11. Februar 2023

Kurt Karl Doberer, "Wunder im Mond" (1926)



Seit einigen Minuten hatte die Richtantenne auf dem breiten Rücken meines Thermopanzers das Peilzeichen nicht mehr bekommen - ich stellte am Chronometer den Minutendurchgang fest, um mich dann im Kreise zu drehen. Aber der Summer blieb stumm. Lager Acht schickte die regelmäßige Serie von Stromstößen nicht.

Beunruhigt drehte ich meinen Kopf in der Plastikkappe und preßte den Mund an die Sprechzelle. Daß dieser leichte Druck genügt hatte, meinen Sender einzuschalten, das zeigte das leise schnarrende Geräusch der Membranen. Hören mußten sie mich doch wenigstens.

„Hallo – Hallo.“ Ich sprach etwas rauh und aufgeregt. „Hallo – Hier Dalton – Hallo.“

Es schien jedoch alles in Ordnung zu sein.

Kaum wartete ich ein paar Sekunden, so meldete sich schon eine tiefe, ruhige Stimme:

„Hallo, hier Lager Rakete Acht.“

Ich konnte, wie immer, nicht unterscheiden, ob es Mellton selber, oder ob es Maier war. „He,“ fragte ich, „was ist mit dem Peil -?“

„Das Peilzeichen läuft eben wieder an,“ schnitt mir die Stimme den Satz ab. Dazwischenreden war gegen alle Regeln. Aber so war eben Maier. „Kontakt war hängen geblieben,“ fügte er erklärend hinzu. „Automatisch ist eben -“

­ „Tatüütüütüü“ funkte nun das Peilzeichen dazwischen. Aber das war in den Regeln. Dem war es erlaubt. Das Peilzeichen mußte immer durch. Ich war nun befriedigt. „Alles in Ordnung. Wer ist denn am Sender?“ „Hier ist Maier.“

„Na, sag Mellton, er soll doch nachkommen und den Schneidbrenner umhängen. Besser ist besser – Für alle Fälle. Wer weiß, was im Kraterbecken ist.“

„Okay,“ sagte Maier breit. Er hatte sich das von Mellton angewöhnt.

„Tatüütüütüü,“ funkte das Peilzeichen wieder.

Zufrieden stapste ich weiter über glasige Geröllbrocken. Der scharfe Strahl meines Lichtwerfers, der einen dünnen Kegel in das Dunkel schnitt, tastete mir den Weg voraus. Ich hatte ihn schon ein paarmal den schrägen Hang hinaufspielen lassen. Es war immer ein vielstrahliges Funkeln aufgesprungen. - Farbig blinkten Lichter, wenn der Lichtkegel dahin stach.

Plötzlich trat ich auf eine spiegelglatte Fläche. Taumelnd ausgleitend richtete ich den Lichtwerfer nach unten. Aus oktaedrischem Kristall sprühte Regenbogenlicht. Geblendet griff ich ins Leere. Mir rutschten die Füße und ich fiel. Noch im Fallen dachte ich – dieser Kristall - -

Das erste, woran ich mich gut erinnere, war, daß ich beim Weitertaumeln immerzu an prismatisch Kantiges stieß. Dann ließ ich wiederum den Lichtwerfer aufflammen. Aber mir kam jetzt alles so fremd und unwirklich vor. Als wäre ich schon Jahre vom Lager weg, so ein Gefühl hatte ich.

Nun kam es mir auch, warum ich so getaumelt war. Aber am Mond war es lächerlich, sich davon das Blut in das Gehirn treiben zu lassen.

Diamanten! Diamanten, so groß wie Kürbisse, die da in Oktaedern aus einem Strom glutflüssigen Kohlenstoffs geboren waren! Wie ein gläserner Irrgarten lagen tausend Tonnen Kristall unter dem Nachthimmel. Wohin immer auch der feine Strahl der Lichtwerfers drang, da teilte er sich in tausend Reflexe.

Da lagen, ja man mußte sagen: da standen die Dinger. Wenn sie kleiner gewesen wären, hätte man sie einstecken könnten. Mit der Tungstenstahlspitze meiner Beschuhung stieß ich an eine der Flächen. Sie splitterte nicht, wurde nicht einmal durch eine Ritze gezeichnet. Die harte Spitze schmierte weich darüber hinweg.

