8. Oktober 2008

Der 44. Präsident der USA (24): Obama/Palin werden gewinnen (Teil 2)

Im Augenblick spricht - das war der Inhalt des ersten Teils - alles für einen Sieg Barack Obamas über John McCain.

Alle Institute sehen Obama seit etlichen Tagen deutlich vorn. Sie unterscheiden sich nur in der Höhe des Vorsprungs; Daily Kos, das allerdings als Freund der Demokraten gilt, hat ihn gestern mit nicht weniger als 11 Prozentpunkten (52 zu 41) gemessen.

Im gestrigen Poll of Polls von Pollster.com, dem gemittelten Ergebnis aller großen Institute, lag Obama mit 49,8 Prozent mehr als sechs Punkte vor McCain (43,6 Prozent). Auf dieser Verlaufsgrafik können Sie sehen, wie stark sich die Schere in den vergangenen Tagen geöffnet hat.

Das Rennen scheint gelaufen. Zwar ist es bei früheren Wahlen immer einmal wieder vorgekommen, daß wenige Wochen vor der Wahl des Präsidenten die Stimmung kippte. Aber dieses Ereignis haben wir im Grunde schon hinter uns: Mit dem Offenbarwerden der Finanzkrise kippte die Stimmung zugunsten von Obama.

Eine erneute so ausgeprägte Wende wäre nach allen bisherigen Erfahrungen nur dann zu erwarten, wenn es zu einem ganz ungewöhnlichen Ereignis käme, das McCain favorisiert.

Denn zunehmend profitiert Obama jetzt auch von einem Bandwagon Effect wie am Ende seines Vorwahlkampfs gegen Hillary Clinton: Je mehr er wie der Sieger aussieht, umso mehr schwenken Unentschlossene auf seine Seite.

Sein Sieg ist jetzt ein Selbstläufer: Sozusagen nach dem ersten Newton'schen Gesetz wird er, wenn keine starke Kraft mehr auf das Geschehen einwirkt, seinen Zustand der Bewegung bis zum 4. November beibehalten. Den der Bewegung hinein ins Oval Office, in dem der Schreibtisch des Präsidenten steht.



Mit ihm wird dann sein Running Mate Joe Biden ins Weiße Haus gelangen. Was also soll das "Obama/Palin" im Titel dieses Artikels?

Ich halte es für wahrscheinlich, daß Sarah Palin zwar nicht als Siegerin an der Seite von McCain ins Weiße Haus einzieht, daß sie aber neben Obama die große Gewinnerin dieser Wahlen sein wird.

Sie erschien Ende August auf der Bühne des Wahlkampfs so überraschend, so strahlend, wie in manchen Aufführungen der "Zauberflöte" die "Königin der Nacht" erscheint. Und ein wenig war sie auch die Eliza aus "My Fair Lady" - aus ihrem hinterwäldlerischen Alaska hineinbefördert in die Glitzerwelt Washingtons; hineingebeamt ins Gewitter der Blitzlichter. Der Erbarmungslosigkeit von Medien ausgesetzt, die ihren Ehrgeiz darein setzten, jeden noch so kleinen Versprecher von ihr, jeden Gaffe aufzuspüren und auszuschlachten.

Sie meinen, ich fände da allzu lyrische Töne? Ich würde die banale Wahl einer Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten zum kulturellen Ereignis verklären?

Ja, so klingt das ein wenig. Es soll so klingen, weil das, so scheint es mir, die Sache charakterisiert: Sarah Palin hat mit Barack Obama gemeinsam, daß sie Bilder aktiviert, die wir im Kopf haben. Und sie kann das - wie Obama - nicht nur deswegen, weil solche Bilder (vielleicht gar Archetypen) auf sie passen; sondern weil sie auch eine persönliche Ausstrahlung hat, die faszinieren kann.

Sie hat diese Ausstrahlung, diese Präsenz bei ihren Auftritten, diese Selbstbewußtheit, die auch Obamas Erfolgsrezept sind.

Das hat sie auf dem Parteitag gezeigt, und das war vergangenen Donnerstag wieder da, als sie mit Biden debattierte.



Wer hat diese Debatte "gewonnen"? Seltsame Frage, recht betrachtet. Aber sie ist so selbstverständlich geworden, daß nicht nur alle Demoskopen sie stellen, sondern daß sogar ein Kommentator den "Kampf" in Runden einteilte und jede wertete, wie beim Boxen. Nicht weniger als achtzehn Runden teilte er ab, und am Ende stand es für ihn 9 : 9.

