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11. Dezember 2008

Harvard ist in finanziellen Schwierigkeiten. Einige weniger bekannte Fakten über amerikanische Eliteuniversitäten

Schätzen Sie bitte einmal, über welche Mittel aus Stiftungsgeldern die Universität Harvard verfügt. 3 Millionen Dollar? 30 Millionen? 300 Millionen? 3 Milliarden?

Alles die falsche Größenordnung. Es sind rund 30 Milliarden Dollar. Genauer gesagt: Vor vier Monaten waren es, so konnte man gestern in der International Herald Tribune lesen, 36,9 Milliarden Dollar. Seither allerdings ist eine Veränderung eingetreten; davon gleich mehr.

Das kann man in einem Artikel lesen, der gestern häufiger von den Lesern der IHT per Email verschickt wurde als irgendein anderer. Einem Artikel von Tracy Jan, den die IHT vom Boston Globe übernommen hatte. Überschrift: "Harvard unit halting faculty searches" - "Fakultät der Harvard- Universität stoppt Berufungsverfahren".

Nanu, was ist da los? Die Antwort führt zu allerlei weniger Bekanntem über die amerikanischen Elite- Universitäten.



Zu den hartnäckigen Vorurteilen über die USA gehört, daß die guten Universitäten aufgrund ihrer horrenden Studien­gebühren nur den Kindern der Reichen offen stünden, so daß sich auf diesem Weg die "herrschende Klasse selbst reproduziert". So sagen es die Marxisten gern, und die anderen sagen: Nur der kann an einer Spitzenuni studieren, der mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde.

Sehen wir uns die tatsächlichen Gegebenheiten an der Universität Harvard an und beschränken wir uns dabei auf das Harvard College, das zum akademischen Grad eines Bachelor führt. Die wichtigsten finanziellen Daten dazu findet man zum Beispiel in einem Artikel in der Harvard University Gazette aus dem Jahr 2004; die Größenordnungen haben sich seither nicht geändert.

Danach betrugen im Akademischen Jahr 2003/2004 die Studiengebühren 26.066 Dollar. Die Gesamtkosten pro Studienjahr - Studiengebühren, Unterkunft, Verpflegung und sonstige Kosten - lagen bei 37.928 Dollar.

Horrende Beträge, jedenfalls aus deutscher Sicht. Aus der Sicht eines Landes, in dem Studenten gegen eine Studiengebühr von gerade mal tausend Euro im Jahr "protestieren", weil diese die "Bildung töte" und ein "Geschwür" sei.

Eltern, die für das Studium jedes ihrer Kinder fast 40.000 Dollar im Jahr aufbringen können, gehören sicherlich nicht nur zu den Besserverdienern, sondern zu den Reichen. Können also nur Kinder der Reichen in Harvard studieren?

Keineswegs. Für das Akademische Jahr 2003/2004 gab es fast 21.000 Bewerber um einen der 1.650 Studienplätze am Harvard College. Nur rund jeder zwölfte Bewerber wurde also genommen. Waren das die finanzkräftigsten acht Prozent der Bewerber? In keiner Weise. Das Auswahlverfahren ist nämlich blind für die Einkommensverhältnisse. Sie werden schlicht nicht bei der Auswahl berücksichtigt; sie sind denjenigen, die über die Zulassung entscheiden, noch nicht einmal bekannt:
Harvard has long had a need- blind admissions policy that ensures the University is affordable for any student qualified to attend. Students are chosen on the basis of their outstanding academic, extracurricular, and personal qualities, and on their promise for achievement in college and in life. (...)

Harvard considers students for admission without regard to their ability to pay, and guarantees to meet the full need of every student who qualifies for aid.

Harvard hat seit langem eine für die Bedürftigkeit blinde Zulassungs- Politik, die sicherstellt, daß jeder Student, der für eine Zulassung qualifiziert ist, sich das Studium auch leisten kann. Die Studenten werden aufgrund ihrer herausragenden schulischen, außerschulischen und persönlichen Qualitäten und aufgrund der Erwartungen an das, was sie im College und im Leben leisten werden, ausgewählt. (...)

