihr eng zusammengearbeitet haben, und die plötzlich durch eine Äußerung von 53 Zeichen erkennen, dass die Person ja eigentlich eine ganz furchtbare ist. Überhaupt eine Frau, die seit mehr als 20 Jahren in der Öffentlichkeit steht, und die 65 werden muss, bis man merkt, dass sie eine Rassistin ist. Das ist absurd. Menschen sagen (und schreiben) schon mal dumme Dinge. Gerade Komiker tun das. Und die meisten merken das auch. Und entschuldigen sich dann (so auch hier, nebenbei bemerkt). Aber das zählt alles nicht mehr, weil es etwas viel dominanteres gibt, dass die Debatte am Leben erhält.

Angst. Und zwar nackte Angst. Angst, die schon an Panik grenzt. Es ist die Angst damit assoziiert zu werden, derjenige zu sein, der sich mit dem Bösen (in diesem Fall dem Rassisten) solidarisiert. Es ist die Angst allein durch das nicht rechtzeitige Distanzieren mit in den Sog des Gescholtenen zu geraten. Kollegen, Geschäftspartner oder auch Bekannte, sie alle suchen ihr Heil in der schnellen Flucht nach vorne, um bloß diesem Sog zu entkommen.

Das schlimme daran ist, dass mithin eine verheerende Rückkopplung entsteht. Umso mehr Leute sich umso deutlich distanzieren, umso mehr fühlen sich andere dazu genötigt das noch zu übertreffen. Exemplarisch wurde das schon bei der #metoo Kampagne offensichtlich, oder auch dem deutschen Ableger/Vorgänger #aufschrei. Wer immer im Verdacht ist ein Rassist oder Sexist zu sein (wahlweise wohl auch islamophob oder homophob) wird vollkommen isoliert, er (oder in ganz seltenen Fällen auch sie) steht alleine, niemand stellt sich davor und der öffentliche Mob verlangt nicht nur brutalstmögliche Erniedrigung und Abbitte, er besteht auch auf die Vernichtung der bürgerlichen Existenz. Und wer immer dieses Ziel in Frage stellt, gerät genau in dieselbe Gefahr.

Es gibt ein altes Wort dafür: Hexenjagd. Und es trifft den Zustand erstaunlich genau. Wer in den dunklen Zeiten des Mittelalters in den Verdacht geriet eine Hexe zu sein, der war schon per Verdacht schuldig, und wer es auch nur wagte den Verdacht in Frage zu stellen, machte sich selber mindestens ebenso verdächtig. Das Muster wiederholte sich in der Geschichte noch mehrfach. Um bei Hollywood zu bleiben, so hat dieses auch eine äußerst unrühmliche Geschichte Mitte des letzten Jahrhundertes hinter sich, die wir noch als „McCarthyismus“ kennen. Auch damals kam so ziemlich jeder Schauspieler von Rang und Namen, der sich nicht öffentlich gegen die „Bösen“ stellte, selber postwendend auf diese Liste.

Ich glaube nicht, dass man einen Menschen aufgrund einer einzelnen, dummen Äußerung vernichten sollte. Da fehlt mir nicht nur die Verhältnismäßigkeit, ich finde die Forderung sich nie auch mal dumm äußern zu können, ausgesprochen unmenschlich. Weit verheerender als die Wirkung auf den Einzelnen (die ja immer noch übersichtlich viele sind) ist aber die Wirkung auf die Gesellschaft an sich. Denn diese öffentlichen Tribunale mit anschließender, geradezu unvermeidlicher Exekution, schaffen ein Klima der Angst. Nun ist Twitter kein Menschenrecht, aber wir legen in dem Moment auch den selben Maßstab an eine harmlose Unterhaltung an einer Hotelbar an (Rainer Brüderle beendete seine politische Karriere (und am Ende auch sein öffentliches Leben) mit einem dumm geratenen „Herrenwitz“.). David Bonderman, ehemaliges Mitglied im Vorstand von Uber, verlor seinen Job, weil er einen (extrem harmlosen!) Witz darüber machte, dass wenn es mehr Frauen im Vorstand von Uber gäbe, dann auch mehr geredet würde. Das reicht heute schon. Und es ist niemand da, der in einer solchen Situation auch mal auf die Bremse tritt und fragt: „Habt ihr sie eigentlich noch alle?“

Ist das die Gesellschaft in der wir leben wollen? Wo jedes Wort danach bewertet wird, ob der Betreffende im Grunde seines Herzens, ein verdammenswerter Verbrecher ist, was er damit gerade offenbart hat? Der eine oder andere wird (plakativ) einwenden „Rassismus ist kein Menschenrecht“. Und das stimmt. Rassismus macht die Welt sicher nicht besser. Ich sehe aber nicht wo diese Hexenjagd irgendetwas besser macht. 

Llarian

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