11. April 2016

Kurz was zu Böhmermann

Nun also doch. Mit Übergabe einer sog. Verbalnote an das deutsche Außenamt beantragt die türkische Regierung, in der Causa Böhmermann Strafverfolgung. Böhmermanns Spiel ist diesem endgültig entglitten, und die Bundesregierung ist in der unangenehmen Situation, entweder entsprechenden Ermittlungen zuzustimmen, was als einknicken vor dem Autokraten Erdogan und als Dokumentation einer möglichen Erpreßbarkeit Merkels durch den türkischen Staatschef interpretiert werden wird. Oder aber man stimmt diesen Ermittlungen nicht zu, was Fragen mit Blick auf rechtsstaatliche Neutralität aufwerfen wird, denn es gibt nunmal jenes Gesetz, das ausländische Staatschefs vor Schmähungen und Beleidigungen schützen soll. Die Frage, ob dies in Böhmermanns Fall so gewesen ist, können naturgemäß nur die Gerichte entscheiden, insofern wäre ein Prozeß rechtsstaatlich gesehen ein normaler (und ergebnisoffener!) Vorgang.
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Frank Lübberding kommentiert dies heute in der FAZ in diesem Sinne. Wo Lübberding aber eindeutig irrt, ist am entscheidenden Punkt:
Man könnte keine verbotene Schmähkritik vor Strafverfolgung schützen, indem man ihr einen Disclaimer voranstellt, das wäre aber verboten. Ansonsten würde tatsächlich in Zukunft jede unzulässige Handlung auf diese Weise für zulässig erklärt.
Das ist in dieser Allgemeinheit schlicht falsch. Vom "Disclaimer" hängt in diesem Fall die gesamte (auch juristische) Bewertung des Vorgangs ab, denn mit seiner Voranstellung hat Böhmermann einen interpretatorischen Kontext hergestellt, innerhalb dessen das nun folgende Schmähgedicht einzuordnen sei. Übrigens im Prinzip nichts ungewöhnliches. Auch ein Geschichts-Schulbuch stellt einen interpretatorischen Kontext bereit, innerhalb dessen etwa antisemitische Hetzkarikaturen aus dem „Stürmer“ abgebildet werden können, ohne daß die Autoren Strafverfolgung wegen Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda fürchten müssen. Die wohl tatsächlich juristisch zu beantwortende Frage ist eher, ob der Disclaimer Böhmermanns einen hinreichend starken Interpretationskontext hergestellt hat, um die Schmähung als lediglich „beispielhaft“, und somit nicht gegen die Person Erdogans gerichtet, wirken lassen zu können.

Dennoch kann man es rechtsstaatlich drehen und wenden wie man will. Die Situation, in die sich Merkel mit ihrem „Flüchtlingsdeal“ mit dem Autokraten Erdogan manövriert hat, ist einfach ein  Elend. Denn auch die Causa Böhmermann insgesamt findet ja in einem „interpretatorischen Kontext“ statt, und dieser Kontext heißt Erdogan und sein strategisches Kalkül. Dieser hat spätestens gestern angefangen, Merkel vor sich herzutreiben; alle diplomatischen Beschwichtigungsversuche gegenüber Ministerpräsident Davutoglu sind vergeblich gewesen. Der Präsident, so das Signal, will Böhmermann nicht nur serviert bekommen, er will, daß Merkel selbst ihn dem türkischen Präsidenten serviert. 

Und das, da kann man wohl sicher sein, ist erst der Anfang. 


Andreas Döding

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