21. Oktober 2008

Oskar Lafontaines Verständnis von Demokratie. Eine Spurensuche. Teil 1: Lafontaine verteidigt Sodann und zitiert Perikles

Oskar Lafontaine möchte sich gern als ein Mann von Bildung präsentieren. Er weiß Goethe und Peter Hacks ebenso zu zitieren wie Marx, wie Walter Benjamin, Horkheimer und Adorno.

Nicht immer freilich mit Glück. Als er zum Beispiel im Mai dieses Jahres auf dem Cottbuser Parteitag seiner Partei Goethe zitierte, da ging das ziemlich gründlich daneben.

Er hatte in diesem Fall aus einem Dialog zwischen Faust und Wagner im "Faust I" drei Zeilen herausgepickt und sie auf eine abwegige Weise interpretiert. So abwegig, wie man es nur dann kann, wenn man keine Ahnung von dem Text hat, den man zitiert.

Das kam mir in Erinnerung, als ich las, daß Lafontaine mal wieder Bildung hatte durchschimmern lassen, und zwar im Gespräch mit Uwe Müller von der "Welt".

Es ging um das Bekenntnis des Kandidaten Peter Sodann, daß nach seiner Ansicht Deutschland keine Demokratie sei. Andere Granden der Partei "Die Linke" hatten das herunterzuspielen versucht. Oskar Lafontaine aber wählte die Vorwärts- Verteidigung. Er stimmte Sodann zu:
"Im Gegensatz zu seinen Kritikern ist Peter Sodann gebildet", sagte er der WELT. Als Theatermann kenne er seinen Thukydides. Der berühmteste Historiker der Antike habe Perikles' Sicht auf die Demokratie so beschrieben: "Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegenheiten nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit gehandhabt werden." In diesem Sinne ist die Bundesrepublik auch für Lafontaine keine Demokratie.
Warum ein Theatermann ausgerechnet "seinen" Thukydides kennen soll, der mit antikem Theater ungefähr so viel zu tun hatte wie Golo Mann mit Ionesco, das ist freilich Lafontaines Geheimnis. (Er wird doch nicht Thukydides mit Euripides verwechselt haben?).



Aber gut, räumen wir einmal an, daß Sodann den Thukydides kennt, und fragen wir uns, wie gut ihn denn wohl Oskar Lafontaine kennt.

Zumindest scheint er das, was er uns da als Thukydides verkaufen will, sehr zu lieben. Er hat dieses Zitat nämlich schon früher benutzt, beispielsweise in diesem Artikel in der FAZ vom 9. Juni 2007. Darin schreibt Lafontaine:
"Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegenheiten nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit gehandhabt werden", sagte der athenische Staatsmann Perikles vor über 2000 Jahren. Konfrontieren wir die politische Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2007 mit dieser einfachen Definition der Demokratie, dann kommen wir zu dem Schluss, dass wir in einer parlamentarischen Demokratie leben, die dem entscheidenden Kriterium des Perikles für eine politische Ordnung, die Demokratie heißt, nicht gerecht wird.
Hier wird klar, warum Lafontaine dieses "Zitat" so liebt, welches er damals allerdings noch Perikles selbst zuschrieb. (Es handelt sich um etwas, das Thukydides dem Perikles in den Mund legt; ich komme darauf im zweiten Teil):

Lafontaine liebt dieses Zitat, weil er damit einen Unterschied illustrieren möchte, auf den es ihm ankommt: Dem zwischen der Demokratie als einer Staatsform, in der die Mehrheit entscheidet, und Demokratie in dem Sinn, daß das geschieht, was nach Lafontaines Meinung im Interesse der Mehrheit liegt.

Daß sie im Interesse der Mehrheit regieren, das haben natürlich die Kommunisten immer behauptet; sie haben es überall dort behauptet, wo sie an der Macht waren und sind. Es ist ein leninistischer Grundsatz, daß die Mehrheit ihre eigenen Interessen nicht erkennen, geschweige denn durchsetzen kann und deshalb der Avantgarde bedarf - eben der Kommunisten -, damit diese Interessen verwirklicht werden.

Die Verwirklichung der "Interessen der Mehrheit" zum Kriterium der Demokratie zu machen bedeutet, daß ein Staat nur dann demokratisch ist, wenn in ihm diejenigen regieren, die nach Lafontaines Überzeugung allein die "Interessen der Mehrheit" vertreten, nämlich Sozialisten. Für Pluralismus, für Freiheit ist da kein Platz mehr. Nur ein sozialistisches Deutschland ist für Lafontaine demokratisch; das ist der offensichtliche Sinn seiner Aussage.

(Fortsetzung folgt)



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