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21. Oktober 2008

Oskar Lafontaines Verständnis von Demokratie. Eine Spurensuche. Teil 2: Bundestagsreden, ein wenig Philologie und ein Bewunderer Stalins

Im ersten Teil habe ich geschildert, wie Oskar Lafontaine, indem er Peter Sodann zur Seite sprang, sein Verständnis von Demokratie sichtbar machte. Als Eideshelfer zitierte er Perikles mit einem Satz, den Thukydides überliefert hat.

Es scheint, daß Lafontaine in dieses Zitat nachgerade verliebt ist. Er verwendete es, nicht nur, wie berichtet, jetzt aktuell im Interview mit der "Welt" und zuvor in einem Artikel in der FAZ. Auch im Bundestag kommt er offenbar nicht davon los:
Viele glauben, es sei Demokratie, wenn man regelmäßig zur Wahlurne gehen könne. Ich wiederhole, dass die klassische Definition der Demokratie von den Ergebnissen her kam. Wir bezeichnen eine gesellschaftliche Ordnung dann als demokratisch, wenn die Entscheidungen so getroffen werden, dass die Interessen der Mehrheit bei den Entscheidungen berücksichtigt werden. Genau dies ist nicht eingetreten, sondern das glatte Gegenteil. Deshalb ist die Demokratie nachweislich verabschiedet worden. (Oskar Lafontaine am 25. September 2008 im Bundestag)

Demokratie heißt nun einmal eine Gesellschaftsordnung, in der die Entscheidungen so getroffen werden, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. (...) Deshalb möchte ich für meine Fraktion sagen: Demokratie gibt es erst dann wieder, wenn die Interessen der Mehrheit tatsächlich zur Geltung kommen (Oskar Lafontaine am 15. Oktober 2008 im Bundestag).
Daß dies das (mit dem Grundgesetz konforme?) Demokratie- Verständnis von Oskar Lafontaine ist, haben wir jetzt verstanden. Aber war es wirklich das von Perikles, oder vielmehr dasjenige, welches Thukydides dem Perikles in den Mund legt?



Die Textstelle, auf die Lafontaine sich bezieht, findet sich am Ende des zweiten Buchs des "Peloponnesischen Kriegs", im sechsten Kapitel (2.37).

Die Athener ehren ihre Gefallenen, und aus diesem Anlaß hält Perikles eine Rede, in der er Athen preist. Unter anderem dessen Verfassung; und in diesem Zusammenhang sagt er im im griechischen Text: "chrômetha gar politeiai ou zêlousêi tous tôn pelas nomous, paradeigma de mallon autoi ontes tisin ê mimoumenoi heterous. kai onoma men dia to mê es oligous all' es pleionas oikein dêmokratia keklêtai".

In seiner Monographie The First Democracies diskutiert Eric W. Robinson eingehend und mit großer philologischer Akribie die Übersetzung dieser Passage und kommt, nachdem er vor allem die Verwendung der Wörter "es" und "oikein" bei Thukydides und seinen Zeitgenossen untersucht hat, zu der folgenden Übersetzung:
For we enjoy a constitution which does not emulate the laws of our neighbors; rather we ourselves, not imitating anyone else, are a model for others. By name it is called democracy because the management of affairs is not given over to the few but to the many.

Denn wir erfreuen uns einer Verfassung, die nicht die Gesetze unserer Nachbarn übernimmt; sondern wir selbst, die wir niemanden anderen nachahmen, geben das Beispiel für andere ab. Mit Namen nennt man das Demokratie, weil die Handhabung der Dinge nicht den Wenigen, sondern den Vielen übergeben ist.
Das ist alles. Es ist just die Definition, die auch unserem modernen Verständnis von Demokratie zugrundeliegt. Das Volk ist der Souverän. Er ist letztlich für die Handhabung der Dinge zuständig.



Wo also hat Lafontaine seine sehr andere Übersetzung her? Als ich danach gesucht habe, bin ich auf eine Buchrezension in der linken Zeitschrift "Freitag" gestoßen. Besprochen wird ein Buch des italienischen Kommunisten Luciano Canfora mit dem Titel "Kurze Geschichte der Demokratie".

