6. Juni 2012

Die Angst des Journalisten vor der Autobahn

Die Fußball-EM steht vor der Tür und die Berichterstattung läuft sich schon warm. Und noch vor dem Anpfiff spürt man die Angst deutscher "Qualitätsjournalisten", sich politisch inkorrekt auszudrücken.

­Berichtet wird über die schöne Stadt Lemberg in der Ukraine. Aber das darf man so beim Spiegel (und den meisten anderen Medien in Deutschland) nicht sagen. Die Stadt muß mit ihrem ukrainischen Namen Lwiw bezeichnet werden. Weil ja deutsche Journalisten alle so gut ukrainisch sprechen und das auch bei ihren Lesern voraussetzen können. Um überhaupt noch im Kontakt zu korrektem deutschen Sprachgebrauch zu bleiben, wird die Formulierung "Lwiw, das frühere Lemberg" verwendet.

Eine übliche Formulierung. Man liest in Artikeln über Mittel- und Osteuropa z. B. auch "Cheb, das frühere Eger", "Sibiu, das frühere Hermannstadt", "Ljubljana, das frühere Laibach" oder "Poznan, das frühere Posen" (um wieder zur EM zurück zu kommen).

Das ist natürlich völliger Unsinn. Keine dieser Städte hieß früher anders als heute. Lemberg heißt immer noch Lemberg in einem deutschen Text. Und hieß immer Lwiw in einem ukrainischen Text. Cheb ist tschechisch, Eger deutsch - man verwendet logischerweise die zur verwendeten Sprache gehörige Version. Es gibt viele Ortsnamen, da gibt es drei oder vier Versionen. Genève ist weder "das frühere Genf" noch "das künftige Ginevra". Man kann auch Genevra sagen - wenn man rätoromanisch spricht. Was bei deutschen Journalisten ähnlich häufig vorkommen wird wie ukrainisch.

Aber irgendwie glauben viele Leute, die sprachlich falsche Version wäre politisch korrekt. Deutsche Ortsnamen zu verwenden gilt in manchen Kreisen irgendwie als politisch anrüchig. Wer zuerst "Autobahn" sagt, hat verloren. Wer einfach nur "Lemberg" sagt, ohne das als "früher" zu kennzeichnen - der kommt offenbar in den absurden Verdacht, Alt-Habsburger oder großdeutsche Machtansprüche zu unterstützen.

Witzig an dieser PC-Manie ist, daß sie so inkonsistent ist. Kein Mensch kann eigentlich ernsthaft vermuten, der Gebrauch von "Lemberg" wäre ein Anzeichen von Revanchismus. Selbst die Ultrarechten erheben keinen Anspruch mehr aufs alte Kronland Galizien. Dagegen könnte man bei den deutschen Ostgebieten theoretisch noch solche Unterstellungen konstruieren - aber mit "Breslau" haben selbst sehr linke Journalisten keine Probleme. Und überhaupt selten mit polnischen Namen. Offenbar sind "Wroclaw", "Warszawa" oder "Gdansk" bei Orthographie und vor allem Aussprache zu schwierig für Political Correctness. "Lwiw" kann man dagegen mit etwas Mühe auch als Ungeübter noch aussprechen, da kann man dann wieder Linientreue demonstrieren.

In anderen Himmelsrichtungen gibt es diese krampfigen Bemühungen ohnehin nicht. Kein Mensch redet von "Venezia, das frühere Venedig", "Köbenhavn, das frühere Kopenhagen", "Athinai, das frühere Athen" oder "Liège, das frühere Lüttich". Selbst "Elsaß" oder "Bozen" scheinen den Sprachblockwarten unverdächtig. Nur im Osten droht die Autobahn.
R.A.



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