Harvard beurteilt ohne Rücksicht auf ihre Zahlungsfähigkeit, ob Studenten zugelassen werden, und garantiert die Erfüllung aller Bedürfnisse der Studenten, die einer Beihilfe bedürfen.
Nur eine Minderheit der Studenten zahlt in Harvard die volle Studiengebühr, bei den Undergraduates, die das Harvard College besuchen, ist es gerade mal ein Drittel. Die anderen erhalten Unterstützung in Form eines Stipendiums, von Studiendarlehen oder durch die Anstellung als Hilfskraft an der Universität.

Ein Stipendium bekam 2003/2004 knapp die Hälfte (48 Prozent) der Studenten. Im Durchschnitt erhielt jeder Student 26.700 Dollar. Er mußte also gut 11.000 Dollar im Jahr selbst aufbringen - nicht nur für das Studium, sondern auch für Unterkunft und Verpflegung.

Rund 650 Euro im Monat für Studium, Unterkunft und Verpflegung - nicht wahr, das klingt nicht, als könnten in Harvard nur die Reichsten der Reichen studieren?

Und das sind Durchschnittswerte. Verdienen die Eltern weniger als 40.000 Dollar, dann ist alles für den Studenten frei - Studium, Unterkunft, Verpflegung. Bei höheren Einkommen sind die Beiträge, die von den Eltern erwartet werden, gestaffelt. Seit dem laufenden Studienjahr erhalten selbst Studierende, deren Eltern bis zu 180.000 Dollar im Jahr verdienen, noch ein Stipendium. Es ist so bemessen, daß die Eltern maximal zehn Prozent ihres Netto- Einkommens aufbringen müssen.



Wie kann sich Harvard eine derartige Großzügigkeit leisten? Damit sind wir bei dem Thema, mit dem sich gestern die International Herald Tribune beschäftigt hat.

Es geht um einen Sachverhalt, dessen Bezeichnung sich kaum aus dem Englischen übersetzten läßt: Endowments. Ein Wort mit vielen Bedeutungen, die sich um seine Kernbedeutung "Ausstattung" ranken. In Bezug auf amerikanische Universitäten ist etwas gemeint, das man Schenkungen nennen könnte, Spenden, Stiftungen, Zuwendungen. Und vor allem das Stiftungsvermögen, das sich aus ihnen bildet.

In der angeblichen "Ellenbogengesellschaft" USA herrscht in vielerlei Hinsicht ein Altruismus, den man sich in unserer angeblich so sehr auf Solidarität gegründeten deutschen Gesellschaft kaum vorstellen kann.

Es ist weit verbreitet - es ist eine Frage des Anstands, auch der Ehre und des gesellschaftlichen Ansehens - , daß Reiche einen Teil ihres Reichtums anderen zugute kommen lassen. Unter anderem rechnen die Absolventen (die Alumini) einer Universität es sich zur Ehre an, von dem Geld, das sie dank ihres Studiums verdient haben, einen Teil ihrer alten Alma Mater zurückzugeben.

Eben in Form von Endowments. Es kann sich dabei um eine nicht zweckgebundene Spende handeln, oder etwa auch darum, einen bestimmten Lehrstuhl zu finanzieren, der dann oft den Namen des Spenders trägt. Auf einen solchen besonderen Lehrstuhl berufen zu werden, ist wiederum eine Ehre für die betreffenden Wissenschaftler. Oder der Spender verpflichtet sich, ein oder mehrere Stipendien zu finanzieren. Allein Harvard verfügt - so kann man es in der Wikipedia nachlesen - über 10.800 solche zweckgebundene Endowments.

Die nicht zweckgebundenen Endowments werden teils für laufende Kosten ausgegeben, zu einem erheblichen Teil aber auch angelegt. Und zwar sehr gewinnbringend; in Aktien beispielsweise, in Fonds. Bei Harvard sind daraus im Lauf der Jahre jene eingangs genannten unglaublichen 36,9 Milliarden Dollar Vermögen geworden.

