"Es wird zum Beispiel allen Ernstes debattiert, Georgien in die Nato aufzunehmen. Georgien ist aber kein Teil Europas, sondern ein Teil Asiens. Der Nordatlantik- Vertrag spricht davon, daß man andere europäische Staaten aufnehmen kann, von asiatischen Staaten ist dort keine Rede". Das sagte Helmut Schmidt in "Auf eine Zigarette" zu Giovanni di Lorenzo ("Zeit-Magazin" 41/2008, S. 54).
Georgien gar kein Staat Europas, sondern ein asiatisches Land? Wenn ein Mann wie Helmut Schmidt das sagt, dann gibt das zu denken. Und es gibt sozusagen zu lesen; nachzulesen nämlich, ob Schmidt Recht hat.
In Deutschland gibt es gegenwärtig wohl kaum jemanden, dessen Wort so viel gilt wie das Helmut Schmidts. Als Kanzler wurde er geschätzt, heute wird er verehrt.
Zu Recht. Niemand verbindet so wie er lange politische Erfahrung, analytischen Scharfsinn, die Weisheit des Alters und die Kunst, das Wesentliche zu sehen und es griffig zu formulieren.
Hat er am Ende auch damit Recht, daß Georgien gar kein europäisches Land ist? Sehen wir zu. Betrachten wir die Frage zunächst unter dem historisch- kulturellen und dann unter dem geographischen Aspekt.
Historisch war Georgien Teil des Kulturkreises der griechisch- römischen Antike.
Der westliche Teil Georgiens war den Griechen als das Kolchis bekannt, in das Jason und die Argonauten auf der Suche nach dem Goldenen Vlies wollten. Das Land wurde von Griechen kolonisiert; der jetzt durch die russische Invasion in die Schlagzeilen geratene Hafen Poti zum Beispiel ist das griechische Phasis.
Zur Zeit Alexanders des Großen war Griechisch eine der Landesprachen in Kolchis. Später dann wurde es als die Provinz Lazicum Teil des Römischen Reichs.
Nun, auch die heutige Türkei war einmal an ihren Küsten griechisch kolonisiert und gehörte später zum Römischen Reich. Aber durch das Eindringen der Araber und später der Seldschuken wurde Anatolien ein Teil des islamischen Kulturkreises.
Nicht so Georgien. Es ist eines der ältesten christlichen Länder; und es ist immer ein christliches, ein unserem Kulturkreis angehörendes Land geblieben.
Beide Staaten auf dem Territorium des heutigen Georgien - Kolchis und Iberien -, führten das Christentum als Staatsreligion bereits Anfang des vierten Jahrhunderts ein; früher als die meisten Länder außerhalb des Römischen Reichs.
In der Folgezeit wurde der Kaukasus, so wie heute, Schnittpunkt von Weltmacht- Interessen. Georgien war umstritten zwischen dem Persischen Reich und dem Reich der Seldschuken, die Anatolien erobert hatten.
An der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert dann entstand unter König David Agmaschenebeli das selbständige, vereinte, christliche Georgien mit einer eigenständigen Orthodoxen Kirche. Um die Wende zum 13. Jahrhundert war es unter Königin Tamar der stärkste christliche Staat im gesamten Gebiet der östlichen Mittelmeer- Region.
In den folgenden Jahrhunderten blieb Georgien eines der wenigen christlichen Länder in dieser Region, immer unter Attacke seitens der Ottomanen und der Perser.
Immer aber ein christlicher Staat, und immer selbständig. Bis es 1801 von Rußland annektiert wurde, von dem es seine Unabhängigkeit erst wieder 1918 erlangte. Freilich nur kurz, bis 1921. Dann kamen die Russen zurück, jetzt als Sowjets. Seit dem 9. April 1991 ist Georgien wieder selbstständig.
Europäischer kann ein Land kaum sein.
Ein Vorposten Europas freilich, immer von Asien her bedroht - aus dem Osten von den Persern, aus dem Süden von den Seldschuken und Ottomanen. Gerade deshalb ein besonders bewußt europäisches Land.
Geschichtlich und kulturell gesehen ist Helmut Schmidts Behauptung, Georgien sei ein asiatisches Land, nicht nur eigenartig. Sie ist nachgerade abwegig.
Nun kann man argumentieren, die Grenze zwischen Europa und Asien sei nicht kulturell definiert, sondern geographisch. So, wie generell die Kontinente nach geographischen Kriterien voneinander abgegrenzt werden.
