9. Dezember 2016

"Patria, peccavi." Postscriptum

Zu meiner kleinen Medienschelte im Kielwasser der amerikanischen Präsidentenwahl vom 23. November hat die Welt selbst - oder die Medien, für die aus eigener Sicht in diesem Belang sicher kein nennenswerter Unterschied bestehen dürfte - einen hübschen abschließenden Kommentar geliefert.




Es handelt sich um die Titelbilder des Ausgaben des TIME Magazine vom 24. August 2016, 22. Oktober 2016 und der in der nächsten Woche an die Kioske kommenden Ausgabe.
  
Michael Klonovsky hat im Kielwasser der Wahl im Eintrag auf seinem stets lesenswerten Netztagebuch acta diurna am 10. November an eine seit Mitte des 19. Jahrhunderts berühmte (oder berüchtigte, je nachdem) Sequenz von Schlagzeilen erinnert, mit der der Moniteur universel, die offizielle Zeitung der damaligen französischen Regierung, vor 201 Jahren an die Auferstehung eines anderen monstre sacré aus Nacht und Verbannung begleitet hatte und hinzugefügt:

Mitunter sind Eigenzitate geboten. Am 22. Juli 2016 erinnerte ich an Napoleons Flucht aus seiner Verbannung auf Elba, den Beginn der hundert Tage, und zwar wegen der Kommentare der zeitgenössischen Presse. [...] Meine Conclusio lautete damals: "An dieses drollige (De-)Crescendo musste ich denken bei der Überlegung, wie wohl die hiesige Presse auf die Nachricht reagieren würde, dass Donald Trump der 45. Präsident der Vereinigten Staaten wird." Das, meine Damen und Herren, werden Sie in den kommenden Tagen und Wochen genüsslich verfolgen dürfen, vor allem, wenn Trump mal auf einen Staatsbesuch bei Merkels Nachfolger vorbeischauen sollte.

Die Headlines der damaligen Anpassung an die wechselnden Webmuster der Moira lauteten seinerzeit:

1. März: L’anthropophage est sorti de son repaire.
2. März: L’ogre de Corse vient de débarquer à Golfe-Juan.
3. März: Le tigre est arrivé à Gap.
4. März: Le monstre a couché à Grenoble.
5. März: Le tyran a traversé Lyon.
6. März: L’usurpateur a été vu à soixante lieues de la capitale.
7. März: Bonaparte s’avance à grands pas, mais il n’entrera jamais dans Paris.
8. März: Napoléon sera demain sous nos remparts.
9. März:  L’empereur est arrivé à Fontainebleau.
10. März: Sa Majesté Impériale et Royale a fait, hier au soir, son entrée dans son château des Tuileries, au milieu de ses fidèles sujets.

(1. März 1815: "Der Menschenfresser hat seine Höhle verlassen." 
2. März: "Der Werwolf von Korsika ist soeben bei Cap Juan gelandet."
3. März: "Der Tiger ist zu Gap angelangt." 
4. März: ""Das Ungeheuer hat in Grenoble genächtigt."
5. März:  "Der Tyrann hat Lyon passiert."
6. März: "Der Usurpator wurde 60 Meilen vor Paris gesichtet."
7. März: "Bonaparte rückt schnell vor, aber er wird nie in Paris einziehen."
8. März: "Napoleon wird morgen unter unseren Stadtmauern sein."
9. März: "Der Kaiser ist zu Fontainebleau angelangt."
10. März: "Seine Kaiserliche und Königliche Majestät hielten gestern Abend Ihren Einzug in Ihr Tuilerien-Schloss, in der Mitte Ihrer getreuen Untertanen.")

Nun ist es mit hübschen Volten und Pointen in dem Bereich, in dem der unsanfte Flügel der Klio weilt, allzuoft so, daß eine Ausleuchtung mit der Lampe des Quellentauchers stattdessen nur Leere und Abwesenheit enthüllt. On oublié trop que Clio est une muse. So auch in diesem Fall. In Georges Blonds Les Cent-jours:  Légende et réalité (1983 bei Julliard in Paris erschienen), findet sich folgender Passus:

Qui n’a entendu dire et répéter qu'on avait pu lire dans le Moniteur ( ou « dans tous les journaux » ) cette succession, savamment graduée, de titres à mesure de l’avance de Napoléon sur Paris ? 

J’ai pu, grâce à l’obligeance de M. Jean Watelet, directeur du Département des périodiques à la bibliothèque nationale, visionner et faire photocopier les collections des journaux parisiens à cette époque. Dans certains commentaires, l’Empereur est malmené, traité d’aventurier, d’homme néfaste, etc., mais la légendaire succession de titres n’a jamais existé. 