Ein Vermögen, aus dessen Erträgen nicht nur die laufenden Kosten zu einem erheblichen Teil (bei Harvard zu rund einem Drittel) bezahlt werden können, sondern das eben auch für Stipendien eingesetzt wird. 110 Millionen Dollar gab Harvard im Akademischen Jahr 2003/2004 für die finanzielle Unterstützung seiner Studenten aus.



Natürlich sind die Endowments nicht die einzige Einkommensquelle der US- Universtäten. Die Studiengebühren kommen hinzu, hohe Einnahmen aus Drittmittel- Forschung, auch staatliche Zuschüsse.

Das alles wirkt zusammen, und es begünstigt sich gegenseitig. Für den Erfolg der Spitzen- Universitäten der Ivy League ausschlaggebend dürfte sein, daß ihre Finanzierung unmittelbar an ihre Leistung gekoppelt ist:

Nur weil Harvard und die anderen in dieser Liga spielenden Universitäten hervorrangende Studienbedingungen bieten, können sie hohe Studiengebühren verlangen.

Nur weil sie finanziell blendend ausgestattet sind, können sie die besten Forscher und akademischen Lehrer bezahlen. Diese wiederum werben hohe Drittmittel ein.

Weil eine Universität wie Harvard so gut ist, kann sie es sich leisten, nur die besten Studenten aufzunehmen. Die auch meist im Leben erfolgreich sein werden, also soviel verdienen, daß sie ihre alte Alma Mater mit hohen Endowments unterstützen. Die, gewinnbringend angelegt, wiederum die finanzielle Grundlage für den hohen Standard der Universität bilden.

Lauter postive Rückkopplungen. So, wie ein freier Markt eben funktioniert.



Freilich kann es auf einem freien Markt auch zu Turbulenzen kommen, wie wir sie im Augenblick erleben. Kein "Crash des Kapitalismus", da machen sich die Feinde der Freiheit falsche Hoffnungen. Aber schon eine tiefgreifende Krise.

Die nun auch die Endowments der Universtitäten trifft, sofern sie an der Börse angelegt sind. Nicht mehr die eingangs genannten 36,9 Milliarden Dollar ist das Vermögen von Harvard gegenwärtig wert, sondern 22 Prozent weniger.

Als gute Kaufleute fangen die Verantwortlichen das nicht dadurch auf, daß sie die finanzielle Substanz angreifen, sondern sie sparen. Die Faculty of Arts and Sciences (vergleichbar der alten deutschen Philosophischen Fakultät) hat die Gehälter der 720 Mitglieder ihres Lehrkörpers eingefroren. Von 50 laufenden Berufungsverfahren sollen 35 vorläufig auf Eis gelegt werden.

Und der Gestamtetat der Fakultät wird im laufenden Jahr um 105 bis 125 Millionen Dollar gekürzt werden. Ein Etat, der bisher mit 1,2 Milliarden Dollar angesetzt war.

Mehr als eine Milliarde Dollar, in einem einzigen Jahr, als Etat für eine einzige Fakultät. Auch wenn es im Augenblick diese Probleme gibt: Amerika, du hast es besser.



Für Kommentare bitte hier klicken.- Titelvignette: Hall of Graduate Studies in Yale, frei unter GNU Free Documentation License.

6. Juli 2008

Marginalie: An US-Universitäten gehen die Linken in Pension. Ihre Nachfolger tendieren zur politischen Mitte

Was wir die Generation der Achtundsechziger nennen, das sind in den USA die Baby Boomers, die in der Nachkriegszeit Geborenen, als die Geburtenrate Spitzenwerte erreicht hatte.

Das ist eine unpolitische Bezeichnung für dieselbe Generation; aber zumindest an amerikanischen Universitäten ist es, wie auch an deutschen, eine politische Generation gewesen. Eine Generation, die in ihrer Jugend ähnliche prägende Erfahrungen gemacht hatte wie die deutschen Achtundsechziger - Vietnamkrieg, Jugendbewegung, sozialistische Träume.

