6. Januar 2014

Zitat des Tages: "And the quality of Germany’s infrastructure has been slipping in international rankings." Der Verfall der deutschen Infrastruktur. Und wie uns die Keynisaner ein Kuckucksei dabei ins Nest legen wollen.


Peter Osse, a shipper in the port of Hamburg, said he increasingly reaches not for a timetable but a prayer book when he makes transportation plans.
[...]
Even maintaining the status quo will require nearly doubling current spending levels, according to a recent report issued by a government commission. 
[...]
And the quality of Germany’s infrastructure has been slipping in international rankings. Germany placed 10th in the world in 2013 in terms of quality of overall infrastructure, according to surveys by the World Economic Forum, down from third place in 2006. The United States was ranked 19th in 2013, down from eighth in 2006.
 

Michael Birnbaum in seinem Artikel "German road, railway infrastructure is decaying, with harsh economic consequences" vom 30. Dezember 2013, abgerufen am 5. Januar 2014 auf washingtonpost.com
­
Die deutsche Infrastruktur verfällt. Sie verfällt schneller als man denkt, wenn sie nicht mehr unterhalten wird. Es ist nicht möglich sich langfristig auf den Leistungen der Vorväter auszuruhen. Es ist nicht einmal mittelfristig möglich, ohne starke Einbußen an Wirtschaftsleistung und damit Wohlstand hinzunehmen.

Noch 2006 lag Deutschland laut des "Global Competitiveness Report 2006–2007" des World Economic Forum in Sachen Infrastruktur auf sage und schreibe Platz 1. Im Unterpunkt "Overall infrastructure quality" nahmen wir immerhin noch den 3. Platz ein.

Unser Platz auf dem Siegertreppchen aber ist Vergangenheit. Im aktuellen Report für 2012-2013 liegt Deutschland auf Platz 9 (der 10. Platz, den uns die Washington Post für unsere allgemeine Infrastrukturqualität zuschreibt, ist ein Zeilenrutscher, den haben wir bezüglich des spezifischen Unterpunktes "quality of roads").

Es ist klar, das hier mehr investiert werden muss, um den Anschluss nicht zu verlieren. Nun ist die Frage, warum es nicht gemacht wird, leicht beantwortet: Weil das Geld fehlt. Interessant ist die Frage, warum es fehlt. Und hier schlägt der Artikel Birnbaums eine Einbruchsschneise für keynisianisches Gedankengut:



Constricting the available money, the German government has been pursuing self-imposed austerity policies, restraining its borrowing and spending to balance the budget — an aim that will be reached next year. [...]
Spending more money on infrastructure would be a classic way to stimulate the domestic economy. But in a nation whose language uses the same word for “debt” and “guilt,” the efforts to restrain borrowing have broad political support.
Durch seine "Selbstbeschränkung" auf Grund seiner Austäritätspolitik habe Deutschland sich unnötig selber in seiner Fähigkeit beschränkt, die öffentlichen Investitionen zu tätigen, die Private nicht ausreichend liefern können, aber notwendige Grundlage sind, um eine effektive, international wettbewerbsfähige Industriewirtschaft zu erhalten: Infrastruktur.

Aber direkt im Anschluss wird der Fokus auf den Aspekt gelegt, von dem sich der Autor eigentlich einen wirtschaftlichen Vorteil verspricht. Nicht der Aufbau der Infrastruktur, sondern die Nachfrage nach den hierzu notwendigen Dienstleistungen, das Ausgeben ("spending") für Infrastruktur ist hier der erhoffte Wirtschaftsmotor.



“If you increase investments in streets, bridges and railroads, you obviously are encouraging domestic consumption,” said Klaus-Peter Müller, chairman of the German Traffic Forum. “After all, everybody is yelling at the Germans to do more at home, so let’s do it,”

Wer sich Wirtschaftswachstum in erster Linie durch nachfrageorientierte Politik erhofft, für den ist dieses argumentative Einfallstor naheliegend, aber nur Mittel zum Zweck. Für wen die kurzfristige Wirtschaftsentwicklung nachfragegetrieben, die langfristige Wirtschaftsentwicklung allerdings von den technischen Möglichkeiten und zukünftig zur Verfügung stehendem Sachkapital, also heutigen Investitionen, bestimmt ist, erkennt in Infrastrukturprogrammen auf Kredit natürlich mehrere Ziele auf einmal erfüllt.

