26. Juli 2007

Evolutionstheorie: The arrival of the fittest

In Diskussionen der Darwin'schen Evolutionstheorie wird häufig nicht zwischen drei Behauptungen dieser Theorie unterschieden:
1. Die heute existierenden Arten sind nicht also solche "geschaffen" worden, sondern sie sind das Ergebnis einer Evolution

2. Der Mechanismus dieser Evolution besteht darin, daß jede neu entstandene Mutation weiterbesteht oder wieder verschwindet, je nachdem, wie gut sie an die Umweltbedingungen angepaßt ist ("survival of the fittest")

3. Neue Mutationen entstehen durch zufällige Veränderungen des Genoms
Behauptung 1 war zu Darwins Zeit nicht neu; auch Lamarck vertrat zum Beispiel Evolution in diesem Sinn. Dieser Aspekt der Evolutionstheorie ist es vor allem, der von den Fundamentalisten der "biblischen Schöpfungslehre" bestritten wird.

Behauptung 2 ist diejenige, die in erster Linie mit dem Namen Darwin verbunden wird. Sie wird oft als "Kampf aller gegen alle" mißverstanden. Ihr Kern ist aber nur, daß die Evolution weder gesteuert ist (wie das die Theorie des Intelligent Design heute behauptet), noch durch die Weitergabe erworbener Eigenschaften funktioniert. Sondern allein durch Auslese in Abhängigkeit davon, wie gut der Fit ist, also die Anpassung an die Umwelt.

Am Kritischsten in der wissenschaftlichen Diskussion ist immer Behauptung 3 gewesen. Wie können rein zufällige Genänderungen (etwa aufgrund von natürlicher Strahlung) den hohen Grad an Komplexität hervorbringen, der das Ergebnis der Evolution ist? Wie kann ein System, das erst durch das Zusammenwirkung aller seiner Komponenten funktioniert - sagen wir, das Herz-Kreislauf-System - allein dadurch entstehen, daß sich mal dieses, mal jenes Gen zufällig änderte? Wie kommte es also überhaupt erst einmal zum arrival of the fittest?



Es ist diese dritte Behauptung der Evolutionstheorie, zu der die Forschung in den letzten Jahren gewaltige Fortschritte gemacht hat; der Nick für diese Forschungsrichtung ist Evo-Devo. Im Wissenschaftsteil der "New York Times" berichtet Carik Kaesuk Yoon darüber in einem faszinierenden Artikel.

Warum Evo-Devo? Weil es sich um ein interdisziplinäres Unternehmen handelt, am dem vor allem Evolutions- und Entwicklungsbiologen beteiligt sind. Molekularbiologie trifft sich mit Paläontologie, und so fort.

Der Beitrag der Molekularbiologie ist die Erkenntnis, daß das Genom hierarchisch organisiert ist. Es gib Steuergene, auch Werkzeug- Gene genannt, die untergeordnete Gene an- und abschalten, die das wiederum mit weiteren, ihnen untergeordneten Genen tun können und so fort.

Das Aufregende ist nun, daß Veränderungen im Einfluß solcher übergeordneter Gene eine Vielfalt von Änderungen im Phänotyp hervorbringen können. Eine große Artenvielfalt kann allein dadurch entstehen, daß ein, zwei Gene stärker oder schwächer wirken.

Ein Beispiel sind just die von Darwin erforschten Galapagos-Finken, deren einzelne Arten im Phänotyp so große Unterschiede aufweisen, daß Darwin Schwierigkeiten hatte, sie überhaupt alle als Finken zu erkennen. Manche haben zum Beispiel kurze, dicke Schnäbel, andere lange, dünne.

Man dachte, hunderte von Genen seien für die Herausbildung dieser Unterschiede verantwortlich. Tatsächlich gibt es jetzt starke Belege dafür, daß es nur zwei Gene sind, BMP4 und Calmodulin. Je stärker sich BMP4 auswirkt, umso größer, dicker und kräftiger wird der Schnabel. Je mehr Wirkung von Calmodulin, umso länger wird der Schnabel. Verstärkt man bei Hühner-Embryonen den Einfluß von Calmodulin, dann entwickeln sie eine Art Storchenschnabel!

Nicht hunderte, sondern nur zwei Gene sind also für die Vielfalt der Schnabelformen verantwortlich.



Und dieselben Gene haben analoge Effekte in ganz anderen Spezies. In afrikanischen Seen kommen Fische namens Cichlidae vor, die sich erheblich in der Größe und Kraft ihrer Gebisse unterscheiden; je nach bevorzugter Beute. Und siehe - bei denen mit kräftigen Gebissen ist der Einfluß von BMP4 in der embryonalen Entwicklung ausgeprägt, bei denen mit zartem Gebiß geringer.

Sogar die Kraft des Gebisses von Eidechsen und von Kaninchen wird durch BMP4 gesteuert!

Es gibt Hinweise darauf, daß "abgeschaltete" Gene schon lange in der Evolution existierten, bevor sie durch eine Umwelt- Herausforderung "angeschaltet" wurden - daß zum Beispiel Fische schon, bevor einige den Weg aufs Trockene gingen, Gene für das Wachsen von Fingern gehabt haben könnten.

Und auch das Geheimnis der Mimikry könnte sich so lösen. Wieso kann eine Art eine ganz andere so perfekt "nachahmen"? Weil, wird vermutet, sie dieselben Gene teilen, die nur bei den einen schon lange angeschaltet waren, bevor das auch die "Nachahmer" taten.

Der Artikel der NYT bringt noch viele andere Beispiele und spannende Befunde. Ich empfehle sehr seine Lektüre.

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