Über Tote soll man bekanntlich nur Gutes sagen. Dies fällt
umso leichter, als man bei Verstorbenen nicht Gefahr läuft, den Tag vor dem
Abend zu loben. Freilich: Wenig schmeichelhafte Details einer Vita können auch
noch posthum bekannt werden. Aber eine derartige Vorschusslorbeerenkatastrophe
wie die Friedensnobelpreis-Verleihung an Barack Obama riskiert man mit einer
Eloge auf einen Dahingeschiedenen nicht.
Nelson Mandela war zweifellos ein bedeutender Mann. Dass der Übergang von der Apartheid zu einer - zumindest auf dem Papier - egalitären Gesellschaft in geordneten Bahnen gelungen ist, lag nicht zuletzt an dem berühmtesten Dissidenten Südafrikas. Doch die Anregung des für sein soziales und politisches Engagement bekannten
irischen Rocksängers Bono, einen internationalen Mandela-Gedenktag einzuführen, schießt über das Ziel hinaus. Sie verströmt diesen Hauch der Übertriebenheit, welcher auch der (durch die
NSA-Affäre und das Gesundheitsreformfiasko inzwischen wohl beendeten)
Begeisterung für den mächtigsten Mann der Welt anhaftete. Der Superlativ ist bisweilen der schlimmste Feind des Angemessenen.
Wenn Nelson Mandela einen internationalen Gedenktag verdient
hat, dann gilt das nicht minder für die ostdeutschen Bürgerrechtler und
Regimegegner, denen anno 1989 etwas Einmaliges, durchaus mit dem Systemwechsel
in Südafrika Vergleichbares gelungen ist: Eine friedliche, gleichwohl erfolgreiche
Revolution, die von der herrschenden Meinung im Nachhinein nicht als Dolchstoß
diffamiert wurde. Ein „Wehe den Besiegten“ gab es hierzulande nicht. Die SED
sitzt unter neuem Namen als stärkste Oppositionspartei im Bundestag; ihr
eloquentes Aushängeschild Gregor Gysi ist der Liebling der Polit-Talkshows. Die Linke ist zwar ideologisch
nicht in dieser Republik angekommen, dies scheint nach allgemeiner Auffassung jedoch nicht weiter zu stören. Bei
einer anderen deutschen Partei, die nachweislich noch nie die tragende Kraft
hinter einer Diktatur war, sucht die veröffentlichte Meinung hingegen
krampfhaft nach dem Beweis für deren mangelnde Hoffähigkeit.Jedem steht es frei, sich dankbar an Nelson Mandela zu erinnern. Südafrika (und jedes andere Land) kann, so die dortige Bevölkerung dies will, ihm zu Ehren einen Festtag einführen. Aber braucht Deutschland wirklich einen Mandela-Tag, wo es uns doch noch nicht einmal gelingt, am 3. Oktober das schönste Ereignis der heimischen Geschichte gebührend zu würdigen, nämlich die Selbstbefreiung der Ostdeutschen vom Joch des real existierenden Sozialismus? Die über die innerdeutsche Perspektive hinausreichende Bedeutung der 89er-Revolution liegt zweifellos in der von ihr geförderten Erkenntnis, dass Freiheit eine unabdingbare Voraussetzung für ein im vollen Sinne menschenwürdiges Leben darstellt. Diese so häufig verkannte Idee hätte einen internationalen Gedenktag wohl bitter nötig.
Noricus
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