Mit einem Druck brachte ich meinen kleinen Scheinwerfer zum Erlöschen. Fünftausend strahlende Sterne am schwarzen Himmel lockten zehntausend Brüder aus dem Strom erstarrten Kohlenstoffs. Farbig fahles Licht lag über dem Hang. Es war das Licht nicht von der Finsternis geschieden und war wie vor Erschaffung der Welt.

Das gleichmäßige Ticken des Zeitmessers stieß mich aus meinen simplen Träumen. Mechanisch blickte ich auf die Zeitscheibe des Instruments. Dreiundzwanzig / dreißig. In wenigen Minuten würde die Sonne dieser fahlen Nacht ein Ende machen. Durch die Kettenreihen aus Kristall suchte ich mir meinen Weg hangaufwärts. Dreiundzwanzig / vierunddreißig. Ein Feuerstreifen sprang über den Horizont. Sekunden machte aus der Nacht den Tag. Zehntausend Scheinwerfer schickten ihre Kegel in das Dunkel um mich. Blitzende Strahlengarben warfen sich über den Rand des Lavameeres. Sie trafen nun in den Strom glasklarer Kristalle. Strahlen zersplitterten und vervielfachten sich, beugten sich zu Farbbändern und wuchsen in einem Regenbogenfeuerwerk. Und immer neue Strahlenheere stießen aus der Sonne. Milliarden Strahlenbündel teilte sich vertausendfacht und stürzten in wildem Funkentaumel in den Katarakt aus Licht.

Ich hatte es gewagt, vorhin, über diese Last wertloser Diamantkristalle zu grinsen. Nun sprangen ihre Funkengarben auf mich ein. Strahlende Farbenwirbel raubten mir fast die Sinne. Aus den Quarzgläsern starrten meine Augen festgespießt in wilde Lichtstrudel. Rote Punkte begannen pulsende Kreise in grünen Ringen zu tanzen. Es war ein Höllenparadies aus Licht. Ein weißer Strahlenregen fiel nun über mich, so, daß ich ausgedörrt und ausgetrocknet schien. Ich war versengt, erstickt – erdrosselt. Wie ein einziger greller Strahl fuhr es mir durch die Sehschlitze in die Augen, blieb dort stecken, wie ein blanker Dolch. Taumelnd versuchte ich hinzugreifen, fiel vornüber.

Es war mein Glück, daß ich auf das Gesicht zu liegen kam. Als ich meine Sinne wieder zusammen hatte, tastete ich erst langsam um mich. Ich fühlte durch den dünnen Wärmepanzer meiner Handflächen die scharfen Kanten der Kristalle. Die trockene, klare Anweisung Melltons kam mir ins Gedächtnis: Wenn die Sonne über den Horizont schwingt, dann müssen die Irisblenden der Sehschlitze auf kleinste Öffnung geschlossen werden.. Eindringlich klang nun auch seine besondere Warnung für mich auf: „Dalton, am besten auch gleich die Lichtfilter einschalten.“ Nun hatte ich meine eigene Erfahrung, hätte bald zuviel Lehrgeld bezahlen müssen. In Zukunft würden wir solche notwendigen Handgriffe automatisch machen.

Als ich mich jetzt erhob, war das Licht leicht zu ertragen. Nur hatte ich von meinem Standpunkt aus noch keinen Überblick. Der Scheitel des Kraterwalles lag höher. Das Stück kletterte ich noch schräg empor.

Schneller atmend stand ich nun am Rand des riesigen, länglichrunden Kraters. Ich war der erste Mensch, der erste Bewohner der Erde, der ihn nun auf südlichem Marsch vom Lager aus erreicht hatte. Jetzt mußte sich erweisen, ob die Astronomen recht beobachtet hatten. Zögernd wanderten meine Augen den Ringwall entlang und kletterten ein weites Lavafeld hinunter in den Krater. Gebannt blieben dann meine Augen an dem Spiel gefärbter Gase im Grunde des Riesenkessels hängen. Was andere in vielen Nächten in den Spezial-Fernrohren der Planetenwarten gesehen zu haben glaubten, die ziehenden Schwaden ausgeworfener Gase, sie waren also kein Trugbild überreizter Augen gewesen.

