Deutschland hat eine neue Regierung. In der Zeit der
Verhandlungen zwischen den Parteien war bisweilen von „Stillstand“ die Rede.
Ein bekanntes Periodikum war sich nicht zu schade, die etwas langwierige
Bildung der Großen Koalition in einem Atemzug mit dem amerikanischen government shutdown und Italiens
politischer commedia dell’arte zu nennen.
Doch hierzulande wurden auch in den letzten drei Monaten Steuern eingetrieben,
Gerichtsentscheidungen gefällt und Temposünder abkassiert. Eine ernsthafte
Staatskrise zeichnete sich nicht im Geringsten ab. Im Gegenteil: Dass einmal
ein Vierteljahr lang nicht in großem Maßstab ver- und geboten sowie an der
Verbesserung der Gesellschaft und der Veredlung des Bürgers gearbeitet wurde,
stellte eine angenehme (und viel zu seltene) Abwechslung dar.
Die am meisten beachtete Personalie im Minister-Casting
ist zweifellos die Ernennung Ursula von der Leyens an die Spitze des
Verteidigungsressorts. „Die Truppe hört jetzt auf Kommandos im Sopran“,
witzelte die WELT über diesen Einbruch in eine der verbliebenen Männerdomänen. Während
des sogenannten „Stillstandes“ war ja viel über das weitere Schicksal der aus
Niedersachsen stammenden Politikerin spekuliert worden: Zunächst munkelten
wohlunterrichtete Kreise über eine Relegation ins Gesundheitsministerium;
wenige Tage vor der öffentlichen Bekanntgabe der Portfoliozuschnitte und der Postenbesetzung
war dann von einem Superministerium für Gesundheit und Rente die Rede, dem die
promovierte Medizinerin vorstehen sollte. Als Hausherrin der Hardthöhe und des
Bendlerblocks geht von der Leyen laut SPON „nun gestärkt in die neue
Regierung“.
Diese Einschätzung kann nicht in vollem Umfang geteilt
werden. Freilich: Um als Gesundheitsministerin oder Superministerin für die zwei
wichtigsten Bereiche der Sozialversicherung zu reüssieren, hätte der
55-Jährigen gleichsam die Quadratur des Kreises gelingen müssen. In den
vergangenen Jahrzehnten hatte der einschlägige Reformberg zwar öfters gekreißt,
aber dann doch nur ein Mäuslein geboren. Von der Leyen hätte ganz sicher das
Schicksal ihrer Vorgänger ereilt, die allesamt an den Herausforderungen des
schwerfälligen, wohl nur noch mit der Axt veränderbaren Systems gescheitert waren.
Andererseits ist der politische Einfluss des
Verteidigungsressorts doch ein eng umgrenzter, jedenfalls im Vergleich zu den
geborenen Superministerien Finanzen und Inneres. Ist es ein Zufall, dass Angela
Merkel diese beiden Zuständigkeiten in die Hände solcher Parteifreunde gelegt hat, die realistischerweise
nicht (mehr) damit rechnen können, jemals das wichtigste Staatsamt auszuüben? Wolfgang
Schäuble, der zum Ende dieser Legislaturperiode 75 Jahre alt sein wird, ist sich
dieses Umstandes ganz sicher bewusst, und Thomas de Maizière macht mit seiner
eher geräuschlosen Art gegenüber der nicht von Talkshow- und Blitzlichtscheu angefochtenen
Ursula von der Leyen keinerlei Popularitätsboden gut.
Dass Wolfgang Schäuble Bundesschatzmeister bleibt, hat freilich
auch einen symbolischen Grund. Die personelle Kontinuität soll zweifelsohne
signalisieren, dass es die Kanzlerin mit dem Nein zu Steuererhöhungen und zu
einem Ausbau der Schuldenunion ernst meint. Und de Maizière sollte nach der
Euro-Hawk-Affäre vielleicht aus der Schusslinie genommen werden. Doch wahrscheinlich wollte Merkel außerdem ihre wohl bedrohlichste innerparteiliche Konkurrentin auf
einen Posten wegloben, von dem aus eine Palastrevolution sich nicht leicht bewerkstelligen lässt.
Ist es ein Zufall, dass die Kanzlerin seinerzeit den Kometen
am schwarz-rot-goldenen Sternenhimmel, Karl-Theodor zu Guttenberg, nach einem
Gastspiel als Wirtschafts- und Technologieminister ins Verteidigungsressort
umdirigierte? Man tut der begnadeten Machtpolitikerin sicher kein großes
Unrecht, wenn man hinter diesem Schachzug nicht zuletzt den Versuch vermutet,
den allzu schnell allzu beliebten Freiherrn ins Abseits zu stellen, damit er
der Kanzlerin nicht schon in der laufenden Legislaturperiode den
Führungsanspruch innerhalb der Union streitig machen konnte.
Ob Merkel den Absturz des Medienlieblings mit Genugtuung oder mit einer
gewissen Bedrückung zur Kenntnis genommen hat, lässt sich schwer sagen.
Einerseits ist es kein Geheimnis, dass sich die Kanzlerin mit einer kaum für
möglich gehaltenen Konsequenz (und einer hundertprozentigen Erfolgsquote) aller
Nebenbuhler um den republikanischen Thron entledigt hat. Andererseits würde es
das Parteiwohl gebieten, langsam auch an die Ära post Angelam denken zu dürfen: Doch eine solche Zukunftsvision stellt
sich aus CDU-Sicht als Schreckensszenario dar. Denn die Personaldecke ist
aufgrund Merkels Kahlschlag so dünn, dass gemäß dem derzeitigen Stand der Dinge
wohl kaum jemand anderes als Ursula von der Leyen für den Spitzenplatz in der
einstmals konservativen Volkspartei in Frage kommt. In dieser Feststellung offenbart
sich die gesamte Tragödie der Union.
Noricus
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