19. Februar 2011

Stratfors Analysen: Die aktuelle Lage in den arabischen Ländern und im Iran. Teil 1: Ägypten und der Maghreb

Stratfor hat jetzt in einer umfangreichen Analyse die Lage in den Ländern von Marokko bis zum Iran untersucht. Ich fasse sie in mehreren Folgen zusammen; einbezogen sind weitere Informationen und meine eigenen Bewertungen:


Ägypten: Wie George Friedman in einem eigenen Artikel zu Ägypten dargelegt hat (siehe "Anfang der Woche regierte ein alter Soldat Ägypten. Ende der Woche regierte ein anderer alter Soldat Ägypten" (George Friedman); ZR vom 16. 2. 2011), hat aus der Sicht von Stratfor in Ägypten keine Revolution stattgefunden, sondern ein vom Militär sorgfältig inszenierter Machtwechsel.

Auf dem Höhepunkt der Unruhen demonstrierten nicht mehr als 200.000 bis 300.000 Menschen (Kairo hat 7 Millionen Einwohner; im Nildelta leben ungefähr 30 Millionen Ägypter). Das Militär nutzte die Unruhen, um Mubarak loszuwerden.

Im Augenblick scheint es sich mit den Moslembrüdern und den demokratischen Kräften zu arrangieren, aber Stratfor sagt eine wachsene Kluft vorher; denn das Militär wird seine Macht und seine Pfründe nicht freiwillig aufgeben.


Tunesien: Hier hat eher so etwas wie eine Revolution stattgefunden (siehe auch Wie ist eigentlich die Lage in Tunesien? Erstaunlich!; ZR vom 5. 2. 2011). Die Geheimpolizei ist weitgehend entmachtet; es kehrt wieder annähernd Normalität ein. Noch in diesem Jahr, aber bisher ohne festgelegten Termin, sollen Wahlen stattfinden. Die demokratische Opposition ist jedoch schwach; auch die Islamisten sind es nach Einschätzung von Stratfor. Die bisherige Staatspartei NDP ist dabei, sich zu reorganisieren und dürfte an den Schalthebeln der Macht bleiben.

Das könnte neue Unruhen mit sich bringen; möglicherweise ein Eingreifen des Militärs nach ägyptischem Vorbild nach sich ziehen.


Algerien: Wie in Ägypten und Tunesien ist die Jugendarbeitslosigkeit anhaltend hoch und sind die Lebensmittelpreise in letzter Zeit stark gestiegen. Es ist bisher aber nur zu vereinzelten Protesten gekommen, denn der Unterdrückungsapparat arbeitet sehr effizient. Für den 25. Februar wurde zu einer Demonstration aufgerufen; bereits jetzt werden für diesen Tag Polizeikräfte zusammengezogen. Sowohl die Islamisten der verbotenen FIS als auch einige der großen Gewerkschaften haben zu dem Protest aufgerufen.

Wie in Ägypten findet aber nach der Analyse von Stratfor der eigentlich Machtkampf hinter den Kulissen statt, und zwar zwischen dem autoritär herrschenden Abdel Aziz Bouteflika und dem Sicherheitschef, General Mohamed "Toufik" Mediene. Er ist ein alter Weggefährte Bouteflikas und leitet die Sicherheitskräfte schon seit 1990.

In den letzten Jahren entwickelte sich aber zwischen den beiden eine immer schärfere Rivalität. Es geht wesentlich um die Nachfolge des 73jährigen Bouteflika. Mediene hat gute Kontakte zur Opposition, vor allem zu Saeed Saidi, der wie er Berber ist. Die Berber stellen ungefähr ein Drittel der Bevölkerung; ihre Unzufriedenheit ist einer der Faktoren hinter den jetzigen Unruhen. Die arabische Mehrheit scheint sich bisher hingegen überwiegend ruhig zu verhalten.

Auch in Algerien könnte das Militär ein kritischer Faktor werden. Es hat unter Bouteflika an Macht verloren. Die Militärführung steht zwar bisher zu dem Präsidenten, aber in den mittleren und unteren Rängen gibt es viel Unzufriedenheit.

Bouteflika versucht jetzt, die Opposition durch Entgegenkommen ruhigzustellen. Die Subventionen für Lebensmittel wurden erhöht; der Ölstaat Algerien kann sich das wegen der hohen Erdölpreise leisten. Bouteflika hat versprochen, Ende Februar den Ausnahmezustand zu beenden, und er hat politische Reformen angekündigt.

Es ist eine Doppelstrategie: Einerseits materielle Verbesserungen und die Ankündigung politischer Reformen; andererseits ein hartes Vorgehen gegen die Opposition.


Marokko: In Marokko ist es bis auf kleinere Demonstrationen bisher weitgehen ruhig geblieben. Für den morgigen Sonntag ist aber ein nationaler Protesttag angekündigt worden. König Mohammed VI hat reagiert, indem er mit Vertretern der Opposition zusammengetroffen ist und versprochen hat, die im Gang befindlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reformen zu beschleunigen.

Wie in Ägypten gibt es eine demokratische und eine islamistische Opposition. Die Letzere ist stärker als in Tunesien; allein die verbotene Partei für Gerechtigkeit und Wohlfahrt soll 200.000 Mitglieder haben. Keine der oppositionellen Gruppen will jedoch die konstitutionelle Monarchie abschaffen. Gefordert wird eine Verfassungsreform, welche die Rechte des Monarchen einschränken soll.

Der Unterschied zu Algerien zeigt sich schon darin, daß die für morgen angekündigten Demonstrationen von der Regierung ausdrücklich erlaubt wurden.

Im Zug der Unruhen im Maghreb könnten auch außenpolitische Konflikte wieder belebt werden. Der marokkanische Außenminister Taieb Fassi Fihri hat bereits Algerien davor gewarnt, Unruhen in der Westsahara zu schüren; einem Land zwischen Algerien, Marokko und Mauretanien, in dem die Polisario-Front herrscht (ihr "Befreiungskampf" war einst ein Thema in der deutschen Linken gewesen).



Bereits diese vier Staaten zeigen also ein sehr unterschiedliches Bild.

Die vergleichsweise geringsten Probleme hat das westlich orientierte Königreich Marokko, das als einziges dieser Länder nie sozialistische Tendenzen entwickelt hat.

Algerien lebt immer noch mit dem Trauma des blutigen Bürgerkriegs gegen die islamistische FIS; Bouteflika könnte mit seiner Strategie von Zuckerbrot und Peitsche Erfolg haben.

In Tunesien erscheint derzeit alles möglich - von einem System mit Zügen einer westlichen Demokratie bis hin zu einem Militärputsch.

In Ägypten wird die Frage sein, ob es dem Militär gelingt, seine Machtstellung zu behaupten, oder ob es mit seinem Putsch gegen Mubarak eine Dynamik in Gang gesetzt hat, die es schließlich selbst gefährdet.

Die große Unbekannte ist in allen vier Ländern die Stärke der Islamisten. Sie waren bisher überall verboten oder sind es noch. Es läßt sich kaum sagen, wie gut sie bei freien Wahlen abschneiden würden. (Fortsetzung hier).



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