12. Januar 2013

Zitat des Tages: Das Dschungelcamp, Helmut Berger und die Mitte der Gesellschaft. Nebst einem Hinweis auf das Regietheater

Nachdem das Dschungelcamp anfangs arg umstritten war, hat das Format in den vergangenen Jahren an Akzeptanz gewonnen. Niemand muss sich mehr schämen zuzugeben, dass er die Sendung guckt. Die Dschungelshow ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, unter den Zuschauern der letzten Staffel befanden sich erstaunlich viele Akademiker.
Carsten Heidböhmer in "Stern.de" über die aktuelle Staffel der RTL-Sendung Ich bin ein Star, holt mich hier raus, besser bekannt als das "Dschungelcamp".

Kommentar: Betitelt ist der Artikel "Ein unwürdiges Schauspiel", und er handelt hauptsächlich davon, daß Helmut Berger einer der Insassen dieses "Camps" ist; ein Mann, über dessen Niedergang kürzlich Alexander Kühn im gedruckten "Spiegel" schrieb:
Berger zelebrierte seinen Verfall öffentlich, brillierte nur noch in der Rolle des peinlichen Onkels, der jede Feier sprengt. Er pinkelte in New York gegen einen Tresen, torkelte nasebohrend über den Frankfurter Opernball, landete schließlich im Dekolleté von Gina Lollobrigida und trank sich durch die deutschen Talkshows.
Und über Bergers heutige körperliche Verfassung, wie der Reporter Kühn sie bei einem Besuch erlebte:
Wer Berger vor dem Hotel Sacher mühsam aus dem Taxi krabbeln sieht, gestützt von seiner Begleiterin, fragt sich, wie er überhaupt den Flug [nach Australien; Zettel] durchstehen soll. Zum Auftritt neulich bei Lanz war er extra zwei Tage früher angereist, weil er nach dem Trip von Salzburg nach Hamburg einen Tag Erholung brauchte. Wer die Lanz-Sendung gesehen hat, muss an der Zurechnungs­fähigkeit des einstigen Stars zweifeln.
Dieser Mann also befindet sich nun in diesem sogenannten Camp, zusammen mit "Stars", die das eben gerade nicht sind und die genau deshalb für die Sendung angeworben werden. Und sich anwerben lassen; sei es in der Hoffnung auf mehr Prominenz, sei es wegen des Honorars.

Berger bekommt dem Vernehmen nach 70.000 Euro; außerdem dürfte sein Auftritt im Zusammenhang mit einem Bildband über ihn stehen, der demnächst herauskommt.

Die Dramaturgie des "Dschungelcamp" sieht eine Person wie ihn unter den Insassen vor; einen älteren Prominenten, der bessere Zeiten gesehen hat. Das ist der Kontrast zu den jungen, attraktiven Menschen, aus denen sich die Camp-Besatzung sonst überwiegend rekrutiert. Eike Immel hat diese Rolle schon gespielt, Ingrid van Bergen, Rainer Langhans, Matthieu Carrière.



Das Kalkül der Regie ist natürlich, daß die Zuschauer gespannt darauf sein sollen, ob der das denn durchsteht.

So, wie kalkuliert (und vermutlich mehr oder weniger im Drehbuch antizipiert) wird, daß die Insassen X und Y aneinandergeraten; daß sich zwischen anderen Amouröses anbahnt. So, wie es Szenen gibt, in denen jemand nackt oder fast nackt ist.

Es wird also der Voyeur im Zuschauer bedient, und zwar deftig.

Es wird zweitens der Sadist im Zuschauer bedient, der sich daran ergötzt, wie Menschen erniedrigt werden. Indem sie Ekelhaftes tun; indem die beiden Kommentatoren (Sonja Zietlow jetzt mit Daniel Hartwich) sie mit Häme überziehen. Die Anmoderation der ersten Folge, gestern gesendet, bestand zum Beispiel zum erheblichen Teil aus Sottisen über Helmut Bergers Alkoholkonsum.

Drittens wird offenkundig ein Bedürfnis bedient, das zur sadistischen Lust hinzutritt: Die Lust am Ekelhaften.

Sie ist wohl individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Ich finde so etwas widerlich. Ich habe mir den Anfang der Sendung angesehen und ausgeschaltet, als die erste sogenannte "Prüfung" begann. Über die man in der "Welt" lesen kann:
Fans von Glibber und Ekel kommen am Freitag sofort auf ihre Kosten: Model Fiona Erdmann und Sänger Joey Heindle müssen zur Ekel-Hochzeit antreten. Brautkleid und Smoking suchen sie sich aus einer Kiste mit Schleim und stinkenden Fischabfällen heraus. "Iiiih, das stinkt ja total nach Fisch!", beschwert sich Joey. (...)

Zum Hochzeitskuss lutscht er dennoch brav 15 Sekunden lang eine Riesenkakerlake, gibt sie von Mund zu Mund an Fiona weiter. Doch als die zwei einen Kuchen mit Mehlwürmern, Kakerlaken und Grillen essen sollen, wird es selbst ihnen nach ein paar Bissen zuviel. "Ich habe einfach nicht mehr die Kraft für so einen Mist!", klagt Fiona.
Diese Art von Unterhaltung also ist "in der Mitte der Gesellschaft angekommen" und wir von "erstaunlich vielen Akademikern" goutiert.

Ein "unwürdiges Schauspiel" - das ist ja nicht nur die Vorführung des alt und gebrechlich gewordenen Helmut Berger. Die Sendung selbst ist ein unwürdiges Schauspiel.



Mit dem, was das bedeutet und wo es herkommt, habe ich mich in zwei früheren Artikel anläßlich damaliger Staffeln der Sendung befaßt.

Im ersten geht es vor allem darum, wie derartiger Schund von Intellektuellen ästhetisiert wird:
Zettels Meckerecke: Das elende "Dschungelcamp" und das Elend des deutschen Feuilletons; ZR vom 14. 1. 2008
Der zweite Artikel befaßt sich mit einer Parallele, die auf der Hand liegt: Zwischen dieser Show und dem Regietheater, in dem es von ähnlichen Ekelhaftigkeiten wimmelt. Das Dschungelcamp - das ist sozusagen Regietheater für die TV-Gucker. Oder das Regietheater der Trash fürs Bildungsbürgertum:
Zitat des Tages: Das Dschungelcamp, der "perverse Parasit". Regietheater im TV; ZR vom 21. 1. 2011
Zum Regietheater siehe auch:
Zettels Meckerecke: Was darf Regietheater?; ZR vom 18. 6. 2007

Zettels Meckerecke: Die Arroganz der RegisseurInnen, ihr schleichender Putsch. Zur Diktatur des Regie­theaters; ZR vom 10. 10. 2012
Zettel



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