3. November 2017

Luther und die Linke. Die Exkommunikation als Weg in den eigenen Machtverlust. Eine Gedankenpromenade

Wenn von der kulturellen Hegemonie der Linken die Rede ist, wird eigentlich etwas Altbekanntes zur Sprache gebracht: Die Medien sind nicht erst seit gestern überwiegend links, die Universitäten (dem Klischee nach jedenfalls die geisteswissenschaftlichen Fakultäten) ebenso und in den Reihen der sonstigen Intellektuellen gehört es spätestens seit 1945 zum guten Ton, sich ideologisch im Spektrum der Antipoden der Rechten zu verorten. Die an Jahren etwas reiferen Leser dieses Blogs werden sich zum Beispiel noch an die Aufregung um Botho Strauß‘ Essay „Anschwellender Bocksgesang“ erinnern – der wurde vor fast 25 Jahren im SPIEGEL (Ausgabe 6/1993) gedruckt, in der im Rückblick so golden erscheinenden Kohl-Ära, also noch lange vor der Regentschaft Angela Merkels.
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Mit dem Namen der Bundeskanzlerin ist freilich eine andere Entwicklung verbunden, nämlich das Überschlagen der kulturellen Hegemonie der Linken auf die politische Landschaft der Bundesrepublik. Merkel hat die CDU in eine kulturlinke Partei transformiert, die rein synchron betrachtet den Grünen nähersteht als ihrer doch noch deutlich stärker der Tradition verhafteten bayerischen Schwester. Eine bundesweite kulturkonservative Volkspartei gibt es in Deutschland nicht mehr – und das ist für eine freiheitliche Demokratie ein durchaus besorgniserregender Befund.

Im Rest der westlichen Welt scheint freilich eine gegenläufige Tendenz Platz zu greifen. Die Kulturkonservativen sind allenthalben auf dem Vormarsch. Ob Trump oder der Brexit, ob der sogenannte Rechtsruck bei der österreichischen Nationalratswahl – alle diese Personalien und Ereignisse lassen sich als ein Votum gegen die Ideologie der Multiplikatoren-Elite begreifen, und zwar gegen die Obamanie, gegen die Ever-closer-Union-Tümelei und gegen die Willkommenskultur, somit gegen zentrale Elemente der kulturlinken Gesinnung. Nach dem Motto, dass man den Sack schlägt, aber den Esel meint, sind diese Pfeile auch und vielleicht sogar in erster Linie nicht gegen Inhalte, sondern wider das Bobo-Establishment gerichtet, das derlei Ansichten vertritt.

Was hat die kulturlinke Elite falsch gemacht, dass ihr in jüngerer Zeit so viel Ablehnung entgegenschlägt? Nach Ansicht des Verfassers gibt es dafür die folgenden Gründe:

1. Das manichäische Weltbild: Wer Obama nicht für den Messias, die Europäische Union in ihrer derzeitigen Form nicht für den besten aller möglichen Staatenverbünde und unkontrollierte Grenzen nicht für ein Gebot der Humanität hielt beziehungsweise hält, wurde und wird schlechterdings zum Feind erklärt, dem man nur finsterste Absichten, insbesondere die Beseitigung der offenen Gesellschaft, unterstellt. Mit diesem dichotomischen Denken ist

2. eine Diskreditierung des politischen Gegners verbunden, die zwischen Hass und Verachtung changiert: Wer der kulturlinken Ideologie kritisch gegenübersteht, ist entweder ein Nazi oder ein sozial beziehungsweise geschichtlich Herausgeforderter, stereotypisch repräsentiert durch den alten weißen Prekarier, dessen Rolle in einer globalisierten Welt ins Wanken geraten sein soll.

3. Die Schließung von Diskursräumen: Die einst so debattenfreudige Linke ist an einer Auseinandersetzung in der Sache nicht mehr interessiert. Missliebige Positionen werden aus formalen Gründen verworfen: Wer etwas als rechte Hetze abstempeln kann, braucht sich Gegenargumente nicht mehr zu überlegen.

4. Die selbstgewählte Isolation in der Filterblase: Ironischerweise werfen die Kulturlinken ihren Antagonisten vor, ihre Weltanschauung nur noch aus den Echokammern der sozialen Netzwerke zu beziehen. Dabei ist es gerade das Bobo-Milieu, das sich unter wohliger Ausblendung alles Inkompatiblen den Rücken krault und ein Hohelied auf die Mainstream-Medien, insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, singt, das sich dieser aufgrund seines offenkundigen bias nicht verdient hat.

Dass die Kulturlinken nach Ansicht des Verfassers auch die falschen Rezepte propagieren, steht auf einem anderen Blatt. Für die zunehmende Reaktanz weiter Teile der Bevölkerung gegen die kulturlinke Vorherrschaft sind wohl eher die aufgezeigten eristischen Unzulänglichkeiten verantwortlich. Es ist natürlich legitim, Trump für einen schlechten Präsidenten zu erachten, eine Vertiefung der Europäischen Union in Richtung Schulden- und Transfergemeinschaft zu befürworten und ein unbeschränktes Migrationsrecht für jedermann zu fordern. Aber es ist ebenso nicht zu beanstanden, um die Meinungen des Autors dieser Zeilen wiederzugeben, Trumps Leistungen im Vergleich zu seinem auf ganzer Linie versagenden Vorgänger zu bewerten, sich eine Europäische Union (übrigens im Sinne ihrer Erfinder) als Raum der Freiheit für Menschen vorzustellen, die ihr Geld nicht vom Staat, sondern durch ihrer Hände oder ihres Kopfes Arbeit verdienen, und sich beim Thema Zuwanderung eine konsequente, im Zweifel eher strenge Anwendung geltenden Rechts zu wünschen. Und es ist auch – um einem häufig missbrauchten Wort hier noch einmal Gewalt anzutun – zulässig, Trump für eine Skulptur am Mount Rushmore vorzuschlagen, die Auflösung der Europäischen Union zu propagieren und für eine hermetische Schließung der deutschen Grenzen einzutreten.

Die Kulturlinke macht den gleichen Fehler – und jetzt schlagen wir einen Bogen zur Gedenktagesaktualität -, den die katholische Kirche in der Auseinandersetzung mit Martin Luther begangen hat. Die Reformation war eben nicht nur eine Reform, sondern das wahrhaftige abendländische Schisma, weil der damalige Kultur-Hegemon nicht willens war, im Rahmen seiner unangefochtenen Vorherrschaft eine inhaltliche Diskussion zuzulassen, indem er jede publizierte Abweichung von der offiziellen Linie mit der Exkommunikation bestrafte.

Die Kirchenspaltung führte zu einem beispiellosen Machtverlust des Heiligen Stuhls: Denn dessen Diskurskontrolle war dahin, als die evangelische Lehre Erfolge in Form von landesfürstlicher Zuwendung feierte und den Anspruch erheben konnte, nicht weniger zur Verkündung ewiger Wahrheiten legitimiert zu sein als der Pontifex Maximus. Es ist vielleicht ein Treppenwitz der Geschichte, dass die Kulturlinke in all ihrem „intellektuellen Protestantismus“ (Botho Strauß, loc. cit.) mit ihren Methoden an die Tradition der Verteidigung der katholischen Suprematie anknüpft.
 

Noricus

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