2. Dezember 2013

Gabriel in der Löwengrube


In diesem Blog wurde vor einigen Tagen die Behauptung aufgestellt, Angela Merkel sei die wahre Gewinnerin der Einigung von Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag. Eine solche Lesart wird vom Gros der Medien offenbar nicht geteilt: Die communis opinio geht dahin, dass Gabriel angesichts der schlechten Ausgangsposition seiner Partei doch recht gut verhandelt habe.
Diese Einschätzung verkennt jedoch, dass die SPD-Führung eher einen Pyrrhussieg als einen ungetrübten Triumph errungen hat. Handlungsspielräume eröffnet dieses Ergebnis nämlich nicht, es engt sie vielmehr ein. Wenig überraschend dürfte diese Feststellung für den nicht ganz auszuschließenden Fall anmuten, dass die Basis der Alten Tante das Bündnis mit der Union ablehnt. Gabriel und Co. wären bei diesem Ausgang des Mitgliedervotums desavouiert und wohl auch in der Verlegenheit, über ihre Rolle in der Partei nachzudenken.
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Ein Placet zur Großen Koalition würde Gabriel zwar in gewisser Weise in seiner Funktion bestätigen, ihn aber zugleich – materiell und formell – in eine Zwangsjacke stecken: Solange der Geist beziehungsweise Ungeist der Vereinbarung mit der Union in reale Politik umgesetzt wird, hat die SPD keinerlei ideologische Beschwer. Denn – und insoweit hat der Meinungsmainstream ja durchaus Recht – für eine Partei, die sich wirklich nicht als Gewinnerin der Bundestagswahl fühlen darf, haben die Sozialdemokraten nicht wenige ihrer Essentialia im gemeinsamen Papier festschreiben können. Hinsichtlich eines Bruchs mit dem nominell konservativen Seniorpartner würde sich außerdem die Verfahrensfrage stellen, ob dazu – im Sinne eines contrarius actus – nach der Gabriel’schen Führungslogik nicht auch wieder ein Mitgliederentscheid erforderlich wäre.
Wie viel freier kann sich indessen Angela Merkel über die politische Bühne der Berliner Republik bewegen: Findet das Agieren der Großen Koalition bei der Bevölkerung Anklang, so wird dieser Erfolg zuallererst auf dem Konto der Kanzlerin verbucht werden. Das Lob für die vom sozialdemokratischen Koch zubereitete Umverteilungsmahlzeit ginge dann an die schwarz livrierte Kellnerin. Dieses Feuer sollten die gebrannten Kinder der SPD eigentlich scheuen.
Wenn hingegen das Programm des Volksparteienbündnisses zu Unmut in der Wählerschaft führt, etwa weil sich der Mindestlohn – wie befürchtet – als Jobkiller erweist und arbeitslos gewordene Beschäftigte im Niedrigentgeltsektor lautstark mit dieser Verschlechterung ihrer Situation hadern, ja dann kann die erste Frau im Staate völlig ungezwungen eine legistische Nachbesserung aufs Tapet bringen und Gabriel vor die Wahl stellen, ob er sich bei seiner Parteibasis oder beim Rest der Bundesbürger unbeliebt machen möchte.
Die SPD-Führung wirkt derzeit wie der minderbegabte Schachspieler, der sich unbändig darüber freut, dass er der Großmeisterin einen Läufer abgejagt hat, dabei aber übersieht, dass diese ihn in nur noch zwei Zügen schachmatt setzen könnte. Was auch immer kommen mag: Merkels König wird nicht fallen.
Noricus


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