Nur, nach welchen? Bei Kontinenten wie Amerika und Australien ist das einfach, weil sie von den anderen durch Ozeane getrennt sind. Afrika und Asien lassen sich immerhin durch die Landenge zwischen Mittelmeer und Rotem Meer auf eine einigermaßen "natürliche" Weise abgrenzen, die seit 1869 vom Suezkanal markiert wird.
Aber Europa und Asien? Man kann mit guten geographischen Gründen argumentieren, daß Europa eigentlich eine Halbinsel Asiens sei. Da es nun aber einmal traditionell den Erdteil Europa gibt, hat man ihn mehr schlecht als recht durch Gebirgszüge abzugrenzen versucht: Den Ural im Osten und den Kaukasus im Süden. Dazwischen Flüsse, die die Grenze markieren.
Nun liegt Georgien allerdings mitten im Kaukasus. Somit hilft uns das noch nicht viel weiter.
Wo also verläuft sie exakt, die Grenze Europas am Kaukasus? So macht die Frage nicht viel Sinn; denn es handelt sich ja nur um eine gedachte, eine willkürlich festzulegende Grenze. Und beim Denken, beim Definieren sind sich selten alle einig.
So auch hier. Es gibt - man kann das in der Wikipedia nachlesen - ganz verschiedene Vorstellungen davon, wo genau diese Kaukasus- Grenze Europas verläuft.
Vom Zaren mit der Kartierung Rußlands betraut, hat der Geograph Philip Johan von Strahlenberg sie im Jahr 1730 einigermaßen willkürlich in die Manytschniederung nördlich des Kaukasus gelegt.
Andere sehen die Grenze südlich des Kaukasus. Viele heutige Geographen ziehen sie entlang der Gipfellinie des Kaukausus ("Meso- Kaukasus- Grenze").
Der Artikel über Georgien in der Wikipedia beginnt mit dem Satz: "Georgia is a transcontinental country in the Caucasus region, partially in Eastern Europe and partially in Southwestern Asia." (Georgien ist ein transkontinentales Land im Gebiet des Kaukasus, teils zu Osteuropa und teils zu Südwestasien gehörig). Die Europakarte der Wikipedia zeigt, daß Georgien ziemlich genau zur Hälfte (der europäische Teil ist etwas größer) in dem (so abgegrenzten) Europa und in Asien liegt.
Georgien ist im übrigen seit 1999 Mitglied des Europarats.
Was also mag Helmut Schmidt sich bei seiner Behauptung gedacht haben, daß Georgien "kein Teil Europas, sondern ein Teil Asiens" sei? Er sagt es im nächsten Satz: Es geht ihm nicht um Geographie; sondern es geht ihm um seine Ablehnung eines Beitritts Georgiens zur Nato. Und diesen lehnt er ab, weil er dagegen ist, sich (so sagt er es in dem Interview) "über die Einflußsphären [von] Großmächte[n] hinweg[zu]setzen".
Schmidt sieht das Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland aus der Sicht eines Teilnehmers am Zweiten Weltkrieg, der an der Ostfront kämpfte und für den ein gutes Verhältnis zu Rußland oberste Priorität hat: "Beide haben schrecklich gelitten und wissen das auch voneinander."
Deshalb fürchtet er offenbar eine neue Konfrontation mit Rußland; deshalb will er den Russen ihre "Einflußsphäre" zubilligen. Und deshalb verlegt er Georgien nach Asien; denn dann kann es gar nicht der Nato beitreten, sondern gehört zwangsläufig zur russischen "Einflußsphäre".
Auch der große Helmut Schmidt ist halt ein Politiker, der manchmal nicht von den Fakten zu den Zielen gelangt, sondern der die Fakten sub specie seiner Ziele darstellt.
Helmut Schmidt möchte, so scheint mir, zur endgültigen Sicherung des Friedens eine Versöhnung Deutschlands mit Rußland ähnlich derjenigen, die einst unter den Kanzlern von Adenauer bis Kohl mit Frankreich gelang.
Was ja schön und sehr erstrebenswert ist. Oder vielmehr, was es wäre, wenn in Rußland noch Gorbatschow regierte.
Daß dort inzwischen ein autoritärer Herrscher an der Macht ist, der es sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, nach dem Imperium der Zaren und dem der Sowjets ein drittes Russisches Reich zu schaffen, unter Einschluß der osteuropäischen Teile dieser beider früherer Imperien - das scheint Helmut Schmidt nicht zu sehen oder nicht sehen zu wollen.