Hier oben war wahnsinnige Stille. Glühend, strahlend lagen Fels und Lavagestein. Über mir war klaffender Weltraum – luftlos, gaslos.

Aber dort, da unten, war pulsender Stoß und kreisender Nebel.

Langsam begann ich abzusteigen. Wie aus den Geysirs Islands stiegen drüben brodelnde Dämpfe auf und zogen in weißlichen Schwaden über die Tiefebene. Wie eine riesige Milchschüssel hielt der hohe Kraterringwall diesen Schwall und Broden zusammen.

Vierhundert Meter Abstieg zeigte mein Höhenmesser nun bereits. Außen am Wärmepanzer war das Thermometer all die Grade wieder herabgerutscht, auf die es oben am Kraterrand von der Weißglut strahlenden Sonne getrieben worden war. Dünne Dunstschleier brachen hier ihre Macht.

Schon konnte ich in die tiefsten Stellen des farbigen Kraterbodens blicken. Aber was ich nun sah, das hielt mich doch erst einmal für Augenblicke still. Es war wahrhaftig so. Dort sprang ein mächtiger Geysir aus schlammdunklem Boden. In seinen Bereich, dicht an ihn heran, schoben und wanden sich aufdringlich grüne Wesen.

Ich lehnte mich an einen Lavablock, um Bestand aufzunehmen. Durch mein Teleskop betrachtete ich die Geschöpfe. Abstoßen und widerwärtig sahen sie aus. Ich studierte ihre Einzelheiten durch das Glas, bis mir die Augen schmerzten. Als ich absetzen mußte, war mir die Biester noch nicht vertrauter geworden. Den leicht aufgerichteten Vorderleib schwingend, starrten sie mit roten Telleraugen auf den dampfenden steigenden Strahl. Wohlig sich windend, ließen sie die kochende Flüssigkeit auf ihre langen Körper fallen. Wo der bläulichweiße Strahl sie traf, das schwoll der Körper lebensstrotzend an. Die so klitschig grüne Haut leuchtete metallisch auf.

Von der letzten Lavaplatte herunter war ich mit einem Satz gelandet, der mir auf der Erde Knchen gekostet hätte. Auch die Würmer mußten eine feine Erschütterung gemerkt haben, denn sie richteten suchend ihre Leiber auf.

Um an den Rand des kleineren Innenkraters zu kommen, machte ich einen weiten Bogen um diese Kreaturen. Sie sahen immer unerfreulicher aus, mit ihren langen Schneckenleibern und ihren glatten Reptilköpfen. Ihre roten flachen Augen schienen trüb und schlechte Sich zu geben. Es konnte aber auch sein, daß ich ihnen zu uninteressant schien und ein schlechter Bissen war. Vorläufig wenigstens ließen sie mich ungeschoren.

Der zweite, kleinere Krater lag in dem einen Brennpunkt der großen Kraterellipse. Er hatte sicher auch einen Durchmesser von tausend Metern. Trotzdem erschien er in dem weiten Rund wie der Rückstand einer geplatzten Gasblase. Sein flacher Boden lag noch an fünfzig Meter tiefe5r. Doch war es leicht hinabzuklettern.

Immer wieder brachte ich mein Teleskop vor die Sehschlitze. Ich hatte wiederum etwas Neues entdeckt. Hier unten wohnten knollenförmige Gebilde in einer großen Kolonie zusammen. Sie saßen da wie Boviste, oder wie Seesterne.

Weit drüben schien sich einer dieser unangenehm grünen Würmer daran zu machen, eine solche Knolle aufzufressen. In weiten Sprüngen war ich auf dem Grund des Innenkraters gelandet. Ich wagte mich näher heran und richtete mein Teleskop. Die Knollenkolonie lag in weitem Bogen um mich.

Der Wurm hatte sich an eine Knolle gemacht, die oben allein am Hang stand. Eben hatte er ihr ein Stück aus der Seite gerissen. Da aber kam Leben in die Knolle. Aus der braunen Masse schoben sich Saugarme, die mir erst wie Schneckenhörner erschienen. Dann aber sah ich wie sich die kleine kugelige Spitze zu einer Rosette wie ein Blütenstempel öffnete und in ihrer Mitte etwas Blankes, Hakenförmiges – Krallenförmiges erschien.