Les Français ont appris officiellement et à la fois par le Moniteur que Napoléon Bonaparte avait débarqué et qu’il fallait lui « courir sus ». Ensuite, à intervalles et assez brièvement, quelques informations sur la progression vers Paris, connue par les lettres ou télégrammes des préfets. Napoléon y est appelé Bonaparte (plus rarement Buonaparte) ou Napoléon Bonaparte, cela du Golfe Jouan à Paris. J’ai sous les yeux la photocopie de la première page du Moniteur daté précisément du 21 mars 1815, voici les premières lignes : 

Paris, 20 mars. 
Le Roi et les princes sont partis dans la nuit. 
S.M. l’Empereur est arrivé ce soir à 8 heures dans son Palais des Tuileries. » (S. 126)
 (Das Textzitat findet sich auf der dem Leben des Korsen ab 1814 gewidmeten Netzseite Napoléon prisonnier.)

Wer hat nicht davon gehört, und nicht nur einmal, daß man im Moniteur  (oder: 'einer unserer Zeitungen') diese feine Abstufung der Titel während seines Marsches auf Paris zu lesen war? Ich habe dank der Hilfe von Herrn Jean Watelet, dem Leiter der Abteilung für Zeitschriften der Bibliothèque Nationale, Einblick in die Pariser Journale jener Zeit nehmen und sie kopieren können. In manchen Kommentaren wird der Kaiser verunglimpft, als Abenteurer bezeichnet, als bösartiger Mensch, und so fort - aber die legendäre Titelaufzählung hat es nie gegeben.

Offiziell wurden die Franzosen davon in Kenntnis gesetzt - und zumeist durch den Moniteur -, daß Napoléon Bonaparte aufgebrochen sei und "seinen Weg fortsetze". Darauf folgten in Abständen und stets in Kürze Informationen über die Reise auf Paris, die den Briefen und Depeschen der Präfekten entnommen waren. Napoleon wird dort Bonaparte (sehr selten: Buonaparte) genannt, von Golfe-Juan is Paris. Ich hae vor mir die Kopie der Titelseite des Moniteur vom 21. März 1815 mit den Zeilen: "Paris, d, 20. März, Der König und die Prinzen sind bei Nacht abgereist. Seine Majestät der Kaiser ist heute morgen um 8 Uhr in den Tuilerien eingetroffen."

Um so besser, möchte man da sagen: Jetzt, zwei Jahrhunderte später, gibt es sie. Und darüber hinaus gilt, sowohl für N.B. als auch D.T., das Wort, den der von Carleton Young gespielte Zeitungsredakteur Maxwell Scott in John Fords Western The Man Who Shot Liberty Valance von 1962 gelassen ausspricht: "When the legend becomes truth, print the legend."

*     *     *

Der späteste Termin des Vorbeischauens ist übrigens schon in den Terminkalendern fest vorgemerkt: für den 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg anläßlich des nächsten G20-Gipfeltreffens. (Der erste Tag des Treffens fällt übrigens, eine weitere hübsche Volte für die Kenner seines Werks, auf den 110. Geburtstag von Roert A. Heinlein, dessen Vision und "Amerika als Science Fiction/Science Fiction als Amerika" ganze Generationen von Lesern des Genres geprägt hat und dessen Ideal des hemdsärmeligen, brüsk-direkten, jede Konvention mißachtenden, zupackenden competent man Donald Trump in einer Weise entspricht, daß es fast unheimlich wirken könnte, wenn man nicht genau wüßte, daß es die Aufgabe des 21. Jahrhunderts ist, die Wunsch- wie Angstträume des 20. textgetreu in Szene zu setzen.) Optimisten dürfen hoffen, daß es vielleicht gelingt, die Konfrontation zu vermeiden: etwa, indem Deutschland bis zu jenem Zeitpunkt nicht mehr zu den G20 zählt. Wir schaffen das!

Zuguterletzt wurde heute bekannt, daß Jürgen Todenhöfer ab Januar Chefredakteur des von Jakob Augstein herausgegebenen Freitag wird. Der Pegelstand im medialen Tollhaus dürfte somit vorerst auf die Markierung voll-der-Wahnsinn-was-hier-abgeht arretiert bleiben. Aber das "ist eine andere Geschichte", um es mit Rudyard Kiplings The Story of the Gadsbys von 1888 zu sagen: but that's another story.

Ulrich Elkmann

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