16. Januar 2015

Interview mit einem Intellektuellen


Er war gerade in einem Museum. Klar, denke ich, wo sonst hält sich ein Intellektueller tagsüber auf. Vielleicht noch in einem Cafe, nach dem Museumsbesuch. Schließlich muss man auch mal raus, wegen der Eindrücke, der Inspiration und den Menschen da draußen. 
Der Intellektuelle darf nicht den Faden abreißen lassen an dem sein Schwebezustand behäbig zieht.
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Daniel Cohn-Bendit schaute sich gerade eine Ausstellung über den Marquis de Sade an, als ihn ein Anruf erreichte. Umgeben von der Faszination der Eindrücke vom Namensgeber des Begriffs "Sadismus", bekam er die Kunde vom Mordanschlag der Al-Qaida auf Charlie Hebdo.

So weit, so kitschig. 

Am Abend dann ging er unter die trauernden Bürger von Paris und beginnt mit seiner Arbeit. Ein Intellektueller kann es sich in solchen Stunden nicht leisten, einfach nur mitzutrauern. Er wird gefragt werden, die Menschen suchen Antworten.
So beginnt er umgehend mit seiner Analyse.

Die Betroffenen, so beginnt er, sagten ihm, sie wollen die Gesellschaft der Freiheit verteidigen. Das findet er interessant und schlussfolgert:
Nun ja, erstens gibt es einen Faschismus, der sich an den Islam anlehnt. Das ist nicht der Islam. Genauso wie es einen Faschismus gab, der sich an das Abendland angelehnt hat. Und das war nicht das Abendland. Aber beides sind Formen des Faschismus.

Er versäumt es hinzuzufügen, dass es einen Faschismus gab, der sich an die Linke anlehnte und der sich RAF nannte, möchte man rufen.

Doch das ist heute seine Sache nicht - und wie die bpb schreibt, auch damals  schon nicht:
Die radikale Linke fühlte sich in die Ecke gedrängt und zu Unrecht stigmatisiert. Eine Vorstellung vom Ausmaß an Projektionen auf die RAF-Häftlinge, von Delegierungen uneingestandener Wünsche an ihre noch aktiven Mitglieder, besaß sie allerdings nicht. Jedenfalls spielten sie in der erwähnten Diskussion, an der u. a. Walter Boehlich, Peter Brückner, Daniel Cohn-Bendit und Alice Schwarzer teilnahmen, keine Rolle. Diese Dimension blieb in der ansonsten wegen ihrer Bereitschaft zur Dauerdebatte so bekannten Szene sorgsam ausgespart.

Heute spricht er lieber davon, den Geist von 1968 zu verteidigen. 
Genau, deswegen ist er immer noch Teil des Problems und nicht der Lösung.

Sie fragen wer?

Na beide.

Erling Plaethe


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