Tastend, suchend, griffen diese Arme nun nach dem Leib des grünen Wurms und hakten sich an seinem blanken Bauch fest. Die Knolle schien sich jetzt auch vom Boden abzulösen. Der Wurm bäumte sich auf und krümmte sich wild nach allen Seiten. Sein horniges Maul biß greifend Stücke, riß Fetzen aus der Knolle.

Da ertönte ein fremder, wilder Schrei. Fürchterlich, dünn und doch gellend, drang er durch den Dunst zu mir. Das, wußte ich, war ein Todesschrei.

Knolle und Wurm waren zu einem schmutzigen, graugrünen Bündel zusammengesunken. Ich konnte nicht erkennen, wer erschöpfter und wer tot war.

Irritierend dabei, daß dieser Todesschrei ein unheimliches Echo ausgelöst hatte. Droben vom Kraterrand kam eine Welle schriller, trillernder Töne. Es mußten Würmer am Geysir sein, die da so antworteten. Kamen sie ihrem Artgenossen zu Hilfe?

Auch in den Knollenkolonien erhob sich ein im Ton ansteigendes Summen. Es war mir, als würden sich die Knollen näher aneinanderschieben, zusammendrängen. Vorsichtig ging ich auf eine Gruppe der qualligen Klumpen zu.

Sie waren so braun und rund wie eine bizarre seltene Pilzart. Dort, wo die Sonne sie traf, schoben sich Arme vor, Fortsätze aus rötlichem Fleisch und grauem Geäder. Sie glichen dann eher Polypen, oder Riesenseesternen.

Wieder ein hoher, singender Ton. Er kam von zwei Knollen, die adergeschwollen, kraftstrotzend in der Sonne lagen. Die eine schien sich eben vom Boden losgerissen zu haben. Aus der Seite, aus ihrem Bauche lief ein zäher, blauroter Saft. Auf gerollten Saugarmen schob sie sich der anderen Knolle zu, schwerfällig wie eine Schildkröte.

Ich war ihr ganz nahe. Da öffnete sich auf der höchsten Stelle ihrs warzigen Rückens ein sonderbares Auge. Es war ein böser Blick aus einem gelben, blitzenden Kristall. Ein Saugarm richtete sich drohend auf, faßte durch den Raum. Stolpernd wich ich zurück. Nach kurzem Zögern schob sich die Mondkartoffelkröte weiter auf ihre Artgenossin zu.

Beider stießen immer wieder hohe, singende Schreie aus. Sie krochen ganz nahe, schoben sich übereinander. Aus den Stern-Enden, den fünf zuckenden Saugarmen, tropfte blaurot das zähe Blut. Eine Lache entstand. Sulzig trocknend klebte sie am glatten Lavaboden.

Durch die beiden Quallen ging flimmerndes Zucken. Die pralle, glatte Haut wurde spröde und rauh. Überall zeigten sich klaffende Risse. Aus ihnen sprangen gelbleuchtend dampfende Fontänen. In wogendem Dunst lagen in der formlosen Masse durchsichtig klare, gleichsam kristallisierende Gebilde. Über diese wuchs zähe, zusammenklebende Zellmasse.

Gleichmäßig pulste nun alles wieder – zog sich zusammen – dehnte sich aus. Leben schien neu in junge Gebilde zu strömen. Ruckend, aufklingend formierten sich Sterntiere. Blaurot begann schützende Haut darüber zu trocknen.

Hinter mir hörte ich ein schurrendes Geräusch.

Ich drehte mich langsam um. Was ich sah, ließ mir nun das Blut sulzen. Es schnürte mir die Kehle zu.

Die Würmer hatten den Todesschrei ihres Artgenossen vernommen. Hier kamen sie nun. In breiter Reihe schoben sie sich heran. Aus den Mäulern ihrer schwingenden Köpfe tropfte weichlichgrüner Speichel.

Die Knollenkolonien erwachten wie aus einem Schlaf. Lider öffneten sich über gelben Kristallaugen. Fangarme schoben sich richtungnehmend vor, richteten sich drohend auf. Auf den schrillen, trillernden Schlachtschrei der Würmer antworteten die Knollen mit dem hohen, singenden Ton schwirrender Stechmücken.

