20. Januar 2014

Plädoyer für die aktive Sterbehilfe

Es gibt vermutlich wenige Themen, bei denen es so schwierig ist, keine dezidierte Position einzunehmen wie die Frage nach der Gestaltung des Lebensendes und der Frage, wie man mit dem Thema "Tötung auf Verlangen" umgehen sollte.  Aktuell positioniert sich CDU-Generalsekretär Peter Tauber bereits eindeutig dagegen und führt die ideologischen Leitbegriffe zur Diskussion, wie er sie sich offenbar vorstellt, ("gewerbsmäßige Tötung") sogleich mit ein. Auch Franz Müntefering, der vor wenigen Jahren seine Frau durch Krebs verloren hat, positionierte sich  gegen aktive Sterbehilfe. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) fordert darüber hinaus eine Verschärfung der gegenwärtigen Gesetze, indem auch die momentan noch straffreie Beihilfe zum Suizid (z. B. durch Bereitstellung geeigneter Substanzen) künftig unter Strafe gestellt werden soll. Man kann nur hoffen, daß die Debatte vor der kommenden Novellierung des entsprechenden Gesetzes nicht zu einem Glaubenskrieg ausartet, sondern an der Vernunft orientiert geführt werden wird.
­Natürlich, die großen, grundsätzlichen und prinzipiellen Positionen, haben immer etwas für sich. Auch ein Totalverbot des assistierten Sterbens hat auf den ersten Blick etwas für sich. Die grundsätzlich-verbietende Position ist ihrem Wesen nach einfach. Sie ist darüber hinaus in diesem Fall vermutlich auch aus der christlichen Ethik heraus zu begründen, und jeglichem Mißbrauch wird zunächst einmal ein Riegel vorgeschoben. Allein, dieser Ansatz malt die Welt in schwarz und weiß, und das geht oft genug am Menschen vorbei.

So wähnte die EU-Kommission Ende 2011 sicherlich Ethik und Moral an ihrer Seite, als sie massive Ausfuhrbeschränkungen für kurz und mittellang wirkende Barbiturate wie Thio- und Pentobarbital erließ und die europäischen Produzenten, sekundiert von moralinberauschten Medien deren Verwendung zur Hinrichtung mittels "Giftspritze" in den USA untersagten. Mit dem Ergebnis, daß der jüngst in Ohio exekutierte Dennis McGuire einen halbstündigen Todeskampf durchlitten hat, weil man sich in den USA nun genötigt sieht, irgendwelche ungetesteten Giftcocktails auf Opiatbasis für die Exekution zu verwenden. Hat man in der EU-Kommission ernsthaft erwartet, daß durch ihre Maßnahme Exekutionen in den USA ausgesetzt würden? Oder  daß man die dortige Praxis überdenkt? Auch als unbedingter Gegner der Todesstrafe komme ich, wieder einmal, zu der leicht abgewandelten mephistophelischen Einsicht: Moralin ist ein ganz besonderer Saft. Die Welt ist eben nicht so dichotom wie sie die "ethisch-grundsätzlich" Argumentierenden oft gerne hätten.

Apropos Giftspritze. Wir mußten kürzlich unsere Hündin einschläfern lassen bzw. wir wollten ihr die röchelnde Agonie infolge einer völlig metastasierten Lunge ersparen. Tierbesitzer werden nachfühlen können, wie traurig dies stimmt. Freundlicherweise ist die Tierärztin zu uns nach Hause gekommen, da unser Hund zeitlebens große Angst vor Tierarztpraxen hatte und wir ihr diesen Streß gerne ersparen wollten. Zunächst wurde ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht, so daß sie einschlief und bewußtlos wurde. Erst dann erfolgte die tödliche Injektion von Pentobarbital. Es ging sehr schnell; sie hörte auf zu atmen, und es war geschafft. Sowohl meine Frau als auch ich erlebten in dieser Sekunde, neben aller Trauer, vor allem Erleichterung. Und beide hatten wir den Eindruck, daß dieses Ende würdevoll gewesen war.


"Die Würde des Menschen ist unantastbar" lautet der erste Artikel des Grundgesetzes, und wer wollte hier widersprechen? Beinhaltet Menschenwürde aber nicht auch den (berechtigten) Wunsch nach einem würdevollen Lebensende? Und hat Würde nicht auch wesentlich etwas mit Selbstbestimmtheit zu tun?