Im zweiten Teil gehe ich auf diese neue russische Sicht der strategischen Lage in Osteuropa ein, wie sie in den Überlegungen eines russischen Europa- Experten zum Ausdruck kommen.
Georgien gar kein Staat Europas, sondern ein asiatisches Land? Wenn ein Mann wie Helmut Schmidt das sagt, dann gibt das zu denken. Und es gibt sozusagen zu lesen; nachzulesen nämlich, ob Schmidt Recht hat.
In Deutschland gibt es gegenwärtig wohl kaum jemanden, dessen Wort so viel gilt wie das Helmut Schmidts. Als Kanzler wurde er geschätzt, heute wird er verehrt.
Zu Recht. Niemand verbindet so wie er lange politische Erfahrung, analytischen Scharfsinn, die Weisheit des Alters und die Kunst, das Wesentliche zu sehen und es griffig zu formulieren.
Hat er am Ende auch damit Recht, daß Georgien gar kein europäisches Land ist? Sehen wir zu. Betrachten wir die Frage zunächst unter dem historisch- kulturellen und dann unter dem geographischen Aspekt.
Historisch war Georgien Teil des Kulturkreises der griechisch- römischen Antike.
Der westliche Teil Georgiens war den Griechen als das Kolchis bekannt, in das Jason und die Argonauten auf der Suche nach dem Goldenen Vlies wollten. Das Land wurde von Griechen kolonisiert; der jetzt durch die russische Invasion in die Schlagzeilen geratene Hafen Poti zum Beispiel ist das griechische Phasis.
Zur Zeit Alexanders des Großen war Griechisch eine der Landesprachen in Kolchis. Später dann wurde es als die Provinz Lazicum Teil des Römischen Reichs.
Nun, auch die heutige Türkei war einmal an ihren Küsten griechisch kolonisiert und gehörte später zum Römischen Reich. Aber durch das Eindringen der Araber und später der Seldschuken wurde Anatolien ein Teil des islamischen Kulturkreises.
Nicht so Georgien. Es ist eines der ältesten christlichen Länder; und es ist immer ein christliches, ein unserem Kulturkreis angehörendes Land geblieben.
Beide Staaten auf dem Territorium des heutigen Georgien - Kolchis und Iberien -, führten das Christentum als Staatsreligion bereits Anfang des vierten Jahrhunderts ein; früher als die meisten Länder außerhalb des Römischen Reichs.
In der Folgezeit wurde der Kaukasus, so wie heute, Schnittpunkt von Weltmacht- Interessen. Georgien war umstritten zwischen dem Persischen Reich und dem Reich der Seldschuken, die Anatolien erobert hatten.
An der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert dann entstand unter König David Agmaschenebeli das selbständige, vereinte, christliche Georgien mit einer eigenständigen Orthodoxen Kirche. Um die Wende zum 13. Jahrhundert war es unter Königin Tamar der stärkste christliche Staat im gesamten Gebiet der östlichen Mittelmeer- Region.
In den folgenden Jahrhunderten blieb Georgien eines der wenigen christlichen Länder in dieser Region, immer unter Attacke seitens der Ottomanen und der Perser.
Immer aber ein christlicher Staat, und immer selbständig. Bis es 1801 von Rußland annektiert wurde, von dem es seine Unabhängigkeit erst wieder 1918 erlangte. Freilich nur kurz, bis 1921. Dann kamen die Russen zurück, jetzt als Sowjets. Seit dem 9. April 1991 ist Georgien wieder selbstständig.
Europäischer kann ein Land kaum sein.
Ein Vorposten Europas freilich, immer von Asien her bedroht - aus dem Osten von den Persern, aus dem Süden von den Seldschuken und Ottomanen. Gerade deshalb ein besonders bewußt europäisches Land.
Geschichtlich und kulturell gesehen ist Helmut Schmidts Behauptung, Georgien sei ein asiatisches Land, nicht nur eigenartig. Sie ist nachgerade abwegig.
Nun kann man argumentieren, die Grenze zwischen Europa und Asien sei nicht kulturell definiert, sondern geographisch. So, wie generell die Kontinente nach geographischen Kriterien voneinander abgegrenzt werden.
Nur, nach welchen? Bei Kontinenten wie Amerika und Australien ist das einfach, weil sie von den anderen durch Ozeane getrennt sind. Afrika und Asien lassen sich immerhin durch die Landenge zwischen Mittelmeer und Rotem Meer auf eine einigermaßen "natürliche" Weise abgrenzen, die seit 1869 vom Suezkanal markiert wird.
