9. Juni 2010

In Holland liegen die Liberalkonservativen in den Umfragen vorn. Die Parteien und ihre Chancen bei den heutigen Wahlen

Heute wählen die Holländer ein neues Parlament, die Tweede Kammer. In diesem Artikel gebe ich ein Überblick über die Parteien und ihre Chancen. Ich stütze mich neben einigen anderen Quellen auf einen Artikel zum holländischen Parteiensystem im NRC Handelsblad und auf die letzte Umfrage (3. Juni) von Peil.nl.

Die Parteien von ganz links bis ganz rechts:
  • Sozialisten (SP). Das Programm dieser Partei ähnelt demjenigen der deutschen Partei "Die Linke"; allerdings gehört sie nicht dem Zusammenschluß kommunistischer Parteien "Europäische Linke" an. Unter anderem fordert sie Verstaatlichungen und einen Ausbau des Sozialstaats. Diese aus einer maoistischen Gruppe hervorgegangene Partei war bis 2006 bedeutungslos, sitzt seitdem aber mit 25 von 150 Mandaten im Parlament. Nach der Umfrage dürfte sie ihre Sitzzahl auf 12 mehr als halbieren.

  • Die Linksgrünen (GroenLinks). Deutlich weiter links stehend als die Grünen in Deutschland; eine Allianz von Kommunisten und Grünen mit libertären Elementen. Sie tritt für die Freigabe von Rauschgiften und für die Zulassung von Euthanasie ein, steht der Einwanderung positiv gegenüber und hat in wirtschaftlichen Fragen Positionen links von den Sozialdemokraten. Bisher war sie mit 7 Mandaten vertreten. Die Umfrage gibt ihr jetzt 10 Sitze.

  • Sozialdemokraten (PvdA). Die PvdA gehörte bis Februar dieses Jahres einer Koalitionsregierung mit den Christdemokraten von Balkenende an. Sie verließ die Regierung, weil sie eine Verlängerung des Mandats für niederländische Truppen in Afghanistan ablehnte. Das machte die jetzigen Neuwahlen erforderlich. Gegenwärtig hat die PvdA 33 Sitze. Die Umfrage sagt ihr leichte Verluste und noch 29 Sitze vorher. Zwischenzeitlich hatte sie in den Umfragen deutlich geführt.

  • Die linksliberale D66. Sie wurde - daher der Name - 1966 von einer Gruppe von Intellektuellen gegründet und tritt für Freiheit und mehr direkte Demokratie ein, steht in Wirtschaftsfragen aber eher links. Die D66 hat eine nur schmale Stammwählerschaft, wird aber immer einmal von Unzufriedenen gewählt. Sie hat früher einmal schon 24 Sitze erreicht, verfügt derzeit aber nur über 3 Mandate. Die Umfrage sagt ihr mit 11 Sitzen ein sehr viel besseres Ergebnis voraus.

  • Die christdemokratische CDA. Sie ist aus einem Zusammenschluß von drei Parteien beider Konfessionen hervorgegangen und ist konservativer und stärker religiös geprägt als die deutsche CDU/CSU. Die CDA ist in der Regel die stärkste Partei und hat fast immer den Ministerpräsidenten gestellt; auch gegenwärtig Balkenende. Bisher hatte sie 41 Sitze. Die Umfrage sagt ihr ein Abrutschen auf 24 Sitze vorher, womit sie ihren Status als stärkste Partei verlieren würde. Sie läge dann sogar nur noch an dritter Stelle.

  • Die liberalkonservative VVD. Dies ist eine Partei, wie sie in Deutschland fehlt: Sie tritt für die Freiheit des Einzelnen und weniger Staat ein, zugleich aber auch für Recht und Ordnung. Für den Fall, daß sie an die Regierung kommt, hat sie ein drastisches Sparprogramm angekündigt. Der Einwanderung, vor allem aus islamischen Ländern, steht sie kritisch gegenüber. Geert Wilders gehörte der VVD an, bevor er die PVV gründete. Gegenwärtig hat die VVD 21 Sitze. Unter ihrem sehr beliebten Vorsitzenden Mark Rutte werden ihr in der Umfrage 36 Sitze vorhergesagt. Sie wäre damit die deutlich stärkste Partei.

  • Die Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders. Sie vertritt ähnliche Positionen wie die VVD, nur radikaler, und gilt deshalb als populistisch. Gegenwärtig hat sie 9 Sitze. Die Umfrage sagt ihr eine Verdopplung auf 18 Sitze voraus. Das ist aus ihrer Sicht allerdings enttäuschend, denn während des Wahlkampfs lag sie zeitweise noch weiter vorn.

  • Die religiöse ChristUnie. Sie hat ein konservatives Programm mit Kampf gegen die Abtreibung und Ablehnung der Homosexualität, tritt aber auch beispielsweise für mehr Entwicklungshilfe ein. Mit ihren 6 Sitzen verhalf sie der bisherigen Regierungskoalition aus Christ- und Sozialdemokraten zu ihrer Mehrheit. Als Partei mit einer treuen Stammwählerschaft wird sie ungefähr dasselbe Ergebnis erzielen; die Umfrage gibt ihr 7 Sitze.

  • Die fundamentalistisch-religiöse SGP. Noch konservativer als die Christunie. In ihr dürfen Frauen keine Parteiämter ausüben. Bisher hatte sie 2 Sitze, die sie nach der Umfrage behalten wird.

  • Die nationalistische Trots op Nederland. Sie hatte bisher einen Sitz. Nach der Umfrage wird sie diesmal leer ausgehen.

  • Und schließlich, außerhalb der Rechts-Links-Dimension, die Tierschutzpartei Partij voor de Dieren. Sie hat bisher 2 Sitze und wird nach der Umfrage einen davon verlieren.
  • Wenn die Umfrage sich bestätigt, dann werden also die Liberalkonservativen der VVD von Mark Rutte der große Wahlsieger und Balkenendes Christdemokraten der große Verlierer sein.



    Einfacher als beim letzten Mal wird eine Regierungsbildung damit schwerlich werden.

    Mit zusammen 60 Sitzen wäre die bisherige Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten sowie der ChristUnie weit von der erforderlichen Mehrheit von 76 Sitzen entfernt. Aber auch der vermutliche Wahlsieger Rutte wird es schwer haben, eine Regierung zusammenzubekommen. Eine Mitte-Rechts-Koalition mit der CDA hätte nach der Umfrage ebenfalls nur 60 Sitze.

    Zusammen mit der PVV von Wilders könnte es reichen; aber ob man diese Partei in einer Koalition haben will - und ob sie selbst das überhaupt will -, ist fraglich.

    Die Niederlande haben nun einmal das Problem, das für Länder mit Verhältniswahlrecht typisch ist, vor allem in instabilen Zeiten. Man konnte das exemplarisch an der Weimarer Republik sehen:

    Links und rechts haben radikale Parteien so viele Mandate, daß weder die demokratische Linke noch die demokratische Rechte eine Mehrheit bekommt. Das zwingt zu unnatürlichen, nur begrenzt handlungsfähigen Koalitionen aus linken und rechten demokratischen Parteien.

    Vermutlich wird das auch nach den jetzigen Wahlen in den Niederlanden wieder die einzige Lösung sein.



    Die Wahllokale schließen um 21 Uhr. Die aktuellen Ergebnisse können Sie danach in Zettels kleinem Zimmer lesen.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das holländische Nationalsymbol "de Nederlandse Maagd". Skulptur von Johan Schröder. Foto vom Autor Brbbl unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported License freigegeben.