Sicher, als 1949 die Väter (und die vier Mütter) des Grundgesetzes diesen Satz, nicht nur unter dem Eindruck des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden formuliert haben, sondern auch wenige Jahre nach den unsäglichen, als "Euthanasie" euphemistisch verbrämten Morden an körperlich und geistig Behinderten, werden sie dabei sicher nicht an irgendeine Form des assistierten Sterbens gedacht haben. Aber ist das hunderttausendfache, man verzeihe die drastische Wortwahl, elende Krepieren in deutschen Krankenhäusern und Pflegeheimen, denn menschenwürdig? Ich meine: nein. Die grundsätzlich-verbietende Haltung von CDU-General Tauber ist zwar einfach, wird den Menschen jedoch am Ende nicht gerecht, weil die Idee des "sich kümmerns" um die Menschen auf Kosten von deren Autonomie geht.

Es ist ja schließlich auch heute so, daß sich Todkranke suizidieren. Nur daß dies  eben im Elend, in der Einsamkeit, auf irgendwelchen nächtlichen Bahngleisen, Parkplätzen oder anderswo, wo man Vorsorge vor zu frühem Aufgefundenwerden treffen muß, und man sich in aller Regel aus Furcht, Angehörige könnten in schwere Gewissenskonflikte geraten, nicht einmal von ihnen verabschieden kann. Das Argument Münteferings, den Innsbrucker Bischoff Peter Scheuer zitierend, die Menschen sollten "an der Hand, nicht durch die Hand" von Menschen sterben, nimmt sich vor dem Hintergrund dieser tausendfachen Tatsache etwas merkwürdig aus.

Eine menschenwürdige Lösung wird komplizierter ausfallen müssen, und selbstverständlich kommt man dann fast automatisch in Teufels Küche; zweifellos ein Nachteil, wenn man die Extrempositionen zur Sache verläßt: Für welche Krankheiten und in welcher Krankheitsphase soll Töten auf Verlangen zugelassen werden? Eine Positivliste also, aber wer stellt diese nach welchen Kriterien zusammen? Wie hoffnungslos muß die medizinische Prognose sein?  Und den nicht einwilligungsfähigen Kranken wird man damit freilich auch nicht gerecht; sie werden den quälerischen Kelch weiterhin bis zur Neige leeren müssen.

Umgekehrt kann der Staat sich natürlich auch nicht zum beliebigen Handlanger Suizidaler degradieren lassen. Ein schwieriges Thema zweifellos, das aber nicht dadurch einfacher wird, daß man sofort die Verbotskeule schwingt. Daß es  durchaus möglich ist, hier vertretbare Lösungen jenseits der Extrempositionen zu finden hat, wie ich finde, die Diskussion über die (und das Endergebnis der) Novellierung der "Abtreibungsparagraphen" 218 und 219 StGB gezeigt. Weder diejenigen, die meinten, daß ein Mensch bereits im Moment der Konzeption und ersten Zellteilung unbedingt unter dem Schutz des Grundgesetzes stünde haben sich durchgesetzt, noch jene, die meinten, ein ungeborenes Kind sei nichts weiter als Teil des Körpers der schwangeren Frau, über den sie frei verfügen können müsse. Es gibt eine Fristen-, Indikations- und Beratungslösung, die niemandem ganz, aber den meisten halbwegs gerecht wird, und mit der dieses Land nun seit Jahren ganz gut lebt. Vielleicht ist das ja eine Blaupause für die nun kommende Debatte und Gesetzgebung?


Nachtrag: Erst heute Morgen habe ich durch Kommentare in den Onlinemedien (z. B. hier und hier) erfahren, daß das Thema gestern Diskussionsgegenstand in der Sendung von Günther Jauch war. Ich kann nicht sagen, daß ich die Sendung "verpaßt" hätte, da ich mir politische Talkshows aus Gründen der Nervenschonung schon seit Jahren nicht mehr ansehe. Dem Vernehmen nach wurden auch hier Extrempositionen vertreten, die sich zwischen völliger Freigabe der Sterbehilfe für Jedermann in jeder Situation (Ex-MDR-Intendant Udo Reiter) und der völligen Ablehnung (Franz Müntefering und die Theologin Petra Bahr) bewegten. Insofern, so scheint mir, kann mein Plädoyer für eine rationale und differenzierte Debatte mit dem Ziel einer teilweisen Legalisierung der aktiven Sterbehilfe unverändert veröffentlicht werden.

Andreas Döding


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