Aber Europa und Asien? Man kann mit guten geographischen Gründen argumentieren, daß Europa eigentlich eine Halbinsel Asiens sei. Da es nun aber einmal traditionell den Erdteil Europa gibt, hat man ihn mehr schlecht als recht durch Gebirgszüge abzugrenzen versucht: Den Ural im Osten und den Kaukasus im Süden. Dazwischen Flüsse, die die Grenze markieren.
Nun liegt Georgien allerdings mitten im Kaukasus. Somit hilft uns das noch nicht viel weiter.
Wo also verläuft sie exakt, die Grenze Europas am Kaukasus? So macht die Frage nicht viel Sinn; denn es handelt sich ja nur um eine gedachte, eine willkürlich festzulegende Grenze. Und beim Denken, beim Definieren sind sich selten alle einig.
So auch hier. Es gibt - man kann das in der Wikipedia nachlesen - ganz verschiedene Vorstellungen davon, wo genau diese Kaukasus- Grenze Europas verläuft.
Vom Zaren mit der Kartierung Rußlands betraut, hat der Geograph Philip Johan von Strahlenberg sie im Jahr 1730 einigermaßen willkürlich in die Manytschniederung nördlich des Kaukasus gelegt.
Andere sehen die Grenze südlich des Kaukasus. Viele heutige Geographen ziehen sie entlang der Gipfellinie des Kaukausus ("Meso- Kaukasus- Grenze").
Der Artikel über Georgien in der Wikipedia beginnt mit dem Satz: "Georgia is a transcontinental country in the Caucasus region, partially in Eastern Europe and partially in Southwestern Asia." (Georgien ist ein transkontinentales Land im Gebiet des Kaukasus, teils zu Osteuropa und teils zu Südwestasien gehörig). Die Europakarte der Wikipedia zeigt, daß Georgien ziemlich genau zur Hälfte (der europäische Teil ist etwas größer) in dem (so abgegrenzten) Europa und in Asien liegt.
Georgien ist im übrigen seit 1999 Mitglied des Europarats.
Was also mag Helmut Schmidt sich bei seiner Behauptung gedacht haben, daß Georgien "kein Teil Europas, sondern ein Teil Asiens" sei? Er sagt es im nächsten Satz: Es geht ihm nicht um Geographie; sondern es geht ihm um seine Ablehnung eines Beitritts Georgiens zur Nato. Und diesen lehnt er ab, weil er dagegen ist, sich (so sagt er es in dem Interview) "über die Einflußsphären [von] Großmächte[n] hinweg[zu]setzen".
Schmidt sieht das Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland aus der Sicht eines Teilnehmers am Zweiten Weltkrieg, der an der Ostfront kämpfte und für den ein gutes Verhältnis zu Rußland oberste Priorität hat: "Beide haben schrecklich gelitten und wissen das auch voneinander."
Deshalb fürchtet er offenbar eine neue Konfrontation mit Rußland; deshalb will er den Russen ihre "Einflußsphäre" zubilligen. Und deshalb verlegt er Georgien nach Asien; denn dann kann es gar nicht der Nato beitreten, sondern gehört zwangsläufig zur russischen "Einflußsphäre".
Auch der große Helmut Schmidt ist halt ein Politiker, der manchmal nicht von den Fakten zu den Zielen gelangt, sondern der die Fakten sub specie seiner Ziele darstellt.
Helmut Schmidt möchte, so scheint mir, zur endgültigen Sicherung des Friedens eine Versöhnung Deutschlands mit Rußland ähnlich derjenigen, die einst unter den Kanzlern von Adenauer bis Kohl mit Frankreich gelang.
Was ja schön und sehr erstrebenswert ist. Oder vielmehr, was es wäre, wenn in Rußland noch Gorbatschow regierte.
Daß dort inzwischen ein autoritärer Herrscher an der Macht ist, der es sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, nach dem Imperium der Zaren und dem der Sowjets ein drittes Russisches Reich zu schaffen, unter Einschluß der osteuropäischen Teile dieser beider früherer Imperien - das scheint Helmut Schmidt nicht zu sehen oder nicht sehen zu wollen.
Im zweiten Teil gehe ich auf diese neue russische Sicht der strategischen Lage in Osteuropa ein, wie sie in den Überlegungen eines russischen Europa- Experten zum Ausdruck kommen.
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