Über diesen Autor und sein Buch schreibt im "Perlentaucher" Adam Krzeminski:
Stalin hält er für einen großen Staatsmann und die kommunistischen "Volksdemokratien" für eine höhere Entwicklungsstufe der Demokratie als parlamentarische Demokratien. (...) Der Leser fasst sich an den Kopf. Denn da akzeptiert Canfora 15 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in vollem Umfang den stalinistischen Grundsatz: Alles, was der UdSSR diente, war historisch richtig. (...) Dieses Buch - auch wenn es effektvoll geschrieben ist - lässt sich nicht verteidigen, weder intellektuell, noch moralisch. Es ist ein Skandal.
Im "Freitag" allerdings gehen die Rezensenten sehr liebevoll mit diesem Buch um. Und dort finden wir auch die Antwort auf die Frage, wo denn Oskar Lafontaine seine seltsame Übersetzung der Textstelle im "Peloponnesischen Krieg" herhat:
Canfora leitet sein Buch mit dem Hinweis auf ein Falschzitat (...) aus Thukydides so genannter Totenrede des Perikles (430 v. u. Z. ) ein: "Mit Namen heißt unsere Verfassung, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf eine größere Zahl gestellt ist, Volksherrschaft". Laut Canfora geht aus dem korrekt übersetzten Originaltext etwas anderes hervor: "Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung [es ist modernistisch und falsch, politeia mit Verfassung wiederzugeben] bezeichnen, heißt Demokratie [Volksherrschaft], weil die Angelegenheiten [das hier verwendete Wort heißt oikein] nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit [also geht es mitnichten um den ›Staat‹ oder die Staatsmacht und schon gar nicht um ›eine größere Zahl‹] gehandhabt werden."
Nun heißt "oikein" ganz gewiß nicht "Angelegenheiten"; schon weil es kein Substantiv ist, sondern ein Verb. Seine Kernbedeutung ist "wohnen" und, durch Erweiterung der Bedeutung davon abgeleitet, auch "wirtschaften, die Dinge handhaben".

So also sieht es mit Canforas Vorwurf des "Falschzitats" aus: Die gängige Übersetzung ist keineswegs falsch, sondern die sehr wahrscheinlich richtige. Daß bei Thukydides die Handhabung der Dinge durch das Volk auch deren Handhabung in seinem Interesse mit einschließt, hält Richardson für möglich.

Freilich geht es Canfora ja auch gar nicht um philologische Feinheiten. Denn nachdem er angeblich ein "Falschzitat" entlarvt hat, läßt er nun die Katze aus dem Sack hüpfen (Hervorhebung von mir):
Obwohl es bei Perikles ausschließlich um die freien Bürger Athens ging, könne man - so Canfora - seine Aussage drehen wie man wolle, hier sei die Demokratie der Freiheit realistischerweise entgegengesetzt worden, während ihre gegenwärtig lautesten Verfechter eher eine automatische Verknüpfung beider Kategorien suggerieren. Im antiken Begriff der Demokratie sei der Zwang fest verankert gewesen, der - zumindest in Form der Gesetzgebung - notwendig ist, um die Interessen der Mehrheiten gegenüber den Interessen von Minderheiten durchzusetzen.
Da haben wir zwar nicht Thukydides oder Perikles; diesen "Zwang" in die Textstelle hineinzulesen ist abwegig. Wohl aber haben wir das Programm dieses italienischen Kommunisten Luciano Canfora, das Programm Oskar Lafontaines, das Programm seiner Genossen von "Die Linke".

Man darf sich da nichts vormachen: Sie wollen eine andere Republik. Ihnen geht es nicht um die Freiheit, sondern um eine Gleichheit, die sie mit Zwang durchsetzen wollen. Zwecks semantischer Vorbereitung sind sie im Augenblick dabei, den Begriff "Demokratie" umzuinterpretieren.

Wie immer geht es bei einem solchen Unternehmen um Legitimation. Also versucht Lafontaine, gestützt auf seinen Glaubensbruder Canfora, die Legende zu verbreiten, schon Perikles habe mit "Demokratie" das gemeint, was die Kommunisten anstreben.



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Oskar Lafontaines Verständnis von Demokratie. Eine Spurensuche. Teil 1: Lafontaine verteidigt Sodann und zitiert Perikles

Oskar Lafontaine möchte sich gern als ein Mann von Bildung präsentieren. Er weiß Goethe und Peter Hacks ebenso zu zitieren wie Marx, wie Walter Benjamin, Horkheimer und Adorno.