So, wie an deutschen Universtäten jetzt die Achtundsechziger die Lehrstühle räumen, tun das in den USA auch die Baby Boomers. Und dabei vollzieht sich dort offenbar das, was auch in Deutschland zu beobachten ist:

Auf die Weltverbesserer folgt eine Generation der Weltläufigen. Auf die Zottelhaarigen, die bis zur Emeritierung im Pullover durch die Gänge der Unis schlurften und ihre Studenten - peinlich, peinlich - beharrlich duzten, folgen nüchterne Wissenschaftler, an ihrer Profession mehr interessiert als an der Revolution; am guten Leben mehr interessiert als an der Frage, ob es ein richtiges Leben im falschen geben kann.



Über diesen Generationswechsel an US-Universitäten berichtet jetzt Patricia Cohen in der International Herald Tribune. Sie beschreibt, wie damit die Politisierung der Universitäten zurückgeht:
... there are signs that the intense passions and polemics that roiled campuses during the past couple of decades have begun to fade. At Stanford a divided anthropology department reunited last year after a bitter split in 1998 broke it into two entities, one focusing on culture, the other on biology. At Amherst, where military recruiters were kicked out in 1987, students crammed into a lecture hall this year to listen as alumni who had served in Iraq urged them to join the military.

... es gibt Anzeichen dafür, daß die lebhaften Emotionen und Auseinandersetzungen, die die Universitäten in den vergangenen Jahrzehnten belasteten, zu schwinden beginnen. In Stanford hat sich die Abteilung für Anthropologie wieder vereinigt, die 1998 in einer erbitterten Spaltung in zwei Arbeitseinheiten zerfallen war, die eine kulturell, die andere biologisch ausgerichtet. In Amherst, wo Werber für das Militär 1987 herausgeworfen worden waren, drängten sich dieses Jahr Studenten in einem Hörsaal, um zu hören, wie Ehemalige, die im Irak gedient hatten, ihnen nahelegten, zum Militär zu gehen.

Über die politische Haltung des Lehrkörpers der Universitäten gibt es kaum empirische Untersuchungen. Als eine der wenigen zitiert Patricia Cohen eine Erhebung von Neil Gross und George Mason. Diese Autoren fanden, daß die Kluft zwischen den Generationen nicht nur auf den ersten Blick bestehe:
"Self-described liberals are most common within the ranks of those professors aged 50-64, who were teenagers or young adults in the 1960s," they wrote, making up just under 50 percent. At the same time, the youngest group, ages 26 to 35, contains the highest percentage of moderates, some 60 percent, and the lowest percentage of liberals, just under a third.

When it comes to those who consider themselves "liberal activists," 17.2 percent of the 50-64 age group take up the banner compared with only 1.3 percent of professors 35 and younger. "These findings with regard to age provide further support for the idea that, in recent years, the trend has been toward increasing moderatism," the study says.

"Personen, die sich selbst als Linke sehen, sind am zahlreichsten in den Reihen der Professoren im Alter von 50-64, die in den sechziger Jahren Jugendliche oder junge Erwachsene waren", schreiben sie. Das seien knapp fünfzig Prozent. Zugleich umfaßt die jüngste Gruppe, der Altersbereich von 26 bis 35, den höchsten Prozentsatz von Personen, die sich in der Mitte sehen (moderates), ungefähr sechzig Prozent, und den geringsten Prozentsatz von Linken, etwas weniger als ein Drittel.

Was diejenige angeht, die sich als "Linksaktivisten" (liberal activists) sehen, so heften sich 17,2 Prozent in der Altersgruppe 50-54 dieses Etikett an, im Vergleich zu nur 1,3 Prozent bei den Professoren unter 35 Jahren. "Diese Ergebnisse in Bezug auf das Alter liefern weitere Belege für die Annahme, daß in den vergangenen Jahren der Trend hin zur Mitte geht", heißt es in der Untersuchung.



In Deutschland, wo die USA oft als viel konservativer wahrgenommen werden, als sie es tatsächlich sind, wurde und wird oft übersehen, daß in kaum einem Land die Universitäten so eindeutig links dominiert sind wie in den USA. Was an deutschen Universitäten nur sporadisch und vor allem in einigen Bundesländern der Fall gewesen ist - daß bis in die offiziellen Lehrinhalte hinein eine einseitig linke Ausrichtung dominierte, daß konservativen Professoren das Leben schwer gemacht wurde -, das war und ist teilweise noch an US-Universitäten weit verbreitet.