Nötig ist die Staatsnachfrage zumindest für den langfristigen Erfolg aber nicht. Sie geht zwar mit staatlichen Investitionen zwangsläufig einher, was aber nicht heißt die staatliche Nachfrage wäre ursächlich für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Insbesondere ist eine Steigerung der Gesamtnachfrage durch staatliche Kreditaufnahme keine Notwendigkeit um eine wachsende Wirtschaft aufzuweisen. Mit der Einführung der Schuldenbremse in der Schweiz 2003 ist die Neuverschuldung des Eidgenossenschaft über einen Konjunkturzyklus hinweg stark limitiert. Der Bund darf zwar kurzfristig Defizite aufweisen, muss dafür aber auch tatsächlich in anderen Jahren einen Überschuss zum Ausgleich erzielen, um das angestrebte Idealziel, am Ende eines Konjukturzyklus im Schnitt keine neuen Schulden aufgebaut zu haben, zu erreichen. Dies ermöglicht es prozyklische Veränderungen im Staatshaushalt zu vermeiden. Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik langfristig mit neuen Schulden zu finanzieren geht unter diesen Haushaltsbestimmungen aber nicht. 

Die Schweiz steht in Sachen Infrastruktur gut da. Im Jahr 2006 nimmt die Schweiz bei der "Overall infrastructure quality" den ersten Platz ein. Im aktuellen Bericht für 2012-2013 konnte die Schweiz diesen Platz halten. Die Schweiz steht wirtschaftlich sehr erfolgreich da, hat ein höheres BIP pro Kopf als Deutschland, nominal, wie auch in Kaufkraftparität, eine niedrigeren Einkommens-Gini-Koeffizienten vor Steuern und Transfers, eine deutlich niedrigere Staats-, Steuer- und Schuldenquote und erhält gleichzeitig eine konstant höhere Infrastrukturqualität auf absolutem Weltspitzenniveau. Die Ausgaben pro Schüler für das allgemeinbildende Schulsystem sind im Landesdurchschnitt höher als in Deutschland.

Wieso fehlt in Deutschland das Geld, wieso muss hier Infrastruktur auf Kredit in Stand gehalten werden? Natürlich wäre Investitionen auf Kredit nicht grundsätzlich abzulehnen, sie können auch ohne nachfrageorientiertes Weltbild sinnvoll sein. Sicherlich haben die Stimmen, die im Artikel angeführt werden, recht, wenn sie darauf hinweisen, unabhängig von nachfrageorientierten Erwägungen.

Still, a growing number of critics say that borrowing to invest in infrastructure in the name of ensuring economic growth is different from borrowing to pay day-to-day expenses such as salaries or pensions.
Aber warum hat Deutschland das nötig, die Schweiz dagegen nicht? Was macht Deutschland anders?

Da in der deutschen Rentenversicherung Überschüsse erwirtschaftet wurden, hätte man die Abgabenlast senken können. Nun heißt es dann regelmäßig aus der Politik, insbesondere sozialemokratisch‐nachfrageorientiert geprägten Kreisen, der Staat könne sich dies nicht leisten, da er die notwendige Grundlage für eine starke Industrie in Form von Infrastruktur schaffen muss. Er werde durch die "neoliberale" Steuer- und Abgabenpolitik zu lasten unserer wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit ausgeblutet.  Gerade wenn man so argumentiert sollten Mehreinnahmen aber auch genau für solche notwendigen Investitionen genutzt werden. Es wären sinnvolle Investitionen, in welche die Rentenbeiträge nachhaltig angelegt werden könnten, um die Rente der Zukunft zu sichern und zu stärken.  Dies geschieht aber nicht, stattdessen wird das Geld für neue Wohltaten des Wohlfahrtsstaates ausgegeben: Mütterrente, Lebensleistungsrente und Rente mit 63 trotz steigender Lebenserwartung und besserer (und teurer) Gesundheitsversorgung. Umverteilung, heute im hier und jetzt. Umverteilung in den Konsum. Es werden Ansprüche für die Zukunft geschaffen, aber das Geld heute in den Konsum zu stecken stärkt nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Zukunft. Die notwendigen Investitionen in Infrastruktur hätten wenigstens die Chance.

Könnte es schlicht sein, das jeder Euro Überschuss, der irgendwo erwirtschaftet wird, in Deutschland gleich von einem Wohlfartsstaat mit seiner Wohlfartsindustrie in Beschlag genommen wird, der sich auf Kosten aller anderen Staatsaufgaben immer weiter ausbreitet? Auch solchen Staatsaufgaben, ja insbesondere solchen Staatsaufgaben, die auch unter Liberalen unumstritten sind?

techniknörgler


© techniknörgler. Für Kommentare bitte hier klicken.