Nicht immer freilich mit Glück. Als er zum Beispiel im Mai dieses Jahres auf dem Cottbuser Parteitag seiner Partei Goethe zitierte, da ging das ziemlich gründlich daneben.

Er hatte in diesem Fall aus einem Dialog zwischen Faust und Wagner im "Faust I" drei Zeilen herausgepickt und sie auf eine abwegige Weise interpretiert. So abwegig, wie man es nur dann kann, wenn man keine Ahnung von dem Text hat, den man zitiert.

Das kam mir in Erinnerung, als ich las, daß Lafontaine mal wieder Bildung hatte durchschimmern lassen, und zwar im Gespräch mit Uwe Müller von der "Welt".

Es ging um das Bekenntnis des Kandidaten Peter Sodann, daß nach seiner Ansicht Deutschland keine Demokratie sei. Andere Granden der Partei "Die Linke" hatten das herunterzuspielen versucht. Oskar Lafontaine aber wählte die Vorwärts- Verteidigung. Er stimmte Sodann zu:
"Im Gegensatz zu seinen Kritikern ist Peter Sodann gebildet", sagte er der WELT. Als Theatermann kenne er seinen Thukydides. Der berühmteste Historiker der Antike habe Perikles' Sicht auf die Demokratie so beschrieben: "Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegenheiten nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit gehandhabt werden." In diesem Sinne ist die Bundesrepublik auch für Lafontaine keine Demokratie.
Warum ein Theatermann ausgerechnet "seinen" Thukydides kennen soll, der mit antikem Theater ungefähr so viel zu tun hatte wie Golo Mann mit Ionesco, das ist freilich Lafontaines Geheimnis. (Er wird doch nicht Thukydides mit Euripides verwechselt haben?).



Aber gut, räumen wir einmal an, daß Sodann den Thukydides kennt, und fragen wir uns, wie gut ihn denn wohl Oskar Lafontaine kennt.

Zumindest scheint er das, was er uns da als Thukydides verkaufen will, sehr zu lieben. Er hat dieses Zitat nämlich schon früher benutzt, beispielsweise in diesem Artikel in der FAZ vom 9. Juni 2007. Darin schreibt Lafontaine:
"Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegenheiten nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit gehandhabt werden", sagte der athenische Staatsmann Perikles vor über 2000 Jahren. Konfrontieren wir die politische Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2007 mit dieser einfachen Definition der Demokratie, dann kommen wir zu dem Schluss, dass wir in einer parlamentarischen Demokratie leben, die dem entscheidenden Kriterium des Perikles für eine politische Ordnung, die Demokratie heißt, nicht gerecht wird.
Hier wird klar, warum Lafontaine dieses "Zitat" so liebt, welches er damals allerdings noch Perikles selbst zuschrieb. (Es handelt sich um etwas, das Thukydides dem Perikles in den Mund legt; ich komme darauf im zweiten Teil):

Lafontaine liebt dieses Zitat, weil er damit einen Unterschied illustrieren möchte, auf den es ihm ankommt: Dem zwischen der Demokratie als einer Staatsform, in der die Mehrheit entscheidet, und Demokratie in dem Sinn, daß das geschieht, was nach Lafontaines Meinung im Interesse der Mehrheit liegt.

Daß sie im Interesse der Mehrheit regieren, das haben natürlich die Kommunisten immer behauptet; sie haben es überall dort behauptet, wo sie an der Macht waren und sind. Es ist ein leninistischer Grundsatz, daß die Mehrheit ihre eigenen Interessen nicht erkennen, geschweige denn durchsetzen kann und deshalb der Avantgarde bedarf - eben der Kommunisten -, damit diese Interessen verwirklicht werden.

Die Verwirklichung der "Interessen der Mehrheit" zum Kriterium der Demokratie zu machen bedeutet, daß ein Staat nur dann demokratisch ist, wenn in ihm diejenigen regieren, die nach Lafontaines Überzeugung allein die "Interessen der Mehrheit" vertreten, nämlich Sozialisten. Für Pluralismus, für Freiheit ist da kein Platz mehr. Nur ein sozialistisches Deutschland ist für Lafontaine demokratisch; das ist der offensichtliche Sinn seiner Aussage.

(Fortsetzung folgt)



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