In dieses Schlachtfeld war ich hineingepreßt. Eingeklemmt zwischen die Reihe der heranrückenden Würmer und dem drohend lauernden Bogen der Knollen.

Verzweiflung, Grauen griffen nach mir. Wahnsinn würde mich packen, noch vor dem Tod in diesem qualligen Strudel aus Schleim und Geifer. Kalter Schweiß rann über meinen Körper.

Mit der letzten Kraft konnte ich das mechanische Peilzeichen und den Sender einschalten.

„Mellton! - Mellton!“ schrie ich auf. Dann schwanden mir die Sinne und ich sank in meiner Metallhülle zusammen.

* * *

Angesichts des „großen Krabbelns,“ mit dem John Munros Albtraum vom „Sonnenaufgang auf dem Mond“ endet, fiel mir sofort diese kleine Erzählung ein, mit der der ebenfalls heute längst in völlige Vergessenheit geratene gelernte Ingenieur und berufliche Journalist Kurt Karl Doberer 1926 seine Laufbahn im „Generalanzeiger für Dortmund“ begann. Doberer, 1904 in Nürnberg geboren und dort auch 1993 gestorben, hat die Schriftstellerei immer nur als Nebenzweig betrieben; bekanntesten war vielleicht seiner Geschichte der Alchemie, 1960 als „Goldsucher, Goldmacher“ im Münchner Prestel-Verlag erschienen und 1987 im Münchener Universitas Verlag als „Die Goldmacher. Zehntausend Jahre Alchemie“ neu aufgelegt. Seine ersten Bücher erschienen Mitte der dreißiger Jahre in Prag in Exilverlagen, wohin Doberer, der 1927 in die SPD eingetreten war, nach der Machtübernahme der Nazis geflohen war – unter anderem der 1936 SF-Roman „Republik Nordpol.“ Die Handlung des Romans legt nahe, warum Doberer wohl gut daran getan hat, nicht als Erzähler zu reüssieren: auf dem Kreuzer „Kiel“ kommt es zur Meuterei, die gegen das Regime aufstehenden Matrosen fahren mit dem Kriegsschiff Richtung Pol nach „Nordland,“ wo sie im Handumdrehen ein utopisches Staatswesen aus dem Permafrostboden stampfen und schließlich aus dem Radio erfahren, daß 1939 „die Linken“ die Reichtstagwahlen und der Albtraum der Diktatur ein Ende gefunden hat. (Was das ganze Unternehmen natürlich etwas sinnlos macht.) Im Londoner Malik-Verlag erschien ebenfalls 1936 das Sachbuch „Todesstrahlen und andere Kriegswaffen,“ das er zusammen mit Max Seydewitz verfaßt hatte, Doberer, der 1938 nach England übersiedelte, kehrte 1949 nach Nürnberg zurück; der größte Teil Teil seiner folgenden Bücher umfaßt ein halbes Dutzend Spezialwerke zur Briefmarkenkunde. (Beim Stichwort „Philatelie“ muß der Kleine Zyniker stets an den Knittelvers denken, den Robert Graves – ja, der mit der „Weißen Göttin“ und Autor von „Ich Claudius, Kaiser und Gott“ – verbrochen hat: „The Philatelist Royal / was always too loyal / to ever say what he / really thought of philately.“) Vier seiner kurzen Erzählungen erschienen übrigens in den Jahren 1951 und 1952 im „Argentinischen Tageblatt,“ darunter „Die Kleopatra“ (AT, 24. 8.1952), die 8 Monate später in Münster in den „Westfälischen Nachrichten“ nachgedruckt wurde (WN, 23. 4. 1953).

„Wunder im Mond“ wurde im „Prager Tagblatt“ am 22. August 1935 und in der Kölner „Welt der Arbeit“ am 5. November 1954 nachgedruckt; außerdem im „X-Magazin“ im Oktober 1972 unter dem geänderten Titel „Kampf der Pflanzen.“ Bei diesem Reprint wurde der Auftakt erweitert um die anmoderierenden Sätze „Wir waren vierzig Billionen Kilometer von der Erde entfernt im Alpha-Centauri-System gelandet. Es war wahrscheinlich, daß wir auf diesem Planeten Spuren von Leben finden würden. Ich war der erste, der das Lager verließ, mit dem routinemäßigen Auftrag, die nähere Umgebung zu erkunden“ – da nach den Apollo-Missionen denn doch ein wenig an Glaubwürdigkeit verloren hatte. Diese Fassung ist dann 1979 von Herbert W. Franke in seine Anthologie „Science Fiction Story Reader 12“ im Heyne Verlag aufgenommen worden.