Vielleicht nicht so falsch. Sofort nach der Debatte machten sich natürlich die Demoskopen ans Werk; mit ziemlich ähnlichen Ergebnissen:

Fragte man allgemein, wer "besser" war, dann erwies sich Biden als der Sieger. Bei CNN beispielsweise sahen ihn 51 Prozent vorn, gegen 36 Prozent für Sarah Palin. Ähnlich war das Zahlenverhältnis bei CBS; nur daß es dort mehr Antworten "gleich gut" gab (33 Prozent). Von denen, die sich festlegten, favorisierten 46 Prozent Biden und 21 Prozent Palin.

Das Bild sieht anders aus, wenn man die Wahrnehmung der beiden Debattierenden in Relation zu den Erwartungen setzt. In der CNN- Umfrage sagten nicht weniger als 84 Prozent, daß Palin besser gewesen sei als erwartet. Von Biden sagten das 64 Prozent.

CBS verglich "vorher- nachher"- Urteile über die beiden Kontrahenten. Vor der Debatte meinten von noch nicht festgelegten Zuschauern 43 Prozent, daß Palin über die wichtigen Themen Bescheid wisse; danach waren es 66 Prozent. Daß sie die Voraussetzung für eine Vizepräsidentin habe, meinten vorher 39 und nach der Debatte 55 Prozent.

In beiden Bereichen lagen die Werte für Biden vor und nach der Debatte weitaus höher, änderten sich aber kaum durch die Debatte. Mit anderen Worten: Für ihn hatte dieser Disput sich weniger gelohnt als für Sarah Palin.

Man kann das so zusammenfassen: Die Debatte am vergangenen Donnerstag hat zwar Joe Biden gewonnen, aber mehr genutzt hat sie Sarah Palin.



Mehr genutzt wozu? Sehr wahrscheinlich, wie erläutert, nicht, um das Amt der Vizepräsidentin zu erlangen. Jedenfalls nicht jetzt.

Aber mit Palin ist ein Stern am Himmel von Washington, D.C., aufgegangen.

Viele, die einmal Präsident oder Vizepräsident werden wollten, verschwinden, wenn es damit nichts geworden ist, in der Versenkung - wer kennt zum Beispiel noch Jack French Kemp, der 1996 der Kandidat der Republikaner für die Vizepräsidentschaft war?

Das wird Palin nicht passieren. Sie ist schon jetzt eine nationale Figur. Was man ihr jetzt noch negativ attribuiert - mangelnde Erfahrung auf der nationalen Ebene -, das wird sie leicht ausräumen können, wenn sie sich entschließt, für den Senat zu kandidieren.

Im American Thinker schrieb Kyle-Anne Shiver am Tag nach der Debatte:
When I saw Sarah Palin make her national debut at the RNC convention, and again in her first major debate last night, I found her to be quite the American version of Margaret Thatcher. Thatcher, too, faced scathing derision from her country's press and from her opposition, much of it focused on the issues of small town vs. big city and commoner vs. elite. (...)

Despite her harping critics, Maggie Thatcher proved to be a most able leader upon the world stage, even at a time of rather perilous threats on many fronts. When besieged by naysayers, she once remarked, "If my critics saw me walking over the Thames they would say it was because I couldn't swim." And after watching Sarah Palin last night, I would say that she agrees with Maggie.

Als ich Sarah Palin sah, wie sie auf dem Parteitag der Republikanischen Partei ihr nationales Debüt hatte, und dann wieder in ihrer ersten Debatte gestern Abend, fand ich, daß sie so so ziemlich die amerikanische Margaret Thatcher ist. Auch Frau Thatcher sah sich beißendem Hohn von der Presse ihres Landes und seitens der Opposition ausgesetzt, und viel davon konzentrierte sich auf die Themen Kleinstadt gegen Großstadt und einfache Leute gegen Elite. (...)

Als sie wieder einmal von Neinsagern bedrängt wurde, sagte sie: "Wenn meine Kritiker mich auf der Themse wandeln sehen würden, dann würden sie sagen, daß ich das nur mache, weil ich nicht schwimmen kann". Nachdem ich gestern Sarah Palin sah, würde ich sagen, daß es bei ihr ist wie bei Maggie.
Mir gefällt dieser Vergleich mit Maggie Thatcher, auch wenn Sarah Palin erst noch zeigen muß, daß sie ihn verdient. Den Jesus- Witz jedenfalls hätte sie auch machen können, und sie hätte dabei unschuldig- aggressiv gelächelt.



Nachtrag: Einen Kommentar zur Debatte Obama/McCain in der vergangenen Nacht finden Sie hier.



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