Die Wissenschaft, der "Geist" sind aber nicht sozusagen ihrem Wesen nach links. Dieser Eindruck ist nur einige Jahrzehnte lang entstanden, in einer bestimmten historischen Situation im letzten Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts. Jetzt beginnt, mit dem Generationswechsel, offenbar die Normalisierung. In den USA wie in Deutschland.



Für Kommentare zu diesem Artikel gibt es einen Thread in "Zettels kleinem Zimmer". Dort findet man auch eventuelle Aktualisierungen und Ergänzungen.

11. Januar 2008

Sollten die Max-Planck-Institute in die Universitäten integriert werden?

In Deutschland gibt es drei Arten von Forschung: Die an Universitäten, die von Privatfirmen und privaten Instituten und die an den Max- Planck- Instituten (MPI).

Die Forschungsbedingungen in den drei Bereichen sind radikal verschieden. Die im privaten Bereich sind unter sich wiederum so unterschiedlich, daß man wenig Gemeingültiges über sie sagen kann. Die an den Universitäten sind mäßig untereinander verschieden. Die Arbeitsbedingungen an den MPI sind sehr ähnlich und ungleich besser als an fast allen Universitäten.



Die deutschen Universitäten sind bekanntlich fast alle staatlich; und der Staat, der für sie verantwortlich ist, ist das jeweilige Bundesland. Das ist so aufgrund der Kulturhoheit der Länder. Es hat in Deutschland aber auch eine lange Tradition; Universitäten wurden oft von Landesherren eingerichtet, die sich von ihnen zum einen einen Zuwachs an Ansehen und Wirtschaftskraft versprachen, die zum anderen dort ihre Juristen, Pfarrer und Studienräte ausbilden ließen.

Das bringt es mit sich, daß die Arbeitsbedingungen an den Universitäten der einzelnen Bundesländer verschieden sind; je nach deren Wohlstand, je nach ihrer Liberalität.

Es gibt auch Unterschiede je nach Alter und Geschichte der einzelnen Universitäten. An einer großen Universität eines reichen Bundeslandes, sagen wir an der Münchener Ludwig- Maximilians- Universität, arbeitet es sich komfortabler als an einer ehemaligen Pädagogischen Hochschule eines vergleichsweise armen Bundeslandes, die in den siebziger Jahre zur "Gesamthochschule" ernannt worden war.



Ganz anders ist das an den MPI. Es gibt im Augenblick 78 solche Institute; die meisten in Deutschland angesiedelt, einige aber auch in Italien und Holland. Dort arbeiten rund 4.400 Wissenschaftler, unterstützt von ungefähr doppelt so vielen nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern und von um die 10.000 Doktoranden und Postdoktoranden.

Dieser Archipel Planck in der deutschen Forschungslandschaft ist nicht nur eine paradiesische Gegend, was die Relation von Nichtwissenschaftlern zu Wissenschaftlern angeht, und damit das Maß an Unterstützung, das die Wissenschaftler in ihrer Arbeit erfahren. Paradiesisch ist auch in aller Regel die apparative Ausstattung, ist die Möglichkeit, eigene Forschungsideen durch Doktoranden weiterverfolgen zu lassen, sind die Finanzmittel (jährlich mehr als 1,3 Milliarden Euro).

Und paradiesisch ist für die meisten dort arbeitenden Wissenschaftler auch, daß sie keine Lehrverpflichtungen haben, daß weit weniger "Gremienarbeit" und Verwaltungsarbeit anfällt als an den Universitäten; kurz, daß sie ihre Arbeitskraft weitgehend der Forschung widmen können.



In der FAZ hat sich vor ein paar Tagen eine Gruppe von Naturwissenschaftlern zu Wort gemeldet, und zwar mit einer vernichtenden Kritik an diesem deutschen System, das die Forschung zwischen Universitäten und MPI aufteilt, aber zu sehr ungleichen Arbeitsbedingungen.

Drei der Autoren arbeiten derzeit an US-Universitäten. Dort gibt es eine solche Aufteilung nicht. Die Forschung findet ganz überwiegend an den Universitäten statt. Und zwar, wie der internationale Erfolg der US-Forschung zeigt, offenbar effektiv.