Beim "X-Magazin", zwischen Februar 19969 und Mai im Münchenr Konradin Verlag erschienen, handelte es sich um die einzige deutschsprachige Zeitschrift jender Jahre, in denen regelmäßig SF-Erzählungen publiziert wurde - hauptsächlich Nachdrucke von Texten aus der "klassischen Moderne" des Genres, etwa von Arthur C. Clarke, zwei der Roboter-Geschichten von Isaac Asimov oder von Stanislaw Lem - aber auch erstaunlich vieler Texte aus der UdSSR oder den Ländern des Ostblocks. Die Auswahl der Texte oblag übrigens Hans Joachim Alpters, der in den nächsten 25 Jahren eine der Gallionsfiguren der Neuen Deutschen SF wurde. Bei den populär gehaltenen Sachbeiträgen merkt man deutlich, daß sich das Magazin hauptsächlich am Tagesthema "bemannte Mondlandung" orientiert hat - auch wenn die Berichte gegenüber anderen Rportagen in den damaligen Printmedien keinen informativen Mehrwert aufweisen. Als sich im Lauf des Jahres 1972 das Thema "Mondfahrt" ersichtlich dem Ende zuneigte, suchte man in der Redaktion händeringend nach einer Ausweitung auf andere "zeitgeistliche Befindlichkeiten" wie "rebellische Jungend" oder "Wir werden in Zukunft alle Computer bedienen müssen!" (seltsamerwiese ging mit der Vorstellung, einmal mit "Elektronengehirnen kommunizieren zu müssen," der Spleen einher, Eltern müßten sich unbedingt mit Mengenlehre beschäftigen). Im Anchluß an den Wiederabdruck von "Wunder im Mond" in der Oktobernummer 1972 von Seite 76 bis 79 findet sich gleich darauf der Hinweis, daß wir - oder die ausgetrocknete Sahelzone - demnächst mit Wasser versorgt würden, das aus Eisbergen stammen wird, die von Grönland aus über den Atlantik geschleppt werden. (Aber der Geschichte dieses Konzepts einmal nachzugehen, ist eine Aufgabe für ein anderes Mal.) Ab dem Mai 1973 war das Journal formell mit der im gleichen Verlag erscheinenden "Bild der Wissenschaft" fusioniert, oder, prosaischer, eingestellt.

Nur am Rande sei vermerkt, daß sich der Erdtrabant immer wieder in solchen frühen Expeditionen als wahre Goldgrube entpuppt; und es sind stets die Ressourcen, nach denen der jeweilige Zeitgeist Ausschau hält. Für Cavor und Bedford in Wells „Ersten Menschen im Mond“ sind es 1901 Ländereien, die man ohne lästige Konkurrenz und lästige Ureinwohner kolonisieren kann (die später auftauchenden Seleniten sehen das etwas anders); bei Doberer 1926 sind es Diamanten; für Thea von Harbou und Fritz Lang sind es in der „Frau im Mond“ 1929 goldene Nuggets, die haufenweise an der Oberfläche zum Einsammeln bereit liegen, und für Robert A. Heinlein sind es in „Destination Moon“ 1950 zahllose Uranbrocken, die haufenweise an der Oberfläche zum Einsammeln herumliegen.

Mittlerweile wird das lunare Neue Golkonda als Quelle von Helium-3-Vorräten genutzt, um die irdische Fusionstechnik zu betreiben – so in Frank Schätzings „Limit“ von 2009 oder in Duncan Jones‘ Debutfilm „Moon“ aus dem gleichen Jahr.

Dem Chronisten bleibt nur noch, anzumerken, daß der erste Raumfahrer namens Maier am 31. März 1971 zusammen mit seinem Artgenossen Pöhlmann in den Mondfähre Wotan 1 den Mond betreten hat, worüber Loriot in der fünfzehnten Folge der Sendereihe „Cartoon“ des Südwestfunks in seiner Reportage „Möpse auf dem Mond“ live berichtet hat.






U.E.

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