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16. September 2008

Marginalie: "The biggest player in the financial services industry"

Das klang bedrohlich, was da vor vielleicht einer Stunde die Wallstreet- Korrespondentin von CNN, Maggie Lake, berichtete: AIG droht der Konkurs. Den wird es anmelden müssen, wenn nicht bis zum Ende des heutigen Geschäftstags - in New York ist es jetzt halb zwei Uhr - Geld aufgebracht wird, das das Unternehmen unbedingt braucht.

Nicht ganz wenig: 75.000.000.000 Dollar. Bis zum Ende des heutigen Geschäftstags, 75 Milliarden. Geliehen von einem Banken- Konsortium, mit dem die Verhandlungen laufen, und/oder als Überbrückungs- Kredit von der US- Notenbank.

Dies und die weiteren Daten, von denen Maggie Lake einige mitgeteilt hat, findet man z.B. aktuell bei Forbes:

American International Group ist mehr als nur ein Versicherungs- Unternehmen (das zweitgrößte der Welt). 103.000 Beschäftigte. Mehr als eine Billion (1.000.000.000.000) Dollar Vermögen. Es ist auch laut Forbes "arguably the biggest player in the financial services industry", vielleicht der größte Marktbeteiligte bei den Finanz- Dienstleistern.

Eine Katastrophe wäre ein Zusammenbruch von AIG, schreibt Forbes. Die Aktien von AIG sind heute um 40 Prozent gefallen. Die Ursache der Krise sind - wieder einmal der Schwarze Schwan - Kreditgeschäfte eines Unternehmensbereichs, der AIG Financial Products Corp., deren Risiko falsch eingeschätzt worden war.

Am wahrscheinlichsten ist es laut Forbes, daß der Konzern zerschlagen wird. Der Unternehmensbereich Flugzeug- Leasing könnte verkauft werden; aus dem Erlös könnten die Verpflichtungen bezahlt werden. Der Versicherungsbereich könnte erhalten bleiben, auch wenn andere Unternehmensbereiche in Konkurs gehen.

Maggie Lake von CNN wirkte recht aufgeregt. Sie sagte auch, daß AIG weltweit so verflochten sei, daß ein Konkurs wohl Auswirkungen in vielen Ländern hätte.



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Zitat des Tages: Was Nassim Nicholas Taleb über Fanny Mae sagte. Sowie: Ein Truthahn erlebt eine Überraschung

The government-sponsored institution Fanny Mae, when I look at their risks, seems to be sitting on a barrel of dynamite, vulnerable to the slightest hiccup. But not to worry: their large staff of scientists deemed these events "unlikely".

(Die steuerbegünstigte Institution Fanny Mae dürfte, wenn ich auf ihre Risiken schaue, auf einem Dynamitfaß zu sitzen. Sie ist empfindlich für den kleinsten Schluckauf. Aber keine Sorge: Ihr großer Stab von Wissenschaftlern hat solche Ereignisse als "unwahrscheinlich" eingestuft.)

Dieses Zitat ist zwei Jahre alt. Es entstand 2006, als Nassim Nicholas Taleb an dem Buch "The Black Swan: The Impact of the Highly Improbable" (deutsch: Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse) schrieb; ich zitiere nach den heutigen Cutting Edge News.

Kommentar: Wer ist dieser Nassim Nicholas Taleb? Allerlei war und ist er - laut Wikipedia ein "literary essayist, epistemologist, scholar of randomness and knowledge, researcher, and former practitioner of mathematical finance", ein Essayist, Epistemologe, Zufalls- und Erkenntnistheoretiker und einstiger Praktiker der Finanzmathematik. In der Sunday Times hat Bryan Appleyard ihn kürzlich als "the hottest thinker in the world" bezeichnet, den angesagtesten Denker der Welt.

Der "schwarze Schwan" - das ist das Unerwartete, das aller bisheriger Erfahrung widerspricht. Bis man in Australien schwarze Schwäne entdeckte, galt es als ausgemacht, daß jeder Schwan weiß ist. Mit dem ersten schwarzen Schwan war diese Überzeugung obsolet. Die herkömmliche Statistik, die herkömmliche Risikotheorie berücksichtige das Unerwartete zu wenig; so Talebs Botschaft.

"Denn erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt" lehrte mich mein Großvater; das dürfte wohl in der Essenz das sein, was Taleb lehrt.

In Edge kann man im Augenblick einen Aufsatz von ihm lesen, in dem er diese Philosophie auf die aktuelle Finanzkrise anwendet.

Taleb denkt gern in Bildern und anschaulichen Beispielen. Eines ist das Schicksal eines Truthahns, als Grafik dargestellt. Auf der Abszisse die Zeit, auf der Ordinate ein Maß für das Wohlergehen des Truthahns. Man sieht, während man sich auf der Zeitachse Richtung Thanksgiving Day bewegt, wie es dem bestens gefütterten Truthahn von Tag zu Tag besser geht. Legende zu der zugehörigen Abbildung:
A Turkey is fed for a 1000 days — every days confirms to its statistical department that the human race cares about its welfare "with increased statistical significance". On the 1001st day, the turkey has a surprise.

Ein Truthahn wird 1000 Tage gefüttert. Jeder Tag bestätigt seiner Statistik- Abteilung "mit zunehmender statistischer Signifikanz", daß die Menschen sich um sein Wohlergehen kümmern. Am 1001. Tag erlebt der Truthahn eine Überraschung.
So ganz passe das aber gar nicht auf die jetzige Finanzkrise, meinte Taleb gegenüber Bryan Appleyard.

Die Subprime- Krise habe ihn zwar bestätigt, aber "... to me that wasn’t a black swan; it was a white swan. I knew it would happen and I said so. It was a black swan to Ben Bernanke." Für ihn sei das kein schwarzer Schwan gewesen; es sei ein weißer Schwan gewesen. Er hätte gewußt, daß es so kommen würde. Ein schwarzer Schwan sei es für Ben Bernanke gewesen.

Ben Bernanke ist bekanntlich der Chef der US-Notenbank, der Nachfolger von Alan Greenspan.



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