Das System der MPI dagegen hat, so schreiben die Autoren, zahlreiche gravierende Nachteile; man kann sie in ihrem Artikel im einzelnen nachlesen. Was sie als eine grundlegende Reform vorschlagen, erscheint mir interessant:
Zum einen sollte die Max- Planck- Gesellschaft das Harnack- Prinzip wieder stringent anwenden. Zum anderen sollten erfolgreiche MPI, deren Forschungsaktivitäten parallel zu jenen an Universitäten laufen oder laufen könnten, in unser Universitätssystem eingebunden werden. Als Universitätseinrichtungen könnten diese Max- Planck- Institute Sondereinrichtungen mit eigenem Budget sein, sozusagen Eliteinstitute der jeweiligen Universitäten; die Mitglieder erhielten volle Lehrberechtigung und abgestufte Lehrverpflichtungen.
Das "Harnack- Prinzip" ist die ursprüngliche Konzeption, MPI jeweils ad personam für herausragende Forscher zu gründen, die dort freie Hand und alle Ressourcen haben, um ihre Ideen zu verwirklichen. Beispiele sind das "MPI für Verhaltensphysiologie" in Seewiesen, das für Konrad Lorenz und Erich von Holst gegründet worden war, und das Starnberger "MPI zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich- technischen Welt", das man für Carl- Friedrich von Weizsäcker und Jürgen Habermas geschaffen hatte. Beide gibt es nicht mehr.

Solche exzellenten Forschungseinrichtungen für herausragende Wissenschaftler sollten nach Ansicht der Autoren erhalten bleiben; nicht aber die vielen heute existierenden MPI, die thematisch und nicht personell ausgerichtet sind. Diese sollten so in die Universitäten integriert werden, daß es einerseits den Universitäten zugutekommt - durch einen Zuwachs an herausragenden Forschern und Ressourcen, durch die sich dadurch ergebenden Möglichkeiten für ihre Studenten -; daß es andererseits aber auch diesen Forschungs- Einrichtungen dient.



Warum würde eine Integration in Universitäten auch diesen Forschungs- Einrichtungen dienen? Bisher habe ich die Autoren des FAZ-Artikels referiert; jetzt möchte ich einige persönliche Überlegungen anschließen.

Das System reiner Forschungseinrichtungen, wie es in den MPI realisiert ist, ist meines Erachtens ein Ausdruck etatistischen Denkens.

Fast alle Staaten mit einer etatistischen Tradition haben Vergleichbares. In den kommunistischen Ländern waren es die Akademien der Wissenschaften, in die massiv Forschungsgelder flossen. In Frankreich ist es der Conseil National de Recherche Scientifique.

Bezeichnend für ein solches System ist die Konzentration der Forschung zu jeweils einem Thema an jeweils einem Ort. Es gibt zwischen MPI keine Konkurrenz; jedenfalls ist es nicht beabsichtigt, daß verschiedene Institute zum selben Thema forschen. Jedes hat sozusagen seine Erbhöfe. Es ist im Grunde ein System wie im Feudalismus, oder eben im Kommunismus.

Das ist in meinen Augen der eine schwerwiegende Nachteil dieses Systems. Er bedeutet ja nicht nur, daß Konkurrenz als Ansporn fehlt, sondern auch, daß bestimmte theoretische und methodische Ansätze von den jeweiligen Instituten monopolisiert werden. (Natürlich gibt es die Konkurrenz zu den Universitäten, natürlich die internationale Konkurrenz).

Der zweite schwerwiegende Nachteil ist das, was viele dort Arbeitende gerade als einen besonderen Vorteil empfinden: Sie haben keine Lehrverpflichtungen.

Das bedeutet zwar weniger Arbeit. Es bedeutet aber auch, daß diese Wissenschaftler in der Regel keinen Kontakt zu Studierenden haben, bis diese den Doktoranden- Status erreichen.

Wer viele Kontakte mit Wissenschaftlern an Universitäten und an MPI hat, der wird immer wieder diese Erfahrung machen: In ihrem engeren Forschungsbereich sind die MPIler brillant, was ihre Kenntnis der Literatur, der Methodik usw. angeht. Wenn aber das Gespräch auf breitere Themen kommt, dann sind ihnen ihre Kollegen von den Universitäten fast immer überlegen.

Nicht, weil sie von sich aus einen anderen Zugang zur Wissenschaft hätten. Sondern deshalb, weil sie als Lehrende gar keine Wahl haben, als sich mit dem Fach in seiner Breite und dessen aktueller Entwicklung zu befassen. MPI- Wissenschaftler sind wirklich in Gefahr, zu dem zu werden, was man einmal herablassend "Fachidioten" nannte; Universitäts- Professoren können sich das in der Regel gar nicht leisten.



Ja, nützt denn aber diese Breite, mit der man an den Universitäten die Entwicklung des Fachs verfolgen muß, auch der Forschung? Sie tut es. Nicht nur, weil neue Ideen häufig erst entstehen, wenn man über die Grenzen des eigenen engeren Forschungsthemas hinausblickt. Sondern auch deshalb, weil nichts dem eigenen Denken förderlicher ist, als es gegenüber seinen "Schülern" zu entwickeln und zu diskutieren.

An den amerikanischen Universitäten weiß man das. Mir ist noch kein amerikanischer Wissenschaftler begegnet, der glücklich wäre, wenn ihm alle seine Lehrverpflichtungen genommen werden würden.

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24. August 2007

Zitat des Tages: Die FAZ über die Situation der deutschen Universitäten

Schon die Bedingungen der Massenuniversität hatten die Forschungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt, nun aber rauben die Bachelor-Studiengänge ... zusätzliche Energie. Bei erschwerten Arbeitsbedingungen und zusätzlicher Belastung wird die Bezahlung dazu noch schlechter. Unter diesen Bedingungen ... werden sich weder die besten Köpfe im Lande noch Spitzenwissenschaftler aus dem Ausland für deutsche Universitäten begeistern.
Aus einem heutigen FAZ-Artikel von Heike Schmoll. Sehr lesenswert!
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30. Januar 2007

Lehrsklaven? Nein, freier Markt!

Die deutschen Universitäten waren einmal unter den besten der Welt. Die Humboldt' sche Universität war vorbildlich: Vorbildlich in ihrer Lehr- und Lernfreiheit, in der Einheit von Forschung und Lehre.

Es war eine liberale Universität: Die Professoren hatten die Freiheit, zu forschen und als Lehrinhalte anzubieten, was sie selbst wollten. Die Studierenden hatten die Freiheit, die Kollegs zu wählen, die ihnen zusagten; und sich auch die Prüfer auszusuchen, von denen sie sich prüfen lassen wollten.

Es zahlte sich damals aus, für jeden Professor, gute Lehre anzubieten. Denn sie lebten (anfangs überwiegend, dann immer noch teilweise) von den sogenannten Kolleggeldern. Wer einen Professor hören wollte, der bezahlte ihn.

Ein Professor, der schlechte Lehre anbot, war im 18., teílweise noch im 19. Jahrhundert schnell nah am Verhungern gewesen. Er erhielt noch nicht einmal mehr die Naturalien, mit denen Studenten gern bezahlten - den Schinken vom väterlichen Hof, beispielsweise.

Auch für Prüfungen war zu zahlen. Wer als Prüfer beliebt war, der verdiente daran.

Führte das dazu, daß die Anforderungen ins Bodenlose sanken? Keineswegs. Denn im Zeugnis stand ja, von wem der Kandidat geprüft worden war. Wer gute Noten von "billigen" Prüfern hatte, dessen Zeugnis war wenig wert. Auch da funktionierte der Markt.



In den späten sechziger oder frühen siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde das alles abgeschafft. Statt der Kolleggelder, die von der Zahl der Hörer abhingen, gab es eine "Kolleggeldpauschale", die irgendwann in das Gehalt eingearbeitet wurde. Ebenso verschwanden die Gebühren, die den Prüfern zugeflossen waren. Alles alte Zöpfe, die man abschnitt. Der Muff von tausend Jahren

Kurzum, der Markt für Lehre wurde abgeschafft. Nicht aber der für Forschung, der nach wie vor die Karriere bestimmt.

Die logische Folge war, daß die Lehre immer schlechter wurde. Wenn ein Wissenschaftler für gute Lehre exakt keine Belohnung bekommt, während gute Forschung ihm sein Fortkommen sichert, wäre er bescheuert, wenn er nicht die Lehre vernachlässigen würde.

Das ist die heutige Situation an den meisten deutschen Universitäten.



Nun versucht man, durch "Evaluation" etwas zu bewirken. Was da an Bürokratie im Entstehen ist, kann ein Außenstehender kaum fassen. Punkte für die Zahl der Dissertationen, der Diplomarbeiten, die jemand betreut. Punkte auch für Gremientätigkeit, für Zahl der Veröffentlichungen und so fort. Und das ganze verwaltet von zahllosen Kommissionen, Fachbereichsräten, Abteilungs- Ausschüssen, wie immer das heißt; von Dekanaten, die das alles ausrechnen müssen.

Daran, daß aus guten Gründen deutsche Professoren so wenige Ressourcen auf die Lehre und so viele auf die Forschung verwenden, wird das nach meinem Dafürhalten nichts ändern. (Ganz zu schweigen von der riesigen Menge an Arbeitszeit, die auf "Gremienarbeit" verwendet und oft für sie verschwendet wird - aber das ist ein anderes Thema).

Dabei wäre die Lösung so einfach: Erstens bezahlen die Studierenden Studiengebühren. Zweitens werden (unter anderem) aus diesen Gebühren die Gehälter der Professoren bezahlt. Und drittens handelt jeder Rektor und Dekan mit jedem seiner Professoren dessen Gehalt individuell aus. Wer viele Studenten zieht, der verdient entsprechend mehr, weil er seiner Universität ja mehr Einnahmen bringt. Ebenso, wer gute Forschung macht, weil er damit deren Renommee fördert.



So einfach ist das. So einfach ist es an Privatuniversitäten, weltweit.

Aber in Deutschland? Da wird jetzt (mal wieder) erwogen, "Lehrprofessoren" zu engagieren, die sich besonders um die Lehre kümmern sollen.

Was erstens bedeutet, daß das vermutlich lausige Forscher sind, denn sonst würden sie ja nicht einen solchen Job anstreben; die Einheit von Forschung und Lehre geht also verloren. Zweitens sind sie, in ein starres Besoldungssystem eingespannt, für gute Lehre ungefähr so motiviert wie ein Studienrat ohne Aussicht auf Beförderung. Es sei denn, sie gehören zu der Minderheit, die Spaß am Lehren und/oder Pflichtgefühl hat.

Und drittens ist das ja ein Hut, so alt, das er schon speckig und verfilzt ist. Der "Studienrat im Hochschuldienst", der "Akademische Rat mit überwiegender Lehrtätigkeit", der "Wissenschaftliche Angestellte mit fast ausschließlicher Lehrtätigkeit" - das waren alles solche Versuche, die oft schlechte Lehre der Professoren durch (hoffte man) gute Lehre von Lehr- Spezialisten mit hohem Lehrdeputat zu kompensieren.

Ich halte das für einen Irrweg. Ich bin dafür, durch Wiedereinführung von Markt- Mechanismen es für die Professoren attraktiv zu machen, gute Lehre anzubieten.

Was übrigens nach meinen Erfahrungen auch der Forschung zugute kommt. Denn durch gute Lehre zieht man gute Studenten an sich heran, und die werden irgendwann zu guten Mitarbeitern; vielleicht irgendwann zu guten Forschern, die die eigenen Ideen weitertragen und weiterentwickeln.

Die Humboldt'sche Einheit von Forschung und Lehre kommt nämlich nicht nur der Lehre zugute, sondern ebenso der Forschung. Die Notwendigkeit, sich in der Breite des Fachs auf dem Laufenden zu halten; der ständige Kontakt mit kritischen Studierenden; die Notwendigkeit, Kompliziertes auf seinen verständlichen und vermittelbaren Kern zurückzuführen - das verlangt die Lehre. Aber das nützt auch der Forschung.